Thorsten-Marco Kirschner

Der Sabbat und das Ende der Welt

Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten

Im Jahre 2006 erschien das Buch des adventistischen Theologen und Neutestamentlers Jon Paulien, Das Ende der Welt – Was die Bibel tatsächlich darüber sagt, Lüneburg 2006. Ausgehend von diesem Buch analysiert der folgende Beitrag adventistische Lehrmeinungen zur Endzeit und zum Sabbat bei unterschiedlichen adventistischen Autoren.


Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten (STA) erwartet bereits seit ihrer Entstehung gegen Ende des 19. Jahrhunderts die baldige Wiederkunft Christi. Sie vertritt dabei die Auffassung, dass ein genaues Datum für die Wiederkunft Christi weder offenbart wurde noch errechnet werden kann.1 Dennoch werden der gegenwärtige Zustand der Welt sowie erfüllte Prophezeiungen als Hinweis verstanden, dass Christi Kommen nahe bevorstehe. Die gesamte Welt sei durch den Sündenfall in einen großen Kampf zwischen Satan und Christus hineingezogen. Dieser Kampf gehe auf eine letzte Auseinandersetzung zu, welche die Offenbarung des Johannes (Apk) beschreibe. Thema dieser letzten Auseinandersetzung werde die Anbetung sein, so Jon Paulien, Professor für Neues Testament an der Adventistischen Andrews Universität, Michigan, USA. Anbetung sieht der Theologe auch als zentrales Thema im 13. und 14. Kapitel der Apokalypse, den Kapiteln, die den Beginn des letzten Kampfes beschreiben. Der Drache und das Tier sowie das Bildnis des Tieres werden von den Völkern angebetet, die treuen Übrigen Gottes hingegen beten Christus das Lamm an.

Prüfstein für wahre und falsche Anbetung ist nach dieser Auffassung der Sabbat. Es sind die ersten vier Gebote, die sich nach adventistischem Verständnis mit der Anbetung auseinandersetzen. Die ersten vier Gebote,2 welche Paulien auch als Gebote der ersten Tafel bezeichnet, beanspruchen Gültigkeit für alle Menschen. Die übrigen sechs Gebote sind Gebote für das praktische Verhalten von Christen. Da die Apokalypse vom allgemeinen Ende der Welt handele, setze sie sich mit „für die Welt entscheidenden Glaubenslehren“3 auseinander. Der Satan werde diese verfälschen. Der Alleinverehrung Gottes werde die Anbetung des Tieres aus dem Meer entgegengesetzt und dem Bilderverbot das anzubetende Bild des Tieres. Der Name Gottes werde vom Tier missbraucht und gelästert. Der Sabbat, welcher als Siegel für die Christen stehe, wird durch das Zeichen des Tieres ersetzt.

Der Sabbat als Zeichen der Treue und Siegel des Gesetzes

a) Ellen Gould White: Der Sabbat als trennende Mauer

Die Lehre vom Sabbat als Zeichen oder Siegel der wahren Christen besteht bereits seit den Anfängen der STA. 1847 empfing Ellen Gould White, Mitbegründerin der STA, eine Vision, dass die Heiligung des Sabbats trennende Mauer zwischen Ungläubigen und wahren Gläubigen sei. In ihrem noch heute für die STA bedeutenden Buch „Der große Kampf zwischen Licht und Finsternis“ schreibt White: „Die Feinde des Gesetzes Gottes ...haben eine andere Vorstellung von Wahrheit und Pflicht. Zu spät erkennen sie, daß der Sabbat des vierten Gebots das Siegel des lebendigen Gottes ist. ...Religionslehrer haben Seelen ins Verderben geführt, während sie vorgaben, sie zu den Toren des Paradieses zu geleiten. Erst am Tage der endgültigen Abrechnung wird man begreifen, wie groß die Verantwortung der in heiligen Ämtern dienenden Menschen ist, und wie schrecklich die Folgen ihrer Untreue sind. Nur in der Ewigkeit können wir den Verlust einer einzigen Seele richtig einschätzen. Furchtbar wird dessen Los sein, zu dem Gott sagen wird: Gehe hinweg von mir, du gottloser Knecht!“4

