Hanna Fülling

Die Deutsche Islam Konferenz – Religion, Politik und Integration

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Am 28./29. November 2018 hat das Bundesinnenministerium (BMI) die vierte Deutsche Islam Konferenz (DIK) eröffnet. Der Gastgeber Horst Seehofer begrüßte die Teilnehmenden mit einer Grundsatzrede, in der er die Agenda für die vierte Islamkonferenz in der Fragestellung zusammenfasste, wie es gelingen könne, einen Islam in Deutschland zu fördern, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, die Werte unseres Grundgesetzes teilt und die Lebensarten dieses Landes achtet – einen Islam in, aus und für Deutschland, einen Islam der deutschen Muslime“1. Hierzu hat Seehofer viele verschiedene Akteure eingeladen, die den Islam bzw. den Islamdiskurs in Deutschland beeinflussen. Das BMI hat auf diese Weise versucht, die Pluralität des Islam in Deutschland möglichst umfassend abzubilden und miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Mittelpunkt der DIK IV sollen alltagspraktische Fragen des Zusammenlebens stehen.

Einige dieser Ideen knüpfen stark an vorangegangene Formate der DIK an, andere weichen explizit davon ab. Die aktuelle DIK bewegt sich zwischen Kontinuität und Wandel. Was sagt diese Ausrichtung über die Entwicklung der Islampolitik in Deutschland? Welche Fortschritte lassen sich beobachten? Welche Lernprozesse sind zu erkennen? Inwiefern haben sich die Bedingungen verändert und wo sind Stagnationen oder gar Rückschritte zu erkennen? Und zuletzt: Auf welchen Leitideen basieren die Konferenzen?

Zur Klärung dieser Fragen bedarf es einer Rückschau auf die Entwicklung der Deutschen Islam Konferenz von 2006 bis heute. Hierzu werden im Folgenden die vier Phasen der DIK hinsichtlich ihrer Strukturen, ihrer personellen Zusammensetzung sowie ihrer Zielsetzungen und Ergebnisse beleuchtet und in Beziehung zueinander gesetzt.

DIK I (2006 – 2009) – Aufbruch zur Religionspolitik

Die Einberufung der DIK im Jahr 2006 kann als eine Wende der deutschen Religionspolitik betrachtet werden. Schien die Politik jahrzehntelang mehrheitlich von der Auffassung geleitet, dass mit dem Art. 4 GG, dem Art. 7 GG und den Art. 136-141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die in Art. 140 GG inkorporiert wurden, alle notwendigen Regelungen zur Religionspolitik erfolgt seien, änderte sich diese Einschätzung mit Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach. Nachdem in der Politik anerkannt wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, sich das religiöse Feld nachhaltig pluralisiert hat und Religion spätestens seit dem 11. September 2001 wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wurden religionspolitische Herausforderungen in der Politik wieder stärker wahrgenommen. Eine Reaktion darauf war die Einberufung der Deutschen Islam Konferenz im Jahr 2006. Sie wurde im Referat M II 3 „Interkultureller Dialog und Deutsche Islam Konferenz“ in der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge und Europäische Harmonisierung“ des Bundesinnenministeriums eingerichtet.

Die strukturelle Einbindung der DIK zeigt, wie diese neue Form der Religionspolitik in Deutschland verstanden wurde: Sie wurde nicht ausschließlich von Überlegungen zur religionspolitischen Integration geleitet, sondern von umfassenden Integrationsbemühungen sowie von sicherheitspolitischen Erwägungen.

Sie fand auf Initiative und unter Leitung des BMI statt. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble formulierte als Aufgabenstellung der DIK die Suche nach „Lösungen der Probleme des Zusammenlebens gemeinsam und im Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen“2. Die DIK wurde als ein „Problembearbeitungsinstrument, für das der Modus der Verhandlung zentral ist“3, konstituiert. Das BMI legte in der DIK I die Teilnehmenden, die Struktur und die thematische Agenda fest. Das repräsentative Plenum wurde mit 15 staatlichen und 15 muslimischen Akteuren besetzt. Die staatlichen Vertreter setzten sich aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern zusammen. Die Besetzung aufseiten der Muslime stellte von Beginn an eine große Herausforderung dar, da die Frage, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert, unterschiedlich beantwortet wurde und bis heute kontrovers diskutiert wird. Schäuble entschied sich dafür, die Muslime in Deutschland durch verbandlich organisierte Akteure sowie durch nichtverbandlich organisierte muslimische Einzelpersonen abzubilden. 5 der 15 muslimischen Teilnehmenden wurden mit Mitgliedern der Verbände (DİTİB, ZMD, VIKZ, IRD und AABF) besetzt, die anderen zehn besetzte Schäuble durch „Vertreter der nicht organisierten Muslime …, die die verschiedensten Facetten der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland repräsentieren sollten“4. Er begründete diese Einladungspolitik mit einer Erhebung, der zufolge lediglich 15 bis 20 % der Muslime in Deutschland durch die islamischen Verbände repräsentiert werden.

