Dem Kreationismus argumentativ begegnen

Ein altes und zugleich neues Thema beherrscht derzeit öffentliche Diskussionen und Diskurse: Wie verhalten sich christlicher Schöpfungsglaube und Evolutionslehre zueinander? Lange Zeit war die Aktualität des christlichen Schöpfungsglaubens durch die ökologische Krise bestimmt. Die Frage nach dem Wie der Weltentstehung spielte eine unterordnete Rolle. Angesichts der unverkennbaren Ausbreitung des konservativen Protestantismus gewinnen alte Fragen neue Relevanz. Die Einen freuen sich über die zum Ausdruck kommenden antievolutionistischen Perspektiven in öffentlichen Diskussionen. Die Anderen fragen besorgt, ob die Amerikanisierung der europäischen Religionskultur weiter voranschreitet und welche Folgen dieser Vorgang für die zukünftige Gestalt des Christentums in Europa haben könnte.

Kreationisten sehen zwischen naturwissenschaftlicher Welterkenntnis – wie sie in der Evolutionsbiologie, aber auch in der Astrophysik und der Geologie vorausgesetzt wird – und dem christlichen Schöpfungsglauben einen Gegensatz. Sie sind deshalb darum bemüht, eine alternative „christliche“ Naturwissenschaft aufzubauen. Der primäre Grund für ihre Haltung liegt dabei in ihrem Bibelverständnis. Sie verstehen die Bibel als Buch, in dem u. a. ein irrtumsloses Informationswissen zur Welterschaffung ausgesprochen wird.

Falsch am Kreationismus ist natürlich nicht, dass er an der Autorität der Bibel festhalten und einer atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen möchte. Problematisch an ihm ist jedoch, dass er den Charakter des biblischen Zeugnisses verkennt. Bereits im Alten Testament sind die Vorstellungen vom Wie der Schöpfung nicht entscheidend. Verschiedene Vorstellungen von der Entstehung der Welt werden nebeneinander (!) stehen gelassen. Entscheidend ist die Botschaft der biblischen Zeugen. Sie bekennen, dass alles („Himmel und Erde“) aus Gottes Hand kommt. Sie bezeugen, dass Mensch und Welt dazu bestimmt sind, Gott als Schöpfer und Erhalter des Lebens zu loben. Sie unterstreichen, dass Gott ein Gegenüber ist, das angeredet werden kann. Sie weisen darauf hin, dass die Würde eines jeden Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit begründet ist. Der biblische Schöpfungsglaube zielt auf ein Orientierungswissen, nicht primär auf ein naturwissenschaftliches Informationswissen. Nach reformatorischer Theologie darf die christliche Naturerkenntnis nicht getrennt betrachtet werden von den Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen der menschlichen Vernunft überhaupt. Denn die menschliche Vernunft steht unter dem fortdauernden Segen des Schöpfers, obgleich sie nicht in der Lage ist, Gottes Heil zu erkennen.

In dem Konzept vom Intelligenten Design (ID), das wie der Kreationismus antievolutionistisch ausgerichtet ist, wird von der komplexen Struktur der Lebewesen und der Zielgerichtetheit der Natur auf einen intelligenten Planer geschlossen. Wie in den teleologischen Gottesbeweisen wird auf Gott bzw. auf einen Designer und Architekten aus der Welt geschlossen. Vertreter der ID-Bewegung setzen sich dabei über die philosophischen Diskussionen zum Misslingen aller Gottesbeweise hinweg und vergessen – sofern sie christlich ausgerichtet sind – die in der Bibel bezeugte Verborgenheit Gottes. Ein intelligenter Planer ist noch nicht der Gott der Bibel, der sich in der Geschichte des jüdischen Volkes und im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi bezeugt hat. Der biblische Gott ist weltlich nicht notwendig. Er ist „mehr als notwendig“ (Eberhard Jüngel).

Angesicht der Ausbreitung einer materialistischen Weltanschauung und einer radikalen Naturalisierung des Menschen ist der christliche Schöpfungsglaube heute vielfach herausgefordert. Von einzelnen Naturwissenschaftlern wird ein großes Engagement darauf verwandt, die einzigartige Würde und Freiheit des Menschen zu bestreiten. Auf diese Erhebung der Evolutionslehre zu einer umfassenden materialistischen oder esoterischen Weltanschauung muss die christliche Theologie selbstverständlich reagieren. Sie sollte es jedoch anders tun als der Kreationismus. Der christliche Glaube stärkt ein Orientierungswissen, das offen ist für alle Erkenntnisse der menschlichen Vernunft. Die Bibel wird nicht überzeugend ins Gespräch gebracht, wenn ihr Charakter als Glaubenszeugnis zurücktritt und man in ihr einen Vorrat zeitloser, unfehlbarer Fakten sucht und findet. Die naturwissenschaftliche Welterkenntnis kann Gottes Existenz weder beweisen noch widerlegen. Die Sprache des Glaubens und die Sprache der Wissenschaft sind zwei unterschiedliche Sprachen, auch wenn sie sich auf dieselbe Sache beziehen. Der untersuchende Blick des Arztes in das menschliche Auge ist ein anderer als der eines Liebenden.


Reinhard Hempelmann