Jan Badewien

Aufgaben und Themen heutiger Apologetik

Apologetik bezeichnet die Verteidigung des christlichen Glaubens. Der Begriff leitet sich vom griechischen „apologeia“ ab, von der Verteidigungsrede vor Gericht. Christliche Schriftsteller und Theologen haben in der Situation der Verfolgung in den ersten Jahrhunderten solche Verteidigungsreden geschrieben, um ihre Lage im heidnischen Staat zu verbessern und um gegen Angriffe, die als Verleumdungen verstanden wurden (und es sicher auch oft waren), eine bessere Darstellung des eigenen Glaubens zu geben.

Solche „Verteidigung“ der Kirche mithilfe der Theologie bezieht sich gern auf einen Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief, der in vielen Abhandlungen zur christlichen Apologetik als biblischer Grundtext zitiert wird: „Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen“ (1. Petr 3,14-16). In diesen Versen sind viele Elemente der späteren Apologetik im Kern enthalten.

Von ihren Anfängen an geschieht apologetische Arbeit also auf der Grenze zwischen dem Innenraum der Kirche und einem vielfach gegliederten Außenbereich. Sie wirkt in unterschiedlichen Dimensionen in beide Richtungen, nach innen und nach außen, ohne ihre Stellung innerhalb der Kirche dabei zu verbergen oder gar aufzugeben.2

• So richtet sich Apologetik argumentativ nach außen gegen Gegner und ihre als falsch und unangemessen, als unwahr oder verzerrend empfundenen Sichtweisen von christlichem Glauben und kirchlichem Leben.

• Ein zweiter Aspekt von Apologetik ist ebenfalls nach außen gerichtet: Sie setzt sich mit anderen, nichtchristlichen Religionen auseinander. Waren es am Anfang das Judentum und die alte griechisch-römische Götterwelt, gegen die sich die junge Christenheit behaupten musste, so kam sehr schnell die Konfrontation mit der Gnosis hinzu, dann mit dem Manichäismus und anderen Religionen aus dem persischen, kleinasiatischen und ägyptischen Raum. Je weiter sich das Christentum ausbreitete, desto mehr Religionen kamen in den Blick, die apologetisch bestritten wurden: polytheistische und animistische Glaubensrichtungen ebenso wie Formen der anderen Weltreligionen Ostasiens oder des Islam, der den Apologeten des Mittelalters lange als eine christliche Sekte galt. Apologetisches Reden war immer dann gefragt, wenn Begegnungen mit diesen anderen Religionen stattfanden – sei es an den Grenzen des bereits christianisierten Gebietes, sei es durch kriegerische Kontakte, durch Berichte von Reisenden oder durch Handelsbeziehungen (Seidenstraße!), denn auch damals wurden nicht nur Güter transportiert, sondern auch kulturelle und religiöse Ideen.

• Ein dritter Aspekt von Apologetik setzt sich mit vielen Ausprägungen der Religionskritik überhaupt auseinander: Dazu gehörte der Kampf gegen die Aufklärung mit ihrer Bestreitung der Gottesbeweise aufgrund rationaler Philosophie, die Auseinandersetzung mit dem Marxismus, der Psychoanalyse Freuds, der Evolutionslehre Darwins und mit dem Nationalsozialismus.

• Eigentlicher Kernpunkt der Apologetik durch die Jahrhunderte hindurch bis heute ist aber die Auseinandersetzung mit Häresien, Ketzern, Sekten und Irrlehren aller Art und Herkunft, vor allem aber solcher, die ihre Wurzeln im Christentum haben. Das führt in jene Tätigkeit, zu der die Evangelische Kirche in den zwanziger Jahren die „Apologetische Centrale“ begründet hatte, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ (EZW) neu begründet wurde. Die Beschäftigung mit diesen Gruppierungen, mit „Sehern, Grüblern, Enthusiasten“, um das berühmte Handbuch von Kurt Hutten zu zitieren3, der diese Arbeit lange Jahre verantwortet hat, war von Beginn an – und ist bis heute – das Kerngeschäft der neuen Apologetik in der EZW und in der Folge auch bei den landeskirchlichen Beauftragen. Denn spätestens mit dem Aufkommen der sog. Jugendsekten in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben die meisten Landeskirchen eigene Beauftragte berufen, die vor Ort beraten, informieren, orientieren konnten, die sich in der eigenen Region kundig machen und damit die Arbeit der EZW ergänzen konnten – und das bis heute tun.