Diese Einladungspolitik war von Anfang an umstritten und wurde vor allem von den islamischen Verbänden als unzulässige Einmischung des Staates in die Entwicklung des Islam in Deutschland aufgefasst. Es wurde kritisiert, dass sich der Staat einen „Wunschislam“ zusammenstelle und damit seine Neutralitätspflicht verletze. Trotz dieser Kritik nahmen auch die Vertreter der muslimischen Verbände an der Konferenz teil und bearbeiteten in Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis gesellschaftspolitische, religionspolitische, integrationspolitische und sicherheitspolitische Fragestellungen.

Die AG 1 diskutierte die deutsche Gesellschaftsordnung, formulierte einen Wertekonsens und prüfte dessen praktische Verwirklichung. In der AG 2 wurden Religionsfragen vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsverständnisses diskutiert. Dort wurde etwa der rechtliche Umgang mit Normen der Scharia beraten, die Ausbildung von islamischen Religionsbediensteten, die Etablierung von islamischer Theologie an deutschen Universitäten sowie die Handhabung schulpraktischer Fragen, etwa bezüglich Kleidungsvorschriften im Sport- und Schwimmunterricht, der Teilnahme an Klassenfahrten sowie des Umgangs mit religiösen Feiertagen. Die AG 3 diskutierte eine stärkere Partizipation von Muslimen an der deutschen Medienlandschaft. Der Gesprächskreis verständigte sich über das Thema Bedrohung der inneren Sicherheit durch den Islamismus in Deutschland und entwickelte Kooperationsprojekte zwischen Bund und Ländern. Die Integration der Sicherheitsthematik in die Konferenz rief unter einigen muslimischen Teilnehmern der DIK Kritik hervor, da diese den Gesprächskreis als Generalverdacht gegen Muslime auffassten.

Die intensiven und sehr kontroversen Debatten, die sich vor allem aus der Zusammensetzung der Muslime in der DIK ergaben, beschränkten sich nicht auf die Arbeitsgruppe, den Gesprächskreis und das Plenum, sondern erreichten auch den breiten öffentlichen Diskurs. Die Einbindung der Öffentlichkeit in die Prozesse und Diskussionen der DIK wurde von Wolfgang Schäuble selbst angestoßen. Wenige Tage vor Beginn der Konferenz wurde in der FAZ sein Artikel „Muslime in Deutschland“ veröffentlicht. Schäuble hat darin unter anderem seine Auffassung von der Rolle und Bedeutung von öffentlicher Religion im säkularen Staat grundsätzlich dargelegt und betont, dass Religionen gläubigen Personen Halt und Orientierung geben und Menschen miteinander verbinden können. Der säkulare Staat könne von den Antriebs- und Bindungskräften5 der Religionen profitieren, wenn die religiösen Ansprüche in den gesetzlichen Rahmen der Grund- und Bürgerrechte eingebunden seien.

Diese Passagen geben einen deutlichen Hinweis darauf, dass Schäuble den staatlichen Dialog mit den Muslimen nicht nur in integrations- und sicherheitspolitische Erwägungen eingebettet, sondern dass er die DIK auch durch die gesellschaftliche Bedeutung von Religion – Bedeutung verstanden als Relevanz und Sinngebung von Religion – begründet hat. Damit hat Schäuble im Rahmen der DIK die kooperativ ausgerichtete Religionspolitik in Deutschland bekräftigt und die Islampolitik in das Politikfeld der Religionspolitik eingebunden. Er hat damit aber auch ein neues Nachdenken über Religionspolitik in Deutschland ausgelöst. Gegenwärtig wird auf breiter gesellschaftlicher Ebene über die Beibehaltung oder Veränderung des deutschen Religionsverfassungsrechts diskutiert. Zudem erheben auch weitere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anspruch auf religionspolitische Inklusion6 und erfahren zunehmend gesellschaftspolitische Resonanz.

