Perry Schmidt-Leukel

Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich

Perry Schmidt-Leukel: Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich,Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2022, 416 Seiten, 26,00 Euro.

Bereits 2015 hatte Perry Schmidt-Leukel (geb. 1954), Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der WWU Münster, in den renommierten Gifford Lectures an der University of Glasgow, konkret in Vorlesungen zur Interreligious Theology: The Future Shape of Theology erstmals seine Überlegungen zu einer neuen Interpretation religiöser Vielfalt vorgetragen. In dem hier vorgestellten Band sucht er diese Überlegungen mit dem Fokus auf das Verhältnis von Christentum und Buddhismus ausführlicher darzulegen.

Schmidt-Leukel (fortan: Verf.) möchte dieses Verhältnis, wie er im abschließenden Kapitel seiner ambitionierten Publikation formuliert, über ein „neues Verständnis“ beider Traditionen auf eine neue Basis stellen und den ökumenischen Geist interkonfessioneller Konvergenz- und Konsensdokumente auf eine größere, interreligiöse Ökumene übertragen. Den Weg dorthin beschreitet er über Reflexionen zum Religionsvergleich (Kap. 1), dem er mit der Entdeckung fraktaler Strukturen (Kap. 2) in den Religionen neue Perspektiven abgewinnen will. Diesen fraktalen, d. h. sich selbst replizierenden Strukturen (anschaulich dargestellt im sog. Sierpinski-Dreieck) geht er in den Folgekapiteln im Einzelnen nach: mit Blick auf das Verhältnis zur Welt (Kap. 3), zur letzten Wirklichkeit (Kap. 4), zur menschlichen Defizienz (Kap. 5), zu den Mittlern desHeils (Kap. 6: Hoffnungsträger), zum Heilsweg selbst (Kap. 7: Der Weg) sowie zu den Letzten Dingen (Kap. 8).

Bereits in seiner religionstheologischen Studie Wahrheit in Vielfalt (2019) hat der Verf., wie er im Vorwort (10–12) schreibt, „in allen großen religiösen Traditionen pluralistische Konzeptionen“ (9) entdeckt, „die aus der je spezifischen Sicht der eigenen Religion heraus andere Religionen als zwar verschiedene, aber dennoch gleichwertige Wege zu Heil und Befreiung würdigen“ (9). Ein tieferer Blick auf die „innere Vielgestaltigkeit“ von Buddhismus und Christentum offenbare eine „Parallelität der Unterschiede“, welche die beiden auf den ersten Blick durchaus unterschiedlichen Traditionen „in den Strukturmustern ihrer internen Vielfalt“ (10) in eine überraschend große Nähe rücken. Diese Strukturmuster lassen die Wirklichkeit, in Adaption einer mahāyāna-buddhistischen Vorstellung, als „himmlisches Geflecht“, konkret als „das Juwelen-Netz des Gottes Indra“ erscheinen, in dem jedes einzelne Juwel „in der Widerspiegelung des anderen“ erscheint, sich widerspiegelt „ohne Ende, sodass alle Juwelen gleichzeitig in einem einzelnen Juwel aufscheinen“ (13). Die Unterschiede zwischen den religiösen Traditionen sind damit nicht aufgehoben oder etwa „verwisch[t]“, sondern „als Teil einer weitaus differenzierteren, eben einer fraktalen“, „komplementären“ (15) Struktur begriffen, die – insofern die „einzelnen Gebilde … immer weitere Substrukturen ausbilden und damit eine immer größer werdende Vielfalt integrieren“ – „zu einer Art Ganzheitlichkeit“ (17) tendiert.

Von der Apologetik zur Entdeckung fraktaler Strukturen

Mit dem Verweis auf die Integration religiöser Vielfalt in ein größeres Ganzes ist zugleich der Weg vorgezeichnet, auf dem sich „theologisch-apologetisch“ (35) voreingenommene, kontrastierende Zugänge zum Verhältnis „Buddhismus“ und „Christentum“ überwinden lassen: „Pluralistische Ansätze geben sowohl den Anspruch auf die alleinige Wahrheit der eigenen Tradition als auch den auf ihre alleinige Überlegenheit auf und rechnen damit, dass es in anderen religiösen Traditionen gleichwertige … Formen heilbringender Transzendenzerkenntnis gibt“ (43). Über eine Synthese der von diesen Ansätzen vorgenommenen Analysen ließe sich, so der Verf., eine Theologie und Religionswissenschaft „übergreifende“ Disziplin (Interreligious Studies) etablieren, die, weil anwendungs- bzw. praxisorientiert, auch die praktischen Aspekte interreligiöser Beziehungen auf der lokalen und regionalen Ebene des Graswurzel- und Gemeinwohl-Dialogs einbezieht.

