Esoterik

Diskussionen um Esoterik an der Volkshochschule Mainz

Esoterische Angebote im Programm der VHS Mainz haben auf deren Facebook-Seite massive Proteste ausgelöst (www.facebook.com/#!/VolkshochschuleMainz?fref=ts). Anlass ist ein Kurs „Pendelpraxis I“ von Gerhild Schinabeck-Lohnes. Sie verspricht: „Mithilfe des Pendels werden Sie in der Lage sein, Ihre Lebensmittel, Medikamente, Kosmetika und mehr auf Verträglichkeit und biologische Qualität zu testen. Somit beschreiten Sie einen Weg zu mehr Lebensqualität.“

Die Kritik auf der Facebook-Bewertungsseite kam anfänglich aus Reihen der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP, „Die Skeptiker“), weitete sich aber bald aus, bis Dutzende empörte Stimmen den „unwissenschaftlichen Unfug“ mit Steuergeldern anprangerten. Neben dem Pendelkurs gerieten auch andere Angebote ins Kreuzfeuer. Unter der Überschrift „Neue Wege. Psychologie/Kommunikation, Astrologie, Esoterik“ gibt es z. B. Kurse in „Astrologie Basics“, Tarot und Wünschelrutengehen. Die Kritiker weisen im Zusammenhang des Pendelkurses unter anderem auf die Gefahr hin, dass Teilnehmer aufgrund des Gelernten möglicherweise ärztlich verschriebene Medikamente nach negativem Pendelergebnis nicht einnähmen oder ihren Kindern vorenthielten.

Dabei steht die VHS Mainz keineswegs allein, wie ein Blick in die Programme zufällig ausgewählter deutscher Volkshochschulen zeigt. Esoterik als staatlich geförderte Volksbildung scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. In Bonn stehen Kurse in Feng Shui, Qi Gong und Craniosacraler Osteopathie im Programm, in Düsseldorf wird Kinesiologie und in Freising Reiki gelehrt. Ein eigenes Thema ist im Übrigen die Verbreitung solcher Angebote auch in kirchlichen Tagungshäusern – Anzeichen dafür, wie groß die Sehnsucht nach Wiederverzauberung der Welt durch Spiritualität, „komplementäre Medizin“ und „alternative Wissenschaft“ ist.

Die Idee der Volkshochschulen wurde von dem dänischen Pfarrer N. F. S. Grundtvig Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, um die Bürger durch Bildung zur Nutzung ihrer neuen demokratischen Mitbestimmungsrechte zuzurüsten. Er setzte sich für erschwingliche Bildungsangebote für Erwachsene ohne Zugangsvoraussetzungen ein. Die meisten der momentan 924 deutschen Volkshochschulen wurden nach 1918 gegründet und werden überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert. Die einzelnen Volkshochschulen sind autonom und in der deutschen föderalen Vielfalt sehr unterschiedlich aufgestellt. Die VHS Mainz gehört zu einer Minderheit: Sie finanziert sich nach Angaben ihres Leiters zu 80 Prozent aus Teilnehmergebühren und ist damit in besonderem Maße auf nachfrageträchtige Angebote angewiesen.

Der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) knüpft an Grundtvigs Tradition an, wenn er erklärt, die „Erfolgsgeschichte [der Volkshochschulen] ist untrennbar verbunden mit gelebter Demokratie. Ihren Bildungsauftrag leiten sie aus den Prinzipien der Aufklärung und den universalen Menschenrechten ab“ (www.dvv-vhs.de/vhs/geschichte.html). Die Kritiker pochen nun auf diese wissenschaftlichen Kriterien der Aufklärung. Leider ist der meist herablassende und polemische Ton der GWUP in derartigen Konflikten wenig verständigungsfördernd.

Am 2.9.2014 veröffentlichte die VHS Mainz auf Facebook eine Stellungnahme gegen „einige Personen“, die die VHS „abwerten“ (www.facebook.com/VolkshochschuleMainz?fref=ts). Man sieht sich demnach als „Abbild der pluralen Gesellschaft“ und „steht allen Menschen offen“. Die VHS stehe für Toleranz und Offenheit. Im Übrigen sei das angebliche Problem marginal, denn esoterische Angebote machten nur 1 Promille aller Kurse aus.