DIK II (2010 – 2013) – Religion, Sicherheit und Integration

Die DIK II, die von Thomas de Maizière eröffnet und nach dessen Wechsel ins Verteidigungsministerium von Hans-Peter Friedrich fortgeführt wurde, vernachlässigte solche grundsätzlichen Überlegungen zur Beziehung zwischen Staat und Religionen eher, da sie beanspruchte, praktische Aufgaben zu fokussieren. Die Struktur der DIK wurde zu diesem Zweck nur minimal verändert. Die Arbeitsgruppen und der Gesprächskreis wurden durch einen Vorbereitungsausschuss ersetzt, der Projektgruppen zu spezifischen Fragestellungen einberufen hat. Die Einladungspolitik wurde weitgehend beibehalten, allerdings wurde der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) aufgrund eines Ermittlungsverfahrens gegen führende Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) von der DIK II ausgeschlossen.7 Auch der Zentralrat der Muslime (ZMD) nahm an der Konferenz nicht teil, weil er die Vorgehensweise und Zusammensetzung ablehnte.8

Die thematische Agenda wurde in der DIK II gemeinsam vom BMI und vom Vorbereitungsausschuss erarbeitet. Hierdurch wurde der dialogische Charakter der DIK stärker betont. Zudem wurden Länder und Kommunen intensiver in die Arbeitsprozesse einbezogen. Das BMI erarbeitete mit dem Vorbereitungsausschuss drei Themenschwerpunkte: die Förderung von institutionalisierter Kooperation und integrationsbezogener Projektarbeit (zur Fortbildung von Imamen, zum islamischen Religionsunterricht und zur Etablierung theologischer Angebote), die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit (vor allem unter Muslimen) und die Prävention von Extremismus und Islamfeindlichkeit.9 Die grundlegende Bedeutung von Religion und ihre Beziehung zum Staat erläuterten de Maizière und Friedrich nur am Rande, indem sie etwa betonten, dass Religionen „den Menschen Halt“ geben und „für viele Menschen die Grundlage für ein wertegebundenes Leben in gemeinschaftlichen Bezügen“10 bilden. Durch ihre praktische Ausrichtung rückte die DIK II jedoch von solchen grundsätzlichen Überlegungen zur Religionspolitik bewusst ab. Die praktische Fokussierung der zweiten Phase der Konferenz kondensierte sich etwa in einem Leitfaden zur Fortbildung von religiösem Personal11, einer Broschüre über die bessere Integration der Muslime in den Arbeitsmarkt12 sowie in einer Erklärung gegen häusliche Gewalt.13 Zudem wurden auf einer Tagung Perspektiven und Herausforderungen eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland beleuchtet. Diese Ergebnisse der DIK II zeigen, dass auch in der zweiten Phase der Konferenz verschiedene Aspekte in der DIK kombiniert wurden: religionspolitische, integrationspolitische und sicherheitspolitische.

Vor allem die sicherheitspolitische Dimension wurde in der DIK II deutlicher herausgestellt. Friedrich hat diese Fokussierung damit begründet, dass es Aufgabe der DIK sei, „gesellschaftlicher Polarisierung und Extremismus aktiv und praxisnah entgegenzuwirken. In diesem Sinne sind Geschlechtergerechtigkeit, häusliche Gewalt, islamistischer Extremismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit ebenfalls Themen, die in der Islamkonferenz oder aber auch im Rahmen anderer Gremien erörtert werden.“14 Praktisch gelang diese Zielsetzung in der DIK II nur mangelhaft. Zwar sind wichtige Ergebnisse für die Imamausbildung und den islamischen Religionsunterricht erarbeitet worden, doch viele Akteure der DIK II zeigten sich mit dem Verlauf und der Diskussionskultur der Konferenz unzufrieden. So verließ etwa Armina Omerika, die als Einzelmuslima an der DIK partizipierte, die Konferenz, weil sie unter Bundesinnenminister Friedrich kein produktives Vorankommen der Integration des Islam für möglich hielt.15

