Mathias Rohe

Das islamische Recht. Eine Einführung

Mathias Rohe, Das islamische Recht. Eine Einführung, Verlag C. H. Beck, München 2013, 128 Seiten, 8,95 Euro.

Nachdem Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg, 2009 ein mit über 600 Seiten sehr umfangreiches Standardwerk zum islamischen Recht veröffentlicht hatte (vgl. die Rezension in MD 8/2009, 317ff), legt jetzt der Verlag C. H. Beck in einem Taschenbuch mit nur in der Unterzeile variiertem Titel gewissermaßen den „kleinen Bruder“ zu dieser Ausgabe vor. Dieses auch äußerlich dem Standardwerk sehr ähnelnde Taschenbuch bietet auf 128 Seiten in sehr gut lesbarer Form eine Zusammenfassung der großen Ausgabe und folgt dieser auch weitgehend in der logischen Abfolge. So wird anfangs die Differenzierung zwischen islamischem Recht und Scharia erläutert, und die Grundlagen und Methoden islamischer Rechtsfindung werden präsentiert. Nach den Ausführungen über die wesentlichen Inhalte des klassischen islamischen Rechts in den Bereichen Ehe- und Familienrecht, Strafrecht und Wirtschafts- und Verwaltungsrecht werden im darauf folgenden Kapitel die Reformen seit dem 19. Jahrhundert erläutert. Die Frage, ob und in welcher Weise islamisches Recht in Deutschland und Europa Anwendung finden kann, wird im letzten größeren Kapitel dargelegt, bevor einige Schlussbetrachtungen den Band beschließen, der ebenso wie das große Werk ein Literaturverzeichnis und ein Schlagwortregister bietet.

Dass die Scharia für Muslime einen Kernbereich ihres Glaubens darstellt, dagegen Scharia und islamisches Recht von Nichtmuslimen oftmals als ein System unmenschlicher Strafen, der Unterdrückung und Ungleichbehandlung der Geschlechter verstanden werden, stellt für Verfasser und Verlag die Motivation dar, in komprimierter und sachlich informierender Weise mit dem Taschenbuch einen größeren Leserkreis anzusprechen und zu Klärungen und Versachlichungen der öffentlichen Diskussion beizutragen. Mathias Rohe gelingt es sehr gut, Hintergründe und Zusammenhänge verständlich zu machen und zu einer detaillierten Einschätzung zu kommen. Das islamische Recht erscheint als ein überaus komplexes Gefüge, das in seiner Vielgestaltigkeit nur im Kontext seiner historischen Entwicklung verstanden werden kann. Es stellt ein Normgefüge dar, das sowohl offen ist für Reformen und Modernisierung, aber gleichzeitig auch traditionelle und äußerst konservative Auffassungen konserviert und transportiert. Nach Rohes Einschätzung erfüllt das islamische Recht sowohl den Anspruch eines Rechtssystems mit wissenschaftlichen Begründungen; zugleich bescheinigt er „nicht wenigen Staaten“ der islamischen Welt ein recht niedriges Niveau von Rechtswissenschaft und Rechtspflege (111).

Ohne Zweifel ist die Lektüre dieses Taschenbuchs in der Sache überaus nützlich, in der Knappheit besonders empfehlenswert und für die eigene Meinungsbildung sehr hilfreich. Im Ergebnis bleibt der Eindruck, dass der Islam so vielfältig ist, dass zu jeder Position auch ein Gegenbeispiel gefunden werden kann. Erzkonservative Positionen sind eine Realität auch des gegenwärtigen Islam, aber auch überzeugende Grundsätze, Reformen und moderne Auffassungen, die oft übersehen werden. Rohe unterstreicht, dass auch andere Religionen und Weltanschauungen mit langer Geschichte in großer Vielfalt existieren und gute Absichten und Überzeugungen neben Missbrauch und Perversion zeigen. Dies macht ein umfassendes Urteil über „den Islam“ schwierig und zwingt zu genauem Hinsehen und differenzierten Einschätzungen.

Doch dies ist nicht nur eine Anforderung an Nichtmuslime, die sich um eine eigene Meinung zum islamischen Recht bemühen. Es hat auch eine innerislamische Seite. Denn die Tatsache, dass Rohe als Nichtmuslim diese Darstellungen verfasst und solche offenkundig nicht aus der Feder von Muslimen selbst vorliegen, dürfte kein Zufall sein, sondern den Sachverhalt noch einmal von einer anderen Seite beleuchten. Rohe zitiert einen ehemaligen pakistanischen Justizminister, der den Widerstand konservativer Theologen gegenüber einer wissenschaftlich fundierten Entwicklung des islamischen Rechts beklagt (59). Diese sei derzeit eher aus nichtislamischen Ländern zu erwarten. Von daher kann man sicherlich das Taschenbuch wie auch das Standardwerk von Rohe nicht nur als eine Hilfe für die Meinungsbildung über den Islam verstehen, sondern auch als eine Herausforderung an Muslime, ihre Rechtsgestaltung in Freiheit und in kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Tradition selbst aktiver in die Hand zu nehmen.


Martin Affolderbach, Nürnberg