Tatsächlich stehen die Angebote zu Schüßler-Salzen, Tai Chi und „adäquater Ernährung“ auf Basis „feinstofflicher Betrachtung“ nicht im Kapitel „Esoterik“, sondern im Programmteil „Gesundheit“. Über „Erdstrahlen und Elektrosmog“ kann man sich im Kapitel „Natur und Umwelt“ weiterbilden. Wichtiger als das Ausmaß der esoterischen Angebote ist aber – hier ist den Kritikern recht zu geben – die Signalwirkung. Was in einer öffentlichen Bildungseinrichtung (teilweise als offiziell anerkannte Weiterbildung) angeboten wird, das werden die meisten unvermeidlich als qualitätsgeprüft und seriös wahrnehmen.

Festgeschriebene Kriterien für die inhaltliche Grenzziehung zu inakzeptablen und unseriösen esoterischen Angeboten gibt es seitens der VHS Mainz nicht („missionierende“ Angebote und Anbieter, die v. a. eine vielleicht kränkelnde freie esoterische Praxis bewerben wollten, hält man aber draußen). Man muss daher fragen: Führt die unbestrittene „Offenheit für alle“ am Ende zu einer umstrittenen „Offenheit für alles“? Sollte sich Weiterbildung wirklich vor allem als „Abbild der Gesellschaft“ verstehen und an der Nachfrage ausrichten? Nachgefragt wird vieles – aber die Frage, was Bildung sei, ist damit nicht beantwortet. Irritierend ist es, wenn von den Kritisierten derartige Fragen zur Unterscheidung und zu den Grenzen des öffentlichen Bildungsauftrags als Ruf nach „Zensur“ geächtet werden.

Anders positionierten sich nach ähnlichen Diskussionen im November 2013 die Volkshochschulen Österreichs: „Wir haben uns österreichweit ganz bewusst entschieden, eine Esoterik-Richtlinie einzuführen. Wir bieten keine Kurse an, die keinen wissenschaftlichen Hintergrund haben“ (www.vhs.or.at/538). Diese Richtlinie ist allerdings auch nur ein Signal, denn aufgrund ihrer Autonomie bindet es die einzelnen Volkshochschulen nicht. Das wäre in Deutschland genauso, wenn die jetzige Debatte zu einem ähnlichen Beschluss im Landesverband der 72 rheinland-pfälzischen Volkshochschulen führen sollte, der in seiner nächsten Sitzung möglicherweise hierüber debattieren wird. Einheitliche Richtlinien deutschlandweit zu beschließen, ist strukturell noch schwieriger.

Trotzdem wäre es wünschenswert, dass ein solches Signal für Bildung im Sinne der Aufklärung und des kritisch-analytischen Denkens von den Volkshochschulen erginge. Auch aus evangelischer Sicht ist die Trennung von Glaube und Vernunft festzuhalten. Uns ist aufgegeben, mit der gottgegebenen Vernunft die Welt zu erfassen. Wer den kategorialen Unterschied zwischen dieser Vernunft und den auf das Übernatürliche bezogenen Pseudowissenschaften z. B. mit der Idee einer „Alternativwissenschaft“ verwischt, verrät nicht nur die Aufklärung, sondern auch die Unterscheidung von Schöpfer und Schöpfung.

Was die lebensbewältigende Dimension angeht, so liegt diese im Bereich von Glaube, Religion und Weltanschauung – gehört damit aber nicht mehr zum staatlichen Bildungsauftrag. Esoterikkurse passen zur VHS ebenso wenig wie eine Weiterbildung im christlichen Heilungsgebet.

In der VHS Mainz standen Gerhild Schinabeck-Lohnes’ Pendelangebote schon in früheren Jahren inmitten von Kursen zu Astrologie, Wassermannzeitalter und Familienaufstellungen nach Bert Hellinger. Ob es wirklich das war, was Pfarrer Grundtvig im Sinn hatte, als er vor 160 Jahren die VHS als Mittel zur Volksbildung entwarf?


Kai Funkschmidt