Interreligiöser Dialog

Die 4. Lange Nacht der Religionen in Berlin

Dass wir in einer Gesellschaft kultureller, religiöser und weltanschaulicher Pluralität leben, ist nicht erst seit gestern bekannt. Toleranz und Akzeptanz sind im Kontext religiöser und weltanschaulicher Vielfalt keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen gelernt werden. Wie aber kann Intoleranz entgegengewirkt werden? Und wo liegen die Grenzen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs?

Eine mögliche Antwort auf solche Fragen stellt die „Lange Nacht der Religionen“ dar, die dieses Jahr bereits zum vierten Mal in Berlin stattfand. Über 90 religiöse Gemeinschaften Berlins öffneten am Abend des 29. August 2015 ihre Türen, um Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich über die unterschiedlichsten religiösen Weltanschauungen zu informieren. Von der Adventgemeinde Lichtenberg über die Moschee der Neuköllner Begegnungsstätte bis hin zum Zen Zentrum Berlin präsentierte das oft als gottlos betitelte Berlin die tatsächlich vorhandene religiöse Vielfalt. Dass an diesem Abend auch religiöse Gruppen wie die „Christliche Wissenschaft“, die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ oder die buddhistische Gruppe „Yun Hwa Dharma Sah“ an der vom Berliner Senat initiierten und von einem interreligiös besetzten Initiativkreis vorbereiteten Veranstaltung teilnahmen, wäre noch vor wenigen Jahrzehnten sicherlich keine Selbstverständlichkeit gewesen.

Die Akzeptanz oder zumindest die Toleranz gegenüber den meisten neuen religiösen Bewegungen scheint in den vergangenen Dekaden gestiegen zu sein und drückt sich auch im Programm der Langen Nacht der Religionen aus. Gleichzeitig wird in zahlreichen öffentlichen Diskursen auch deutlich, dass Religionskonflikte zunehmen und keineswegs im Kontext des religiösen Pluralismus verschwinden. Auf meine Anfrage bei den Veranstaltern wurde mir erläutert, dass alle (!) religiösen Gruppen teilnehmen dürften, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptieren und während der Langen Nacht der Religionen auf pointierte Werbung verzichten. Im Zweifelsfall würde man nach der Anfrage zur Teilnahme Informationen zu der jeweiligen Gruppe einholen. Scientology beispielsweise würde nicht die Möglichkeit der Teilnahme zugesprochen werden, da es sich aus Sicht der Veranstalter nicht um eine Religionsgemeinschaft, sondern um ein Wirtschaftsunternehmen handle.

Die Lange Nacht der Religionen spiegelt aber nicht nur die Toleranz gegenüber neuen religiösen Bewegungen wider. Sie senkt durch den offiziellen und breiten Rahmen auch die Hemmschwelle, sich mit unbekannten, vielleicht auch konfliktträchtig erscheinenden Gruppen, mit ihren fremden Glaubensinhalten und -praktiken auseinanderzusetzen. „Das baut Fremdheit ab, beseitigt Vorurteile und ist ein wichtiger Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt“, heißt es auf der offiziellen Homepage (http://nachtderreligionen.de/wir-ueber-uns).

Interreligiöser Dialog fördert das Gespräch mit Menschen anderen Glaubens. Das, was in Kultur- und Geisteswissenschaften als „teilnehmende Beobachtung“ gelehrt und angewandt wird, konnten auch die Besucherinnen und Besucher der Langen Nacht der Religionen praktizieren. Und so wurde dem einen oder anderen vielleicht bewusst, dass es trotz grundlegender lehrmäßiger Unterschiede auf der Ebene religiöser Praktiken zahlreiche Gemeinsamkeiten gibt. Hindus, Sikhs, Muslime, Christen und Atheisten saßen bei der Eröffnung der Langen Nacht der Religionen gemeinsam speisend an einer weißen Tafel auf einem öffentlichen Platz, lernten etwas über den Glauben anderer und wurden angeregt, die eigene Überzeugung zu reflektieren. Etwa 10 000 Menschen besuchten die Kirchen, Tempel, Moscheen, Synagogen und Gemeindehäuser in diesem Jahr. Fortsetzungen der Veranstaltungsreihe sind geplant.


Christian Henneberger, Berlin