Als Grundlage einer solchen Disziplin dient das vom französischen Mathematiker Benoit Mandelbrot in Die fraktale Geometrie der Natur (1977, übersetzt 1991) beschriebene, „das Antlitz der Natur sowohl in ihrer anorganischen als auch organischen Gestalt“ (ebd., 15) prägende Phänomen fraktaler Muster und Strukturen. Übertragen auf das Verhältnis der Religionen zueinander, ließen sich damit die in der gegenwärtigen interkulturellen Philosophie vertretenen Extrempositionen einer radikalen Unvergleichbarkeit oder völligen Vergleichbarkeit religiöser Kulturen überwinden. Gleiches gilt für die geläufigen Gegenüberstellungen von buddhistischem Atheismus hier und christlichem Theismus dort, wie sie exemplarisch bereits vom Jesuitenmissionar Matteo Ricci (1552 – 1610) und noch bis ins 20. Jahrhundert hinein vorgenommen wurden. Diesen kontrastierenden Vergleichen hat bereits der französische Indologe Jules Mohl (1800 – 1876) ausdrücklich widersprochen und im buddhistischen Nirvāna nicht etwa eine völlige Auslöschung, sondern vielmehr „das allgemeine Ziel aller Mystik: die Wiedervereinigung der Seele mit Gott“ (142) gesehen. Die dem Buddhismus oft unterstellte Leugnung von Transzendenz geht auf eine Fehlinterpretation der für den Buddhismus typischen apophatischen Haltung gegenüber der letzten Wirklichkeit zurück. Verneinend habe sich der Buddha über das Nirvāna nur deshalb geäußert, um „das letzte Prinzip vor seinem Rückfall auf die begriffliche Ebene zu retten“ (144). Wenn auch im bilderfreundlichen Mahāyāna-Buddhismus die transzendent-immanente Wirklichkeit nicht erst im irdischen, sondern schon im überweltlichen Buddha personale Züge trägt, bleiben doch die durch die Vorstellungen von Buddhas und Bodhisattvas vermittelten personalen Bilder immer „rückbezogen auf die grundlegenderen impersonalen Metaphern“ (152).

Ist damit für den Buddhismus eine entschiedene Zurückhaltung gegenüber allzu konkreten Einkleidungen der (unfassbaren) Transzendenz konstatiert, so liegt die Vermutung nahe, hier einen wesentlichen, nur schwer zu überbrückenden Unterschied zur christlichen Lehre von der (an Konkretion kaum zu überbietenden) Menschwerdung Gottes zu sehen. Dem Verf. zufolge ist aber genau dies nicht der Fall. Wie im Buddhismus habe auch in der christlichen Theologie die apophatische Rede über die göttliche Transzendenz und mit ihr die Scheu vor einer allzu konkreten bildhaften Sprache über Gott immer wieder ihre Fürsprecher gefunden, im 20. Jahrhundert besonders prominent in Paul Tillich (1886 – 1965). Wenn Tillich seine Rede von Gott als der unabbildbaren „Tiefe allen Seins“ (Religiöse Reden, 1987) mit Verweis auf neutestamentliche Referenzen begründet, ließen sich dann nicht auch Nirvāna und „Gott“ „als begrifflich und konzeptionell unterschiedliche Ausgangspunkte“ verstehen, „die aus je unterschiedlichen religiösen Zusammenhängen heraus auf dieselbe unfassbare Wirklichkeit verweisen?“ (172). Auch „zahlreiche Buddhisten“ beziehen sich in einem zutiefst „personalen Modus“ auf die letzte Wirklichkeit und „suchen in Gebet und Verehrung ihre Zuflucht beim Mitleid überweltlicher Bodhisattvas und Buddhas“: Eine Überlegenheit der einen (personalen / impersonalen) über die andere Form ist ausgeschlossen, „weil die Transkategorialität der letzten Wirklichkeit personale und impersonale Kategorien in gleicher Weise übersteigt“ (176f).