DIK III (2014 – 2017) – Praktische Religionspolitik mit den Verbänden

Nach der Frustration über den Verlauf und die Steuerung der DIK II erfuhr das Format in der dritten Phase grundsätzliche Änderungen. Die DIK III fokussierte die religionspolitische Integration und veränderte zu diesem Zweck sowohl die Struktur der DIK als auch die Einladungspolitik. Das Plenum wurde in der DIK III durch einen zweimal im Jahr tagenden Lenkungsausschuss ersetzt, und anstelle des Vorbereitungsausschusses wurden Arbeitsausschüsse eingerichtet. Im Lenkungsausschuss wurden die Themen für die drei- bis viermal im Jahr tagenden Arbeitsausschüsse von den Teilnehmenden gemeinsam festgelegt. Die thematischen Schwerpunkte dieser Periode bildeten konkrete praktische Handlungsfelder wie Wohlfahrtspflege und die darin inkludierten Themen der Kinder- und Jugendhilfe sowie die Altenhilfe und auch die Seelsorge. Sicherheitsfragen wurden in der DIK III aus der Konferenz ausgelagert. Es wurde ein separates Dialogforum „Gemeinsam sicher leben“ gegründet. Der zuständige Innenminister, wieder Thomas de Maizière, zeigte sich in seiner Rede zum zehnjährigen Bestehen der DIK allerdings skeptisch, ob diese Auslagerung auch zukünftig Bestand haben könne. De Maizière begründete seine Bedenken mit der veränderten Sicherheitslage in Deutschland und Europa durch islamistische Terroranschläge in Paris, Brüssel und Deutschland.16 Ob die Auslagerung bzw. Einbindung von Sicherheitsfragen aus bzw. in die DIK für de Maizière primär symbolischen Charakter hatte oder ob damit auch eine veränderte politische Strategie assoziiert war, muss hier im Bereich der Spekulation verbleiben.

In der Öffentlichkeit wurde die Auslagerung von Sicherheitsfragen allerdings weniger kritisch diskutiert als die neue Einladungspolitik der DIK III. De Maizière schloss die muslimischen Einzelpersonen von der DIK aus und erweiterte stattdessen die Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden. An der DIK III waren zehn Verbände17 beteiligt. Mit ihnen sollten die angestrebten Ziele im Bereich Wohlfahrtspflege und Seelsorge umgesetzt werden. Der Ausschluss der muslimischen Einzelpersonen erregte starke öffentliche Kritik. Die Entscheidung wurde vor allem von nicht verbandlich organisierten Muslimen, liberalen islamischen Organisationen sowie von Islamkritikern kritisiert.

In der DIK III stand die religionspolitische Integration von islamischen Religionsgemeinschaften wesentlich stärker im Vordergrund als in der DIK I und II. Das wurde aber nicht durch prinzipielle Überlegungen zur Kooperation zwischen Staat und Religionen erreicht, sondern durch die Arbeit an konkreten religionspraktischen Projekten im Bereich Wohlfahrtspflege und Seelsorge. In der DIK III stand nicht die Frage im Vordergrund, wie die Muslime in Deutschland repräsentiert werden können, sondern die Frage, wie die Muslime in Deutschland handlungsfähig sein können. So fokussierte de Maizière in der DIK III vor allem regulative politische Maßnahmen, vernachlässigte aber bewusst symbolpolitische18 Wirkungen und schloss die Öffentlichkeit weitgehend aus dem Prozess aus.

Da die Kritik an der Struktur und Vorgehensweise der DIK III nicht abriss, überraschte es nicht, dass die DIK in ihrer vierten Phasen eine erneute Veränderung erfuhr.

DIK IV – Heimatministerium präsentiert Vielfalt der Muslime in Deutschland

Die DIK IV wurde mit viel Spannung erwartet. Die Konferenz wurde am 28. und 29. November 2018 mit einer großen Auftaktveranstaltung, an der über 200 Personen teilnahmen, in Berlin eröffnet. In der Grundsatzrede stellte Bundesinnenminister Horst Seehofer die Einladungspolitik, die Leitideen und Zielsetzungen der DIK IV vor und diskutierte sie in der anschließenden Podiumsdiskussion in Anwesenheit von Pressevertretern mit muslimischen, wissenschaftlichen und politischen Vertretern. Dieses öffentliche Vorgehen markiert eine deutliche Abweichung vom Kurs der DIK III. Die öffentliche Inszenierung der Auftaktveranstaltung hat eine starke symbolpolitische Wirkung entfaltet: Zum einen wurde vermittelt, dass der deutsche Staat gemeinsam mit den Muslimen in Deutschland an konstruktiven Lösungen für aktuelle Herausforderungen arbeitet. Und zum anderen bildete die DIK die häufig beschworene, aber nicht näher beleuchtete Vielfalt der Muslime in Deutschland sichtbar und, durch die Kontroversen in den Podiumsdiskussionen, deutlich vernehmbar ab.

