Horst Bayrhuber, Astrid Faber, Reinhold Leinfelder (Hg.)

Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung

Horst Bayrhuber/Astrid Faber/Reinhold Leinfelder (Hg.), Darwin und kein Ende? Kontroversen zu Evolution und Schöpfung, Verlag Kallmeyer, Seelze 2011, 240 Seiten, 24,95 Euro.

Grundannahme des Buches ist die Unterscheidung zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und weltanschaulicher Deutung. Herausgeber sind der Paläontologe Reinhold Leinfelder (ehemals Naturkundemuseum Berlin), die museumspädagogische Leiterin am Naturkundemuseum Berlin Astrid Faber sowie der Biologiedidaktiker und Editor des bewährten gymnasialen Lehrbuchs „Lindner Biologie“ Horst Bayrhuber.

Konzeptionell besonders gelungen ist der dialogische Aufbau des Sammelbandes. Naturwissenschaftler erklären ihr Fach im Zusammenhang eines Schöpfungsdenkens, und Theologen verorten Schöpfung in evolutionsbiologischen und wissenschaftsgeschichtlichen Bezügen. Auch ist die Schule als Lernort im Blick. Pädagogen versuchen Brücken zwischen Biologie- und Religionsunterricht zu schlagen. Eine ausführliche Textsammlung zum Thema Evolution und Schöpfung beschließt den bis ins Detail liebevoll illustrierten Band.

Das erste Kapitel wird mit einem Beitrag Horst Bayrhubers zu Evolution und Schöpfung eröffnet. Aufgabe der Naturwissenschaften sei die Erforschung der Natur und natürlicher Ursachen. Bei der Frage, ob Gott erste Ursache der Welt ist oder nicht, gehe es um persönliche Glaubensüberzeugungen. Das Besondere der biblischen Schöpfungsgeschichte seien nicht die übernommenen kosmologischen Vorstellungen, sondern deren Interpretation. Bei Szientismus und Kreationismus handle es sich um Grenzüberschreitungen. Reinhold Leinfelder unterscheidet biologische und kulturelle Evolution. Biologische Grundbedürfnisse determinieren uns, aber im Menschen emanzipiere sich die Evolution von ihrem biologischen Erbe. Das Prinzip Verantwortung mache uns zum Hüter des Erdsystems. Martina Köbl-Ebert führt in die Sprachwelt der Biologie und ihre Differenz zur Alltagssprache ein. Aus naturwissenschaftlicher Perspektive sei Zufall nicht das Gegenteil von Zweck, sondern das unerklärbare Zusammentreffen von Kausalketten. Harald Lesch erläutert den Zusammenhang von Evolution und Physik. Naturwissenschaftliches Denken sei Rekonstruktion der Welt, nicht aber deren weltanschauliche Konstruktion. Beweis: Andernfalls würde die Transformation in Technik nicht funktionieren. Uwe Hoßfeld geht der widersprüchlichen Wirkungsgeschichte Ernst Haeckels nach, der sowohl im Nationalsozialismus als auch im sowjetischen Machtbereich rezipiert wurde.

Entsprechend der Intention des Buches beginnt das zweite Kapitel mit einem Beitrag zu Schöpfung und Evolution. Richard Schröder erinnert an die wechselnden Bedeutungshorizonte der Schöpfungsgeschichte – von der babylonischen Kosmologie bis hin zu Galileo Galilei. Augustins Lösung des Widerspruchs zwischen antiker Naturwissenschaft und biblischem Weltbild sei zukunftsweisend: Intention der Bibel ist das Heil der Menschen und nicht Naturkunde. Auch wenn es seit Darwin unmöglich ist, aus der Natur einen Gottesbeweis abzuleiten, ist damit die Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen nicht aufgehoben. Hansjörg Hemminger versteht die Trennung von Wissenschaft und Weltdeutung als wechselseitige Entlastung. Das Ende der Synthese von Naturwissen und Schöpfungsglauben habe im 16. Jahrhundert mit der Astronomie begonnen und sei mit der Evolutionstheorie abgeschlossen worden. Nicht die Erklärung, aber die Deutung der Natur sei offen: Naturgesetze lassen sich sowohl als Ausdruck der Schöpfervernunft als auch als blinder Tanz der Materie verstehen. Dirk Evers begreift Offenbarung als die Gewissheit, sein Leben zugleich als Geschenk und Beauftragung zu empfangen. In weiterer Perspektive spiegele die Schöpfung die Kreativität des Lebensgrundes wider und erlange in der Menschheit das Bewusstsein ihrer selbst.

Die fachdidaktische Vermittlung von Evolution und Schöpfung ist Thema des dritten Kapitels. Marcus Hammann und Roman Asshoff erörtern unter Bezug auf die USA das Verhältnis von religiösen Einstellungen und Evolutionstheorie. Wie ist das Verhalten von Ablehnung hin zu Vereinbarungsstrategien zu ändern? Britta Klose zeigt, dass kreationistische oder wissenschaftsgläubige Vorstellungen unter Gymnasiastinnen und Gymnasiasten im Religionsunterricht kaum vertreten werden. Die Schüler und Schülerinnen sind zumeist der Überzeugung, dass Sinn- und Lebensfragen nicht von den Naturwissenschaften beantwortet werden können. Martin Rothgangel untersucht entwicklungspsychologische Perspektiven zur Vermittlung der Evolutionstheorie, die von einem Entweder-oder zu einer differenzierten Verhältnisbestimmung von Glaube und Wissenschaft führen. Annette Upmeier zu Belzen geht der Frage nach, wie die Differenz zwischen lebensweltlichen Vorstellungen und wissenschaftlichem Denken zu überwinden ist.

Die Texte des Sammelbandes beinhalten neben allgemeinen Überblicken und historischen Exkursen auch Stellungnahmen von Naturwissenschaftlern und Theologen. Sie sind für Unterrichtszwecke gut nutzbar.


Robert Giesecke, Schöningen