Als verkürzend erweisen sich auch die geläufigen Gegenüberstellungen des christlichen Topos der „Sünde“ zur buddhistischen Betonung von „Unwissenheit“ (avidyā) und „Verblendung“ (maha). Wenn Mahāyāna-Buddhisten im „Schutz“ der Bodhisattvas den drohenden Folgen der eigenen Vergehen zu entkommen und sich die Verdienste des Buddha Amitābha (japan. Amīda) zur eigenen Erlösung anzurechnen suchen, zeige sich, dass dem Buddhismus Vorstellungen von Sünde oder Verfehlung nicht fremd sind. Mag die buddhistische Tradition auch die Ursache menschlicher Defizienz primär in der Verblendung, die christliche Tradition hingegen eher in einem vor allem den menschlichen Willen betreffenden „Defekt der Natur des Menschen“ verorten, fänden sich beide Perspektiven, wenn auch „mit variierenden Betonungen“ (216), in beiden Traditionen. Die unverkennbar interreligiös-dialogische Motivation des Verf.s lässt ihn hier die religionswissenschaftlich kaum überschaubare Heterogenität buddhistischer Lebenswelten vorrangig durch die Brille von Shinrans Amīda-Buddhismus und seiner neo-buddhistischen Refigurationen lesen: Dass sich hier wie ebenso in der hinduistischen Bhakti-Frömmigkeit sehr viel leichter analoge (fraktale?) Strukturen zum christlichen Heilsglauben erkennen lassen als in anderen buddhistischen Traditionen, hat bereits der Jesuitenmissionar Franz Xaver (1506 – 1552) im 16. Jahrhundert erkannt.

Komplementäre Perspektiven auf das Heil

Wird nun die Komplementarität der Perspektiven auf die Frage nach der Vermittlung von Heil und Erlösung (Kap. 6) übertragen, ergibt sich die Möglichkeit, die Identifikation des Buddha mit dem Dharma in eine direkte Parallele zur Interpretation Jesu als menschgewordenes Gotteswort im Johannesevangelium zu setzen. Zu vergegenwärtigen sei dabei, dass es im Christentum hinsichtlich der christologischen Frage keinen „inhaltlichen Konsens“ gebe bzw. „nicht so etwas wie den christlichen Inkarnationsglauben, zumindest nicht in einer einheitlichen Form, sondern nach wie vor nur in Gestalt einer großen Vielfalt unterschiedlicher Ideen“ (233). Diese Feststellung mag angesichts der sich im 4. und 5. Jahrhundert u. Z. ausbildenden ökumenischen Bekenntnistraditionen von 325 und 381 sowie (beschränkt auf die chalkedonischen Kirchen) von 451 manchen Leser (wie z. B. den Rezensenten) etwas irritieren. Nachvollziehbar wird sie mit Blick auf die Intention des Verf.s, das Konzept der Inkarnation zu „entschränken“ und den fraktalen Zusammenhang unterschiedlicher Traditionen als Gelegenheit zur „wechselseitigen Erhellung“ (242) zu verstehen. Die entschränkte Perspektive auf den Inkarnationsglauben lässt dann auch die Gegenüberstellungen von Buddhismus als „Religion der Selbsterlösung“ und Christentum als „Gnadenreligion“ hinfällig werden. „Gnadenaspekte“ (271), so der Verf., kenne nicht erst Shinrans Version des Reines-Land-Buddhismus: Schon die den Theravāda-Buddhismus kennzeichnende „dreifache Zufluchtnahme“ zum Buddha, Dharma und Sangha (dem Mönchsorden) impliziere, ebenso wie die sich bereits vor der Entstehung des Mahāyāna ausbildende Vorstellung von der Übertragung karmischer Verdienste (parināmanā), ein Vertrauen auf eine den Weg zur Erlösung gnadenhaft unterstützende Kraft.

Bleibt schlussendlich der in vielen Religionsvergleichen behauptete Unterschied zwischen dem buddhistischen Nirvāna und dem christlichen „Himmelreich“. Auch hier gilt, dass die mit dem Nirvāna verbundene Idee einer graduellen Vervollkommnung und Läuterung dem Christentum niemals völlig fremd war: Der (wiederholt vom Verf. zitierte) Religionstheologe John Hick (1922 – 2012) griff sie auf und sah den Zweck der eschatologisch erwarteten „neuen Welt“ darin, „einen Fortgang des auf Erden unvollendeten menschlichen Reifeprozesses, das heißt der ‚Heiligung‘ … zu ermöglichen“. Er integrierte damit, wie bereits Denker der Renaissance oder der Aufklärung lange Zeit vor ihm, „explizit asiatische Reinkarnationsvorstellungen“ (337) in das eigene Verständnis der „letzten Dinge“. Bei allen Unterschieden variieren die Heilsvorstellungen beider Traditionen, wie der Verf. zu diesem Punkt abschließend formuliert, „eine gemeinsame Struktur“: „Die Transformation des Menschen von der Selbstbezogenheit zur Bezogenheit auf die letzte, transzendente Wirklichkeit (‚the Real‘)“ realisiert sich in einer „Befähigung zu Mitleid und Nächstenliebe“ (345).

