Ulrich H. J. Körtner

Dialog und Unterscheidung

Grußwort bei der Verabschiedung Reinhard Hempelmanns

„Begegnung und Auseinandersetzung“ – so lautete das Thema beim ersten Jahresempfang der EZW vor fünf Jahren. Den programmatisch klingenden und tatsächlich auch so gemeinten Titel hatte Reinhard Hempelmann vorgeschlagen. Fast beiläufig fiel dann bei der gut besuchten Veranstaltung der Hinweis, man wolle bei dieser Gelegenheit noch einmal dem Leiter der EZW zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, der schon einige Monate zurücklag. Diese Begebenheit ist für Reinhard Hempelmann charakteristisch. Die Sache, für die er mehr als 25 Jahre mit Leidenschaft und Hingabe eingetreten ist – davon 20 Jahre in leitender Verantwortung –, stand und steht bei ihm ganz im Vordergrund, während er um seine Person kein Aufhebens macht und auch nicht möchte, dass andere dies tun. Wie viel ihm die EZW, aber auch die Kirche – die EKD wie ihre Gliedkirchen – zu verdanken haben, konnte bei solcher Bescheidenheit gelegentlich schon einmal etwas aus dem Blick geraten. Heute aber ist der rechte Moment, Hempelmanns Verdienste im größeren Rahmen zu würdigen.

Die ihm zum 65. Geburtstag gewidmete Festschrift trägt den Titel „Schule der Unterscheidung“1. Wie der Untertitel verrät, geht es um das Anliegen, den reformatorischen Glauben zur heutigen religiös-weltanschaulichen Vielfalt ins rechte Verhältnis zu setzen. Das aber geschieht bei Hempelmann unter der programmatischen Formel „Begegnung und Auseinandersetzung“. Bei allen Veränderungen der religiös-weltanschaulichen Landschaft und auch den Umbrüchen, die sich in Deutschland, in Europa und weltweit mit dem Jahr 1989 und seinen Folgen verbinden, ist doch das Erbe reformatorischer Theologie für Hempelmann stets die Quelle und innere Achse seines theologischen Denkens geblieben. Seine 1992 im Druck erschienene Dissertation über die Sakramententheologie im evangelisch-katholischen Dialog („Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils“), die von Albrecht Peters in Heidelberg betreut wurde, war kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt.

Geprägt hat Hempelmann aber auch die lutherische Frömmigkeit seiner ostwestfälischen Heimat, in der wir beide in unmittelbarer Nachbarschaft aufgewachsen sind. Die Minden-Ravensberger Erweckung im 19. Jahrhundert wirkte noch in unserer Kindheit und frühen Jugend nach. Die Jugendarbeit war fest in Händen des CVJM, und dass Reinhard Hempelmann, bevor er 1992 an die damals noch in Stuttgart ansässige EZW berufen wurde, acht Jahre als Dozent an der CVJM-Sekretärschule – heute die CVJM-Hochschule – in Kassel wirkte, war, biografisch gesehen, eine durchaus stimmige Station auf seinem beruflichen Weg.

Für das in Stuttgart übernommene EZW-Referat für pfingstlerische Gruppierungen, christlich-fundamentalistische Strömungen sowie evangelikale und charismatische Gemeindebildungen und Aktivitäten innerhalb der Landeskirchen brachte Hempelmann die besten Voraussetzungen mit. Nach der 1997 abgeschlossenen Übersiedlung der EZW von Stuttgart nach Berlin übernahm er 1998 deren Leitung.

Der Wechsel von Stuttgart nach Berlin wie auch die zum Teil tiefgreifenden Veränderungen der gesellschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Landschaft, die mit dem Ende der „Bonner Republik“ und dem Entstehen der „Berliner Republik“ einhergingen, aber auch durch Migrationsbewegungen hervorgerufen werden, stellten die EZW vor neue Fragestellungen und Herausforderungen. Dass sie auf diese bisher wissenschaftlich fundiert, differenziert, aber zugleich evangelisch klar profiliert geantwortet hat, ist ganz wesentlich der umsichtigen Leitung wie auch der hohen fachlichen Kompetenz Reinhard Hempelmanns zu verdanken, die sich in einschlägigen Publikationen wie auch in seiner Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät Leipzig zeigt.

Wegweisend für die gegenwärtige wie die künftige Arbeit der EZW ist die Art und Weise, in der Hempelmann die Aufgabe der Apologetik bestimmt. Zur Erinnerung: In ihrer Gründungszeit hieß die heutige EZW „Apologetische Centrale“. Was einst mit Verteidigung des Glaubens übersetzt wurde – nämlich die dem Glauben gemäß 1. Petrus 3,15 aufgetragene Rechenschaft über die christliche Hoffnung und ihren Grund –, interpretiert Hempelmann in einem Grundlagentext aus dem Jahr 2013 als „kreatives Geschehen: die Artikulation christlicher Identität unter Einbeziehung ihres Gegenübers“2. Apologetik, so verstanden, bewegt sich im Spannungsfeld von „Dialog und Unterscheidung“ – so der Titel einer 2000 von Reinhard Hempelmann und Ulrich Dehn herausgegebenen Textsammlung (EZW-Texte 151).

