Yehuda Bauer

Der islamische Antisemitismus. Eine aktuelle Bedrohung

Yehuda Bauer: Der islamische Antisemitismus. Eine aktuelle Bedrohung, LIT Verlag, Münster 2018, 98 Seiten, 16,80 Euro.

Noch vor einigen Jahren war der muslimische Antisemitismus ein Tabu, über das man in Deutschland kaum sprach. Dabei wiesen die zahlreichen von Muslimen ermordeten Juden in Frankreich und Belgien auf ein sehr reales und unterhalb der Mordschwelle weit verbreitetes, aber auch dort wenig beachtetes Phänomen hin, das auch hierzulande bestand. Tabuisierungsversuche des weit verbreiteten Judenhasses unter Muslimen gibt es noch immer. Aber die Zunahme medial beachteter antisemitischer Vorfälle in der deutschen Hauptstadt und eine wachsende Zahl von Publikationen lassen diese schwächer erscheinen.

Der Historiker Yehuda Bauer, 1928 in Prag geboren, war Leiter der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem. Er legt nun einen schmalen Band vor, bei dem schon der Titel einige provozieren dürfte: Ausdrücklich spricht er vom „islamischen“, nicht nur vom „islamistischen“ Antisemitismus und begründet das im Text: „Ein Hauptproblem des radikalen Islams besteht darin, dass sich seine Auffassungen im allgemeinen Islam verbreitet haben“ (34). Dazu gehört der religiös begründete Antisemitismus. Er „ist ein historisch entwickelter Teil der islamistischen Ideologie und ist auch im nichtradikalen Islam präsent“ (9).

Mit vielen Beispielen aus Geschichte und Gegenwart und aus allen Teilen der Welt von Indien bis Argentinien zeigt Bauer, dass islamischer Judenhass weder ein neues noch ein marginales Phänomen ist. Eine Zäsur sieht er allerdings mit der Gründung der Muslimbruderschaft, welche die Bühne der Öffentlichkeit 1928 mit einem antijüdischen Pogrom betrat. Hiermit beginne die moderne Phase des radikalen Islam. Die Aktualität des Buches verdeutlicht die Tatsache, dass heute etwa der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) offen dafür eintritt, mit der Muslimbruderschaft bei der Radikalisierungsprävention zu kooperieren. Dem Westen bescheinigt Bauer eine gewisse Naivität. So habe der einflussreiche ägyptische Theologe Yusuf al-Qaradawi während des „Arabischen Frühlings“ 2011 im Westen als Stimme der progressiv-demokratischen Kräfte gegolten. Dabei hatte er noch kurz zuvor im Sender „Al Jazeera“ Hitler für die „Bestrafung der Juden“ gelobt und die „nächste Bestrafung durch die Gläubigen“ angekündigt (35). Das Buch bringt eine ganze Reihe von Beispielen gebildeter, oft im Westen lebender und anerkannter Muslime, die mit antijüdischen Hassbotschaften aufgefallen sind.

Fast alle Beispiele stammen von vor 2010. Das zeigt wohl, dass das Buch auf älteren Vorarbeiten beruht. Am Gesamtbild ändert das nichts, doch angesichts der Dynamik bei der Entwicklung und Ausbreitung islamistischer Ideologeme und der Zunahme antijüdischer Straftaten wäre mehr Aktualität ein Gewinn gewesen.

Bauer bemüht sich, nicht ins „Muslim-Bashing“ zu verfallen. Wiederholt streut er ein, Lösungen seien nur durch die Kooperation des Westens mit der muslimischen Mehrheit zu erhoffen, und das sei im Interesse der Juden. Offenbar will er diese davor warnen, die Kooperation mit Muslimen rundweg abzulehnen – das scheint eher nach Israel als nach Deutschland gesprochen. Unklar bleibt, woher dieser Optimismus für die Kooperation stammt, nachdem er gerade gezeigt hat, dass radikalislamisches Denken sich im Mainstream verbreitet habe. Kontraproduktiv erscheint auch, dass er in seinem Argument den aus der Iranischen Revolution 1979 stammenden Propagandabegriff „Islamophobie“ verwendet. Diese zu bekämpfen, sei jüdisches Interesse. Nach Auffassung der meisten Antisemitismusexperten verdunkeln solche parallelen Verwendungen von Antisemitismus und „Islamophobie“ das Verständnis für den jahrtausendealten Antisemitismus als Phänomen sui generis.

Bemüht wirkt auch der Versuch, im Interesse von Fairness und Selbstkritik den Monotheismus schlechthin als gewaltanfällig zu beschreiben – sogar die von Hindus ausgehende antimuslimische Gewalt in Indien 2008 sei auf monotheistische Einflüsse zurückzuführen gewesen. Dieser ehrenwerte Versuch, trotz der Faktenlage keine antiislamische Anklageschrift zu verfassen, wirkt in der Ausführung gekünstelt. So werden die drei großen monotheistischen Religionen im Hinblick auf Gewalt als einander ähnlich nebeneinandergestellt. Zum einen müsste man hier zwischen Islam und Christentum differenzieren. Gewalt wird im einen Fall in den heiligen Schriften propagiert und später in die Tat umgesetzt. Im Christentum wurde sie dort abgelehnt, doch in der Geschichte vielfältig angewandt. Für das Judentum liegt die Sache wieder anders: Eine zweifellos gewaltaffine heilige Schrift mündete in eine seit dem 1. Jahrhundert macht- und gewaltlose jüdische Geschichte. Hier ist Bauer darauf angewiesen, die Hasmonäer (1. Jahrhundert v. Chr.) als Beispiel für das jüdische Gewaltpotenzial heranzuziehen, was neben islamischer Welteroberung und christlichen Kreuzzügen eher auf das Gegenteil der beabsichtigten Aussage hindeutet.

Am interessantesten sind die Ausführungen, in denen Bauer Unterscheidungen vornimmt, die hierzulande weniger bekannt sind. So zeigt er Unterschiede zwischen dem sunnitischen Antisemitismus (meist allgemein gegen „die Juden“ gerichtet) und dem schiitischen (gegen Israel) auf und differenziert noch einmal nach verschiedenen Ländern.

Insgesamt verstärkt das Büchlein den Chor der Stimmen, die vor dem muslimischen Antisemitismus warnen, doch wäre etwas mehr Ordnung und Klarheit im Aufbau hilfreich gewesen. In der vorliegenden Form ist der Band eher als Quelle für Beispiele zum selbst Weiterrecherchieren als zur Einführung ins Thema geeignet.


Kai Funkschmidt