b) Generalkonferenz der STA: Sabbat als Beweis der Treue

In einer 1988 von der Generalkonferenz der STA in den Vereinigten Staaten herausgegebenen Erklärung zu den Glaubensüberzeugungen der Adventisten wird die Lehre vom Sabbat als „Siegel des Gesetzes Gottes“ erläutert. Unter den zehn Geboten trägt nur das Sabbatgebot die Elemente eines Siegels. Diese Elemente sind der Name des Eigentümers (im vierten Gebot: der Herr, dein Gott), dessen Titel (Schöpfer) sowie sein Hoheitsgebiet (Himmel und Erde). Allein das vierte Gebot nennt die Autorität hinter den Geboten und bürgt so als Siegel Gottes für Glaubwürdigkeit und Verbindlichkeit des Gesetzes. Das vierte Gebot wird daher auch zum zentralen Zeichen des Bundes Gottes mit seinem Volk.5 In diesem Bund prüft Gott die Treue seiner Partner. Wie die Treue Adams und Evas am Baum der Erkenntnis geprüft wurde, so prüft Gott auch die Treue eines jeden Menschen am Sabbatgebot. Zum Zeitpunkt der Wiederkunft Christi wird die Menschheit in zwei Teile geteilt sein, „auf der einen Seite die Treuen, die da halten die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus, und auf der anderen jene, die das Tier und sein Bild anbeten (Apk 14,12.9). Zu dieser Zeit wird Gottes Wahrheit vor der Welt verherrlicht, und allen wird klar werden, daß die Heiligung des biblischen Sabbats ein Beweis der Treue zum Schöpfer ist.“6

Eine weitere Besonderheit des Sabbatgebotes ist nach Auffassung der Generalversammlung sein hohes Alter. Schon bevor Gott die zehn Gebote am Sinai mitteilte, sollten Menschen den Sabbat halten. „Die einleitenden Worte des Gebots – ,Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest‘ – zeigen, daß der Sabbat nicht erst am Sinai eingesetzt wurde. Sie deuten an, daß er aus früherer Zeit stammt, nämlich aus der Zeit der Schöpfung.“7 Da die Schrift Christus mit dem Vater als Schöpfer beschreibt, gehen Adventisten davon aus, dass Christus den Sabbat als Ruhetag abgesondert habe. Eine Verknüpfung des Sabbats mit Christi Erlösungswerk sehen sie einerseits in Christi irdischer Verkündigung, er habe den Sabbat als Tag benannt, der um der Menschen willen gemacht ist (Mk 2,27), andererseits im Zeitpunkt des Todes Christi: „Am Freitag, dem sechsten Tag der Woche, beendete Christus sein Erlösungswerk auf Erden, indem er ausrief: ,Es ist vollbracht!’ (Jo 19,30) Die Schrift betont im Blick auf den Zeitpunkt seines Todes: ,Es war Rüsttag, und der Sabbat brach an.‘ (Lk 23,54) Danach ruhte Jesus im Grab, ein bildhafter Hinweis darauf, daß die Erlösung des Menschen abgeschlossen war. ... So ist der Sabbat gleicherweise ein Zeuge für das Schöpfungs- wie auch das Erlösungswerk Christi.“8

c) Jon Paulien: Sabbat

Paulien misst der Vorstellung vom Sabbat als Siegel Gottes ebenfalls große Bedeutung bei. Die 144 000 in Apk 14 tragen an ihrer Stirn ein Siegel. Alle Menschen sollen aber das Zeichen des Tieres tragen, ein Siegel des Antichristen. Dieses Zeichen soll an Stirn und rechter Hand getragen werden (Apk 13,16). Paulien erwähnt die gegensätzliche Aufforderung Moses an das Volk Israel, das Gesetz zur ständigen Erinnerung an Arm und Stirn zu tragen (Dt 6,6-8). Die Zeichen des Antichristen an Stirn oder rechter Hand stehen dann für zwei unterschiedliche Bündnisse des Bösen. Diejenigen, die das Zeichen an der Stirn tragen, was symbolisch für Denken steht, verehren den Antichristen religiös und teilen seine Überzeugungen. Diejenigen, die das Zeichen an der Hand tragen, ein Symbol für Handel(n) und Wirtschaft, unterstützen den Antichristen, um politische oder ökonomische Ziele zu erreichen.9