Deutlich ist aber auch, dass dort, wo von Irrlehre die Rede ist, eine klare und deutliche Definition von richtiger Lehre („Orthodoxie“) vorhanden sein muss. Immer wieder wird z. B. in der Aussprache nach Vorträgen gefragt: Wer bestimmt denn, was richtige und falsche Lehre ist? Schließlich hat die evangelische Kirche weder Papst noch Lehramt, die hier klare Linien vorgeben könnten.

• Richten sich die bisher aufgeführten Aspekte der Apologetik schwerpunktmäßig nach außen, so ist schon deutlich geworden, dass Apologetik auch eine Zielrichtung nach innen, in die Kirche hinein hat. Denn die Abwehr von Angriffen, die Auseinandersetzung mit Seitenströmungen, mit atheistischen oder ideologischen Weltanschauungen, die Bereitstellung von Argumenten im Gespräch der Religionen untereinander – all das hat natürlich auch eine Bedeutung für die Menschen, die innerhalb von Kirche und christlichem Glauben ihre geistige und geistliche Heimat haben: Apologetische Tätigkeit dient ihnen als Orientierung, als Grundlegung, als Ausbildung von Fähigkeiten, den eigenen Glauben elementar zu verstehen und auszudrücken. So hat Apologetik nicht nur eine kämpferische Seite nach außen, sondern auch eine vergewissernde, eine seelsorgerliche und Seelen führende Aufgabe nach innen.

Das ist die Doppelstruktur von apologetischer Arbeit, und deshalb reicht es nie aus zu vermitteln, wie falsch und negativ die anderen sind, sondern es gilt, immer auch zu formulieren, was denn Theologie und Kirche von ihren eigenen Grundlagen, von Bibel und Bekenntnissen her, aufgrund ihrer eigenen Spiritualität und ihrer eigenen Lebensformen an Positivem, Sinnstiftendem und Orientierendem zu bieten haben. Wer z. B. über Reinkarnation spricht und eine Distanz aller Modelle von wiederholten Erdenleben zum biblisch begründeten christlichen Glauben formuliert, muss auch zugleich Auskunft geben über die christliche Hoffnung, die über den Tod hinaus trägt.

Ein kleiner Gang durch die Geschichte der Apologetik

Ein Blick in die Kirchengeschichte kann vertiefen, was schon angedeutet wurde: wie sich Theologie und Kirche von den ersten Jahrhunderten an verteidigten, von Justin dem Märtyrer über das epochale Werk „Adversus haereseos“ von Irenäus von Lyon, über große Philosophen und Theologen wie Augustin, dessen fundamentales geschichtstheologisches Werk „De Civitate Dei“ der Verteidigung des Christentums gegen die Anwürfe der Vertreter der altrömischen Religion dient, der Christengott habe Rom nicht schützen können (410!). Nur wenig später verfasste der Spanier Orosius seine Apologie „Historiae adversum paganos“ (Geschichte gegen die Heiden), und der Priester Salvianus von Marseille stellte seine Zeit und die Niederlagen der christlichen Römer als gegenwärtiges Gericht Gottes über die sündige Christenheit dar („De gubernatione Dei“). Auch in der Scholastik, in der Theologie der Reformationszeit und der frühen Neuzeit hat Apologetik ihren Stellenwert behalten; in der Auseinandersetzung um die kritische Erforschung der biblischen Schriften durch die Philosophie der Aufklärung nimmt sie fragwürdige Formen an, so in der Verteidigung der Verbalinspiration in der Auseinandersetzung des Hamburger Hauptpastors Johann Melchior Goeze mit Gotthold Ephraim Lessing wegen dessen Veröffentlichung der Wolfenbütteler Fragmente des Orientalisten Hermann Samuel Reimarus.