Diese starke öffentliche Ausrichtung der Konferenz erinnert an die DIK I. Wie bereits Schäuble so veröffentlichte auch Seehofer vorab in der FAZ einen kurzen Artikel zur DIK und überschrieb ihn mit dem Titel „Ein Islam in, aus und für Deutschland“19. Diese Zielsetzung stellt eine weitere zentrale Parallele zur Aufgabenstellung der DIK I dar. In der DIK-Broschüre „Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz“ formulierte Schäuble ein ähnliches Leitmotiv für die DIK I: „Muslime in Deutschland – deutsche Muslime“.20 Hierin wird die Kontinuität der Aufgabenstellung der DIK ersichtlich. Zwar haben sich in den zwölf Jahren Deutscher Islam Konferenz viele Fortschritte ereignet, doch scheint es noch ein langer Weg zu einem Islam in, aus und für Deutschland zu sein, mit dem sich die Muslime in Deutschland mehrheitlich identifizieren können und der mit den Bestimmungen des Religionsverfassungsrechts kompatibel ist.

Dies hat sich auch in der an die Grundsatzrede von Seehofer anschließenden Podiumsdiskussion gezeigt. Dort plädierte etwa der Islamwissenschaftler und Religionspädagoge Bülent Uçar dafür, dass der Islam nicht national verengt werden dürfe, da er eine Weltreligion sei, die sich dem Zugriff politischer Entwicklungen und Beeinflussungen entziehe und somit unabhängig von politischen Kategorien sein müsse. Hat Seehofer mit dem Ziel eines deutschen Islam für eine solche theologische Anpassung plädiert? Tatsächlich deuten seine Ausführungen sowie das nachfolgende Gespräch stärker darauf hin, dass er vor allem die organisatorische Ebene des Islam in Deutschland angesprochen hat (deutsche Imame, innerdeutsche Finanzierung etc.). Diese Auslegung bekräftigen auch die Aussagen des zuständigen Staatssekretärs Markus Kerber.21 In einem Interview mit der Herder Korrespondenz (12/2018) konkretisiert dieser die Zielsetzung eines „Islam in, aus und für Deutschland“ und sagt, dass sich ein solcher deutscher Islam in das deutsche Religionsverfassungsrecht einfügen und die Religionsfreiheit akzeptieren müsse. Er artikuliert damit nicht nur die Erwartungen des BMI an die Muslime in Deutschland, sondern macht zudem deutlich, dass das BMI keine Neuausrichtung der Religionspolitik in Erwägung zieht. Das Religionsverfassungsrecht wird vom Innenministerium nicht zur Disposition gestellt. Es wird demnach als flexibel genug angesehen, um neue Religionsgemeinschaften zu integrieren. Diese Position wurde vom BMI auch in den DIK I, II und III vertreten.

Auch die praktische Ausrichtung der DIKIV, wie sie Horst Seehofer in seiner Grundsatzrede in der Auftaktveranstaltung im November 2018 artikuliert hat, schließt an die Proklamationen der DIK II und III an. Seehofer stellt „alltagspraktische Fragen des Zusammenlebens“ in den Mittelpunkt der Konferenz und betrachtet sie als Startschuss „für noch mehr Praxisorientierung in der Integrationsarbeit“.22

Anders als in der DIK III wird dafür jedoch nicht die Handlungsfähigkeit der Muslime priorisiert, sondern die Überlegung, wie die Vielfalt der Muslime in Deutschland repräsentiert werden kann. Zu diesem Zweck wurde die DIK IV als „Gesprächsprozess“ für einen breiten Teilnehmerkreis eingerichtet. Das BMI hat im Vorfeld viele Gespräche mit Experten geführt, um die Vielfalt des islamischen Lebens in Deutschland abzubilden. Vertreten waren „muslimische Einzelpersonen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die nicht an einen islamischen Verband oder eine muslimische Organisation gebunden sind. Zugleich werden stärker und umfassender verbandsunabhängige, religiöse wie säkulare Initiativen, Vereine und Organisationen einbezogen. Aber auch die Dachverbände von Moscheegemeinden, die islamischen Spitzenorganisationen und die Vertretungen unterschiedlicher Glaubensrichtungen im Islam sind vertreten. Hinzu kommen Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und des Zentralrats der Juden, aus Ministerien, aus den Bundesländern, der Kommunen und aus der Wissenschaft.“23 Anders als in der DIK I hat diese Zusammensetzung im Vorfeld der Konferenz keine hitzigen Diskussionen ausgelöst, sondern weitgehend positive Resonanz erfahren – vermutlich weil die Einladungspolitik der DIK IV vor allem auf Inklusion, Dynamik und Synergien setzt.