Die besondere Eignung des Sabbatgebots als Beweis der Treue sieht Paulien darin, dass es einen anderen Charakter als die übrigen Gebote habe. Alle anderen Gebote lassen eine gewisse Logik erkennen, „deren Befolgung auch für uns Menschen zum Vorteil ist.“10 Diesen Vorteil bietet ein Ruhetag auch, aber dafür muss es nicht der Sabbat sein. „Treue kann man nur testen, wenn derjenige keinen Gewinn oder eigenen Nutzen davon hat, dass er treu ist. ... Gott sagt zu uns einfach: Heilige den Sabbat (und nicht den Sonntag), weil ich es möchte. Das Sabbatgebot steht damit als einziges der Zehn Gebote auf einer Stufe mit dem ersten Gebot Gottes an die Menschen im Garten Eden. ... Am Ende der Weltgeschichte wird der Sabbat zu einem idealen Test, an dem sich erweist, ob wir Gott um seiner selbst willen dienen oder weil wir von ihm etwas dafür bekommen. Wenn wir den Sabbat heiligen, obwohl wir dadurch unsere Arbeit, unsere Familie oder sogar unser Leben verlieren, wird das Universum sehen, dass wir Gott von ganzem Herzen lieben.“11

d) Rolf Pöhler

Rolf Pöhler, theologischer Referent beim norddeutschen Verband der STA, tritt für ein weitsichtiges Verständnis des Sabbats und der Zugehörigkeit zum Christentum ein. In einem in der Zeitschrift „Advent-Echo“ (AE) veröffentlichten Beitrag bestätigt Pöhler die Gültigkeit des Sabbats auch für den neuen Bund, betont aber, dass nicht im Sabbat das Heil liege, sondern dies allein in Jesus Christus zu finden sei (AE 10/2005).

In einer anderen Ausgabe schreibt Pöhler über die „Übrigen“: Adventisten bezeichnen sich gern als die Gemeinde der Übrigen ... der Leib Christi ist mit keiner organisierten Kirche oder religiösen Institution gleichzusetzen. ... Siebenten-Tags-Adventisten sind noch dabei, ihre ursprüngliche, kurzsichtig-verengte Auffassung von der kleinen Schar verfolgter und versprengter Sabbathalter der weitsichtigen Offenbarung Christi anzugleichen“ (AE 03/2006).

Zwei Monate später druckte „Advent-Echo“ einen Leserbrief ab, in dem ein Leser Pöhlers Aussagen widerspricht und auf White verweist, für welchen die „Siebenten-Tags-Adventisten Gottes endzeitliches Volk, die Gemeinde der Übrigen“ waren. Außerdem verweist der Leser auf Folkenberg, einen ehemaligen Präsidenten der Generalkonferenz, dieser schreibt: „Als Siebenten-Tags-Adventisten glauben wir, dass uns als Gottes Gemeinde der Übrigen in diesen letzten Tagen eine prophetische Rolle zukommt. ... In Offenbarung 12,17 bezeichnet Johannes Gottes treues Volk in der Endzeit als die übrigen von ihrem [der Frau] Geschlecht, die Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu. Siebenten-Tags-Adventisten identifizieren sich mit dieser Beschreibung. Wir sehen uns als Gottes Rest-Gemeinde.“ (AE 05/2006)

Bewertung

Die Aussagen zur Verbindung von Sabbat und Weltende berühren die Frage nach der Zugehörigkeit zum „wahren Christentum“. Die Gemeinschaft der STA betont, dass die Einhaltung des Sabbats zur Nachfolge Jesu gehöre, da dieser auch den Sabbat gehalten habe. Die Bedeutung des Sabbats für die Adventisten ist kaum zu überschätzen. Die besondere Hervorhebung des Sabbatgebotes über die anderen neun Gebote ist jedoch nicht berechtigt. Es zeugt von einem eklektischen Umgang mit biblischen Schriften, die Zehn Gebote als besondere Offenbarung Gottes hinzustellen, mit der Begründung, Gott selbst habe sie geschrieben, während andere Teile der Bibel „nur“ von Menschen geschrieben worden seien. Die gesamte Bibel wurde von Menschen geschrieben. Eine direkte Autorenschaft Gottes für die Zehn Gebote anzunehmen, ist historisch fragwürdig und theologisch wenig hilfreich. Die Bibel enthält nach christlichem Verständnis Gottes Offenbarung in menschlichen Worten. Die Gültigkeit oder Qualität von biblischen Aussagen ist nicht daran zu messen, wem sie durch die biblischen Autoren zugeschrieben werden. Der zweite Schritt, die Annahme eines göttlichen Siegels für das Gesetz durch die Erwähnung von Namen, Titel und Hoheitsgebiet Gottes im Sabbatgebot, erscheint als willkürlich. Im biblischen Text gibt es keine Anhaltspunkte für eine Identifikation der Versiegelung der Treuen (Apk 7) mit der postulierten Versiegelung durch das Einhalten des Sabbatgebotes. Sicherlich kann die Heiligung des Feiertages als Anbetung Gottes verstanden werden, aber es entspricht nicht dem Zeugnis des Neuen Testaments, die „Richtigkeit christlicher Lebensführung“ oder die „Wahrhaftigkeit der Anbetung“ von der Einhaltung bestimmter Feiertage abhängig zu machen (vgl.: Gal 4,10; Kol 2,16f). Vielmehr widerspricht es der christlichen Botschaft, Erwählung an äußerlichen Zeichen erkennen zu wollen.