Hempelmann schreibt: „Es ist eine Grundfrage der Apologetik, in welcher Weise das christlich-theologische Nachdenken die Verhältnisbestimmung zu den weltanschaulichen und geistigen Herausforderungen des Säkularismus und des religiösen Pluralismus vollziehen soll. Die Extreme lauten hier: entschlossener Gegenkurs, deutliche Antithese, autoritatives Geltendmachen der christlichen Wahrheit; oder aber: Annäherung bzw. Anpassung an das säkulare Wirklichkeitsverständnis, Suche nach Dialogchancen bzw. nach neuen Inkulturationen des Christlichen unter den Bedingungen der multireligiösen Moderne. Zwischenpositionen führen zwangsläufig dazu, im kritischen Dialog mit zwei Seiten zu stehen. Auf dieses Zwischenfeld muss sich apologetische Arbeit heute jedoch begeben, so sehr sich Wahrheit und Liebe nicht voneinander trennen lassen. Sie darf sich weder auf die bloße Inschutznahme der Kulte, Religionsgemeinschaften, weltanschaulichen Gemeinschaften, Anbieter auf dem Psychomarkt konzentrieren, noch sich auf einen Abwehrkampf gegen alles religiös Fremde und Andersartige reduzieren. Es kommt darauf an, beides zusammenzuhalten: dialogische Offenheit und Standfestigkeit, Gesprächsbereitschaft und den Mut zur Unterscheidung, gegebenenfalls auch den Protest und Widerspruch gegenüber krankmachender und verletzender Religiosität.“3

Was Hempelmann programmatisch als apologetische Aufgabe umreißt, hat er in der Art und Weise vorgelebt, in der er die Arbeit der EZW ausgerichtet und sich als ebenso aufmerksamer und zugewandter wie kritischer Gesprächspartner auf den Dialog mit religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften und Strömungen eingelassen hat. Dabei ist er stets auf Fairness im Umgang mit anderen bedacht, ohne die Frage nach der Wahrheit zu verabschieden und Toleranz mit Indifferenz zu verwechseln. Weil die Wahrheitsfrage im interreligiösen und weltanschaulichen Dialog nicht aufgegeben werden darf, verdient Hempelmanns Feststellung Zustimmung: „Der Versuch dürfte aussichtslos sein, das Apologetische durchgehend durch das Dialogische ersetzen zu wollen. Beides gehört zusammen.“4 Eben darum braucht es auch in der Zukunft eine solide ausgestattete, theologisch wie organisatorisch unabhängige EZW, mag sie auch juristisch betrachtet eine unselbständige Dienststelle der EKD sein. Die EZW steht personell und organisatorisch vor einer Umbruchphase. Dem scheidenden Leiter ist es zu danken, dass sie für diese Phase gut gerüstet ist.

Zu danken habe ich ihm aber auch als ehemaliger Vorsitzender des Kuratoriums der EZW und möchte das im Namen aller Kuratoriumsmitglieder tun, der alten wie der neuen. Meine Berufung zum Kuratoriumsvorsitzenden Ende 2012 ging wohl auf eine Anregung Reinhard Hempelmanns zurück. Obwohl wir uns zuvor nur vereinzelt begegnet waren, war unser Verhältnis von Beginn an durch Sympathien und ein großes wechselseitiges Vertrauen geprägt. Rasch stellten wir fest, wie sehr wir in theologischen Grundsatzfragen übereinstimmten. Regelmäßig haben wir uns zwischen den Kuratoriumssitzungen in intensiven Gesprächen über die theologische, die kirchliche und die religiös-weltanschauliche Großwetterlage ausgetauscht. Ich habe von diesen Gesprächen stets profitiert. Aber auch mit den übrigen Kuratoriumsmitgliedern pflegte Hempelmann eine vertrauensvolle, von Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit. Von diesem Geist und Hempelmanns verbindlicher Art waren auch die Kuratoriumssitzungen geprägt.

Mit Reinhard Hempelmann zusammenarbeiten zu dürfen, war mir stets eine Freude und Ehre. Mehr noch: Aus der sechsjährigen Zusammenarbeit ist eine Freundschaft erwachsen, für die ich Reinhard Hempelmann an dieser Stelle aus tiefem Herzen danken möchte. Sie wird über unser beider Ausscheiden aus der Arbeit der EZW hinaus Bestand haben.


Ulrich H.J.Körtner
 

Anmerkungen

  1. Friedmann Eißler / Kai Funkschmidt / Michael Utsch (Hg.): Schule der Unterscheidung. Reformatorischer Glaube und religiös-weltanschauliche Vielfalt, Leipzig 2018.
  2. Reinhard Hempelmann: Apologetik, https://ezw-berlin.de/html/3_3045.php  (Abruf: 1.4.2019).
  3. Ebd.
  4. Ebd.