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime fühlte sich durch den daraus resultierenden und auf der Konferenz ausgetragenen Streit unter den Muslimen allerdings stark an die DIK I erinnert und hat in einem Facebook-Post kritisch angemerkt, dass es abzuwarten bleibe, „ob dieses framing ausreichend ist, die wirklichen Herausforderungen anzugehen“24.

Obgleich es tatsächlich abzuwarten bleibt, welche Formate die DIK IV finden wird, um konkrete Lösungsansätze zu erarbeiten, ist die Öffnung der DIK zu begrüßen, weil sie die Vielfalt des muslimischen Lebens in Deutschland wesentlich besser abbildet als alle vorangegangenen Konferenzen. Diese Vielfalt soll, so stellt das BMI klar, auch weiterhin bei allen folgenden Aktivitäten und Veranstaltungen der DIK IV präsent sein.25 Dass sich daraus viele spannungsreiche Diskussionen ergeben werden, darf bei einem Forum, das Mitglieder der Initiative säkularer Islam26, des Liberal-Islamischen Bundes, des Zentralrats der Muslime, der Türkischen Gemeinde in Deutschland, des Verbands Islamischer Kulturzentren, der Alhambra Gesellschaft e. V.27, der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft28, der DİTİB, des Sozialdiensts Muslimischer Frauen und des Kulturzentrums der Bosniaken in Berlin zusammenführt und zudem wissenschaftliche Experten, interreligiöse Akteure sowie Bundes- und Landespolitiker einbindet, als gewiss gelten.

Für Horst Seehofer resultiert die Einbeziehung der verschiedenen religiösen, säkularen sowie laizistischen Teilnehmer an der DIK IV daraus, dass sie alle von „der Wahrnehmung der Muslime und des Islams in unserer Gesellschaft“ sowie „dem Zusammenleben der verschiedenen Religionen oder der Integration von Zuwanderern aus islamischen Staaten“ betroffen seien. Seehofer legt der DIK IV deshalb ein breites Islamverständnis zugrunde, das sich nicht ausschließlich durch eine – wie auch immer beschaffene – religiöse Bindung zum Islam bestimmt, sondern auch durch Herkunft und Kultur.

Etwas irritierend mutet vor diesem Hintergrund dann jedoch Seehofers Auftreten in der Podiumsdiskussion an, in der primär religionspolitische Fragen wie die Imamausbildung und die Auslandsfinanzierung von Moscheegemeinden im Vordergrund stehen. Auch Seehofers Versuch, Aiman Mazyek dazu zu bewegen, seinem Ministerium einen verbindlichen Gesprächspartner, der die Muslime in Deutschland repräsentiert, zu nennen, wirkt nicht so, als hätte Seehofer den Ansatzpunkt der DIK IV nachhaltig verinnerlicht. Auch Markus Kerber vermag diese Verwirrung nicht gänzlich aufzulösen. In dem erwähnten Interview mit der Herder Korrespondenz erläutert er, dass es ein zentrales Anliegen der neuen DIK sei, die „muslimische Zivilgesellschaft“29 sichtbar zu machen. Er versteht darunter eine vielgestaltige muslimische Kultur. Dieser Vielfalt integrationspolitisch zu begegnen, sei Aufgabe der aktuellen DIK: „Die Klärung vor allem der religionsverfassungsrechtlichen Fragen war wahrscheinlich für die erste Phase der DIK ein notwendiges Vorgehen, scheint aber, wenn man die … große Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischer Abstammung sieht, nicht das allein und ausschließlich Entscheidende zu sein. Dem müssen wir integrationspolitisch gerecht werden.“30 Dieser Aufgabe will das BMI etwa durch wissenschaftliche Forschungen begegnen, um die aktuelle Zusammensetzung der Muslime in Deutschland besser zu verstehen. Dass Kerber damit eine wichtige Aufgabe benennt, ist offenkundig. Es bleibt allerdings unklar, wie eine solche integrationspolitische Aufarbeitung aussehen und wie die nachhaltige Sichtbarmachung der nicht näher definierten „muslimischen Zivilgesellschaft“ erfolgen soll.