Zur Basis interreligiöser Lernprozesse

Keine Frage: Mit seinem Anliegen, apologetisch-kontrastierenden Gegenüberstellungen religiöser Traditionen den Abschied zu geben, dürfte der Verf. in dem von ihm höchst erfolgreich vertretenen Fach auf offene Ohren stoßen. Warum aber das „neue“, alte Zuschreibungen überwindende Verhältnis zwischen Buddhismus und Christentum eines völlig „neuen“ fraktalen Verständnisses dieser beiden Traditionen bedarf, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Wäre statt eines „neuen“ nicht schon ein vertieftes, das heterogene Feld nicht etwa (fraktal) strukturierendes, sondern hermeneutisch transparent herausarbeitendes Verständnis ein Gewinn? Lässt sich der spannenden, immer wieder für Überraschungen sorgenden Welt der Religionen tatsächlich über die Annahme fraktaler Strukturen und Muster näherkommen?

Dass es gemeinsame Strukturen, Analogien und Parallelen zwischen den Religionen gibt, dürfte niemand bestreiten wollen. Sie ließen sich u. a. mit gemeinsamen, dem Menschsein inhärenten Bedürfnisstrukturen sowie den Religionen gemeinsamen existenziellen und philosophisch-metaphysischen Fragen erklären. Der Verf. begründet sie damit, dass die aufgewiesenen Unterschiede in den Religionen auf eine „Unvollständigkeit“ hindeuten, die „quasi aus einer inneren Dynamik heraus“ die jeweils andere Seite entstehen lässt und somit „nach Vollständigkeit strebt“ (356). So führen die sich in der Begegnung zwischen beiden Traditionen einstellenden „Reinterpretationen“ (359) christlicherseits zu einer „Wiederentdeckung und Neubewertung der Mystik“ und mit ihr der Rezeption buddhistischer Meditationsformen, buddhistischerseits zum Entstehen eines „sozial engagierten Buddhismus“, der inspiriert durch das karitative Moment des christlichen Glaubens sozialethisch relevante Aspekte der buddhistischen Tradition wiederzubeleben sucht. Sollte es – auch dies ist möglich – zu einer erneuten „Bekräftigung“ eigener Ansprüche kommen, wäre zu fragen, ob sich die „neue Bekräftigung des Eigenen konfrontativ gegen den Anderen richtet oder ob das Eigene in einer Art ökumenischer Haltung als Teil eines umfassenderen Ganzen aufs Neue geschätzt und bekräftigt wird“ (363). Worin aber besteht, fragt sich der Rezensent, konkret das Konfrontative im Eigenen und warum bedarf dieses Eigene des Horizonts eines umfassenderen Ganzen, um geschätzt und bekräftigt zu werden? Für den Verf. scheint außer Frage zu stehen, dass es die ökumenischen Bemühungen um ein besseres Verständnis intrareligiöser Vielfalt, in Entsprechung zur fraktalen Perspektive, nun auch auf „das Verständnis interreligiöser Vielfalt“ zu übertragen gilt. Wie bereits der interkonfessionelle Lernprozess Lutheraner und Katholiken zur „Überwindung wechselseitiger Verzeichnungen und Missverständnisse“ (365) geführt habe, ließe sich auch die interreligiöse Vielfalt – gleichsam in „versöhnter Verschiedenheit“ – dank der fraktalen Interpretation „in einem signifikanten Ausmaß als komplementär“ bzw. „Teil eines größeren göttlichen Designs“ deuten und so „der ökumenische Geist auf die größere, nämlich interreligiöse Ökumene [übertragen]“ (366).

Möglicherweise hat der Rezensent das Konzept der fraktalen Strukturen einfach nur falsch verstanden, wenn er es – weil zu generalisierend – für zu ambitioniert hält. Möglich ist aber auch, dass sich Mandelbrots aus der Welt organischen und anorganischen Lebens erhobene fraktale Strukturen und die komplexe Welt religiöser Ausdrucks- und Lebensformen weniger harmonisch zusammendenken lassen, als dies der Verf. in seinem Band darstellt. Der damit implizierte Riss im himmlischen Juwelen-Geflecht nimmt diesem Geflecht selbst nichts von seinem Reiz. Er macht es vielleicht sogar noch ein wenig reizvoller: Untrennbar miteinander verflochten sind die religiösen Traditionen, insbesondere Christentum und Buddhismus, ja ohnehin. Es ist das Unregelmäßige und Ungewöhnliche, das dem Eigenen Fremde in den Religionen, das die Auseinandersetzung mit ihnen so spannend macht.


Rüdiger Braun, 01.03.2023