Pauliens Umgang mit Bildern biblischer Apokalyptik zeugt m. E. von einem Missverständnis. Biblische Apokalyptik beschreibt die Hoffnung der Verfolgten und nicht göttliche Vorhersehung für das Ende der Welt. Aus der Hoffnung dieser leidenden Menschen wurden Bilder geboren, die oft dramatisch Gut und Böse gegenüberstellen. Menschen, deren gesamte Existenz grundsätzlich bedroht ist, fanden und finden Hoffnung in diesen Bildern, Hoffnung, dass die Welt nicht so bleibt, wie sie ist; Hoffnung, dass Gott eingreife. Apokalyptik wurde von Verfolgten und für Verfolgte geschrieben. Die Jahrtausende alten Bilder und Symbole der Apokalyptik eignen sich nicht als Vorausdeutung von Ereignissen der Zukunft, deren Eintreten noch aussteht. Sie beschreiben vielmehr gegenwärtiges Leid und sind Zeugnisse der Hoffnung auf das Eingreifen Gottes.

Eine Glaubensgemeinschaft, die Mitgliedern anderer Kirchen oder Gemeinschaften abspricht, wahre Christen zu sein, verkennt ein wesentliches Merkmal des Christentums: Vielfalt. Das Christentum ist vielfältig und in seiner Pluralität liegt Reichtum begründet. Einige adventistische Theologen wie Pöhler haben damit begonnen, diesen Reichtum wahrzunehmen.

Erst mit der Anerkennung anderer Christen kann ein gegenseitiges Lernen voneinander gelingen. Und es gibt vieles, was voneinander gelernt werden kann. So enthalten z.B. Pöhlers Ausführungen über den Sabbat interessante Gedanken über das Grundrecht auf Freiheit und zur sozialen Gerechtigkeit. Pöhler spricht von der Aufhebung von Standesunterschieden für einen Tag und merkt an, dass der Feiertag Zeit für Wesentliches biete. Er weist zu Recht darauf hin, dass es in Judentum und Christentum nicht lediglich um einen Tag des Ausruhens gehen darf, der die Effizienz von Arbeitnehmern steigert, sondern betont mit dem evangelischen Theologen Jürgen Moltmann den Feiertag als „messianisches Intermezzo in der Zeit“ (AE 10/2005 und J. Moltmann „Das Kommen Gottes“, 158). Einem solchen Verständnis des Feiertags können sich Christen, die nicht zu den STA gehören, anschließen. Wichtig ist, dass der Feiertag um des Menschen willen geschaffen wurde, nicht zur Prüfung seiner Treue, sondern zur Erholung und für den Gottesdienst.


Thorsten-Marco Kirschner


Anmerkungen


1 Dies betont u.a. die 25. Glaubensüberzeugung der STA (zu finden im Internet unter www.adventisten.de/credo/glauben.html). Paulien weist außerdem darauf hin, „dass die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten als religiöse Körperschaft nie ein Datum für die Wiederkunft Christi festgelegt oder befürwortet hat“ (Paulien, 24). Allerdings räumt Paulien auch ein, dass solche Festlegungen durch Adventisten in der Vergangenheit stattgefunden haben, und spricht sich für ein Lernen aus den Fehlern der Vergangenheit aus (Paulien, 19-24).
2 E. White, Paulien und andere Angehörige der STA zählen das Sabbatgebot als viertes Gebot. Die ersten drei Gebote sind: Alleinverehrung Gottes, Bildnisverbot und Verbot des Missbrauchs des Gottesnamens.
3 Paulien, 149.
4 White, 639f.
5 WAG, 365f.
6 WAG, 372.
7 WAG, 364.
8 WAG, 368.
9 Paulien, 168-170.
10 Paulien, 152.
11 Paulien, 153.


Literatur

Jon Paulien, Das Ende der Welt – Was die Bibel tatsächlich darüber sagt, Lüneburg 2006

Was Adventisten glauben. 27 Biblische Grundlehren umfassend erklärt, Lüneburg 32001 (hg. v. der Predigtamtsabteilung der Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten, abgekürzt WAG)

Ellen White, Der große Kampf (ohne weitere Angaben)

AdventEcho 10/2005; 3/2006; 5/2006

Jürgen Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995