Fazit

Die Deutsche Islam Konferenz hat in den letzten zwölf Jahren viele wichtige Ergebnisse hervorgebracht und Strukturveränderungen erfahren. Während die DIK I vor allem symbolpolitische Akzente gesetzt und neue religionspolitische Diskussionen in Deutschland angeregt hat, setzte die DIK II sicherheits- und integrationspolitische Akzente. Beide Konferenzen operierten mit einigen ausgewählten Repräsentanten des Islam in Deutschland. Die DIK III rückte von dieser Einladungspolitik sowie von der symbolpolitischen Ausrichtung der DIK ab. Sie verlagerte ihre Agenda konsequenter auf die regulative Politik. Dabei wurde die Teilnehmerstruktur verkleinert, um auf diese Weise handlungsfähige statt streitende Akteure zusammenzubringen. Die DIK IV versucht nun, die Fäden wieder zusammenzuführen und sowohl symbolpolitisch wirksam zu werden als auch regulative Ergebnisse für einen „Islam in, aus und für Deutschland“ zu erreichen. Durch die Auftaktveranstaltung überzeugte sie vor allem durch die Abbildung der muslimischen Vielfalt in Deutschland. Wir dürfen gespannt sein, ob sie auch Akzente in der regulativen Politik setzen wird.

 

1   Horst Seehofer: Grundsatzrede zum Auftakt der 4. Deutschen Islam Konferenz, www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2018/11/rede-dik-20181128.html (Abruf: 12.12.2018).

2   Wolfgang Schäuble: Deutsche Islam Konferenz – Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft. Rede zur 54. Sitzung des Deutschen Bundestages, in: Deutsche Islam Konferenz (Hg.): Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, Berlin 2009.

3   Marcel Klinge: Islam und Integrationspolitik deutscher Bundesregierungen nach dem 11. September 2001. Eine Politikfeldanalyse der ersten Deutschen Islam Konferenz und ihrer Implikationen für die nationale Integrationspolitik, Berlin 2012, 143f.

4   Schäuble: Deutsche Islam Konferenz (s. Fußnote 2), 17.

5   Vgl. Wolfgang Schäuble: Muslime in Deutschland (Namensartikel in der FAZ vom 27.9.2006), www.wolfgang-schaeuble.de/wp-content/uploads/2015/04/060927faz.pdf (Abruf: 11.12.2018).

6   Dies äußert sich etwa in der Forderung nach einer Konferenz über Religions- und Weltanschauungsfragen durch den Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Florian Zimmermann. Zimmermann sieht das langfristige Ziel einer solchen Konferenz in der Reform des Staatskirchenrechts. Vgl. hpd: Der Islam, eine ganz normale Religion?, https://hpd.de/artikel/islam-ganz-normale-religion-16253 (Abruf: 21.12.2018).

7   Die IGMG ist Mitglied des IRD.

8   Vgl. Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD): Der Zentralrat der Muslime wird an der geplanten Islamkonferenz nicht teilnehmen, http://zentralrat.de/15833.php. Statt IRD und ZMD nahm die Türkische Gemeinde Deutschlands (TGD), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland e. V. (IGBD) und der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD) an der DIK II teil.

9   Vgl. Thomas de Maizière: „Teilhabe der Muslime in Deutschland verbessern!“ (Rede im Plenum der Deutschen Islam Konferenz), Berlin, 17.5.2010, www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/DE/Downloads/Sonstiges/20100517-Ministerrede.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 7.1.2019).

10  Ebd.

11  www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/DE/Downloads/Sonstiges/Leitfaden-Imamfortbildung-2011.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 19.12.2018).

12  www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/DE/Downloads/LenkungsausschussPlenum/dik-broschuere-pg-a-download.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 19.12.2018).

13  www.deutsche-islam-konferenz.de/SharedDocs/Anlagen/DIK/DE/Downloads/LenkungsausschussPlenum/dik-erklaerung-haeusliche-gewalt-download.pdf?__blob=publicationFile (Abruf: 19.12.2018).

14  Hans-Peter Friedrich: Islamkonferenz. Migration – Kommunikation – Integration. Rede anlässlich der Tagung der Eugen-Biser-Stiftung, www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Service/Bottom/RedenInterviews/ Reden/20110620-ministerrede-biser.html (Abruf: 13.12.2018).

15  Vgl. „Friedrich schlecht integriert“. Wissenschaftlerin verlässt Islamkonferenz, www.taz.de/!5095825 (Abruf: 13.12.2018).

16  Vgl. Thomas de Maizière: Den Dialog fortsetzen. 10 Jahre Deutsche Islamkonferenz, 27.9.2016, www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/09/2016-09-27-10-jahre-deutsche-islam-konferenz.html?nn=694676 (Abruf: 20.7.2018).

17  Beteiligt waren folgende Verbände: Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ), Alevitische Gemeinde Deutschland e. V., Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland – Zentralrat e. V. (IGBD), Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e. V. (IGS), Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V. (IRD), Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., Türkische Gemeinde in Deutschland e. V. (TGD), Verband der islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ), Zentralrat der Marokkaner in Deutschland e. V. (ZRMD) und Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD).

18  Als Symbolpolitik wird eine gezielte Darstellung der Politik in der Öffentlichkeit bezeichnet, die sowohl eine Repräsentations- und Politikvermittlungsfunktion als auch eine Orientierungsfunktion und Steuerungsfunktion haben kann. Vgl. Christian Becker: Rituelle Inszenierung der Staatengemeinschaft. Theorie und empirische Analyse am Beispiel von VN-Generaldebatte und M+5-Gipfel, Wiesbaden 2014, 80.

19  Vgl. Horst Seehofer: Ein Islam in, aus und für Deutschland, in: FAZ, 26.11.2018.

20  Das Motto „Muslime in Deutschland – deutsche Muslime“ wird auf der Website der DIK auch zur Beschreibung der Auftaktveranstaltung der DIK IV verwendet. Vgl. www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/01_UeberDieDIK/01_Aktuelles/09dik2018-auftaktsitzung/auftakt-dik-inhalt.html?nn=5812596 (Abruf: 21.12.2018).

21  Die Personalie des Staatssekretärs Markus Kerber stellt eine weitere Kontinuität zwischen der DIK I und der DIK IV dar, denn Kerber war bereits in der ersten Konferenz unter Schäuble als Staatssekretär für die DIK zuständig.

22  Horst Seehofer: Grundsatzrede des Bundesinnenministers zum Auftakt der 4. Deutschen Islam Konferenz, www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2018/11/rede-dik-20181128.html (Abruf: 7.1.1019).

23  DIK: Deutsche Islam Konferenz startet mit Auftaktveranstaltung, www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/01_UeberDieDIK/01_Aktuelles/09dik2018-auftaktsitzung/auftakt-dik-inhalt.html?nn=5812596 (Abruf: 12.12.2018).

24  Aiman Mazyek: Facebook-Post zur DIK, www.facebook.com/AimanMazyek2/posts/2062236920698280 (Abruf: 19.12.2018).

25  Vgl. DIK: Deutsche Islam Konferenz startet mit Auftaktveranstaltung (s. Fußnote 23).

26  Die „Initiative säkularer Islam“ wurde wenige Tage vor der Auftaktveranstaltung der DIK IV gegründet. Zu den Initiatoren zählen Cem Özdemir, Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek, Bassam Tibi und Ahmad Mansour.

27  Die Alhambra Gesellschaft ist ein Zusammenschluss von Muslimen, die sich selbst als originärer Teil der europäischen Geschichte und ihrer jeweiligen europäischen Heimatgesellschaft verstehen. Sie möchten vor allem jungen Muslimen mehr Angebote im Bereich der politischen Bildung sowie in Kunst und Kultur machen. Vgl. https://alhambra-gesellschaft.de/wer-wir-sind (Abruf: 19.12.2018).

28  Die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) ist eine universitäre Plattform für Forschung und Transfer in islamisch-theologischen Fach- und Gesellschaftsfragen. Sie ist an die Universität Frankfurt angegliedert. Wichtiges Entscheidungsgremium ist das Akademie-Board, in dem die kooperierenden universitären Standorte für islamisch-theologische Studien in Deutschland vertreten sind. Die AIWG wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Stiftung Mercator gefördert. Vgl. https://aiwg.de/ueber_uns/9 (Abruf: 19.12.2018).

29  Markus Kerber: Interview mit der Herder Korrespondenz 12/2018, 16.

30  Ebd.