Aus der jüngeren Kirchengeschichte sei nur noch Friedrich Schleiermacher erwähnt. Sein bekanntestes Werk sind die „Reden über Religion“, 1799 zum ersten Mal herausgegeben. Schleiermacher wendet sich in diesem Text „An die Gebildeten unter ihren Verächtern“. Er legt dar, wie zeitgenössische Philosophie und christlicher Glaube zusammenpassen, wie nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden kann. Schleiermacher stellt in einem Brief die berühmte Frage: „Soll denn der Knoten der Geschichte so aufgehen, die Wissenschaft mit dem Unglauben und die Religion mit der Barbarei?“

Nachdem die Dialektische Theologie in der Nachfolge Karl Barths jegliche Apologetik abgelehnt hatte (Gott bedarf keiner Verteidigung, und jede Vermengung von Gottes Wort und philosophischer Argumentation ist unangemessen), zeigt die oben schon skizzierte Situation von Kirche und Theologie in den letzten Jahrzehnten, wie dringend argumentative Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichen religiös-weltanschaulichen Gruppierungen und Positionen geworden sind. Zudem können wir heute, gut 200 Jahre nach Schleiermacher, die geistige Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft ähnlich interpretieren wie er damals. Viele Zeitgenossen, die sich für kulturell und (natur-)wissenschaftlich gebildet halten, nehmen den christlichen Glauben nicht mehr ernst. Man belächelt Menschen, die zur Kirche gehören – und auch noch hingehen. Daran hat auch die sog. Wiederkehr der Religion nichts geändert. Der in den letzten Jahren aufgeflammte aggressive Atheismus im Gewand von Naturwissenschaft, besonders der Evolutions- und Biowissenschaften, und seine Unterstützung in weiten Kreisen machen das deutlich; die Bücher von Richard Dawkins und Christopher Hitchens, aber auch manche begleitenden publizistischen Reaktionen darauf zeigen es paradigmatisch. In dieser Auseinandersetzung hat sogleich apologetische Argumentation eingesetzt, um zu zeigen, wie der Gaul des Atheisten Dawkins mit dem Biologen durchgegangen ist – und wie massiv hier unerlaubte Grenzüberschreitungen stattgefunden haben.4

Apologetische Theologie will den von Schleiermacher angesprochenen „Knoten der Geschichte“ anders lösen, als er es befürchtet hat, will vermeiden, dass Wissenschaft die Domäne des Unglaubens, des Atheismus wird. Sie will auch der Wissenschaft, der Kultur jeder Zeit – dieser Zeit – vermitteln, dass Glaube und Vernunft sich nicht widersprechen. Wie das Verhältnis bestimmt wird, hängt von den Denkvoraussetzungen und von den herrschenden philosophischen Vorstellungen der jeweiligen Gegenwart ab.

So stehen wir heute vor der Frage, mit welchen Methoden die Ziele und Aufgaben, die einer aktuellen Apologetik in der geistigen Situation der Zeit gestellt werden, angemessen erfüllt werden können. Dabei gilt es zu beachten, dass apologetische Arbeit nicht in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern in den konkreten Lebenswirklichkeiten von Kirchen und Gemeinden, in den Anfragen von Menschen, die betroffen sind, weil sie selbst, Angehörige oder Freunde in den Bereich einer mehr oder weniger obskuren religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung geraten sind.

Aufgaben kirchlicher Apologetik heute

Während das Feld apologetischer Bemühungen in früheren Zeiten recht begrenzt war und die Gegner bzw. Irrlehrer oder Bestreiter des christlichen Glaubens einfach auszumachen waren, hat es Apologetik heute mit einer fast unüberschaubaren Gemengelage zu tun. Die religiöse und weltanschauliche Situation der gegenwärtigen Gesellschaft ist vielfältig und undurchsichtig geworden. Neue Gruppierungen entstehen, die oft sehr klein und kaum zu recherchieren sind: So gibt es zahlreiche lokale Gurus, die ein Dutzend Menschen um sich scharen, die ihnen treu ergeben sind. Das sind Grüppchen, die zwar weder für die Kirche noch für die Gesellschaft von besonderer Relevanz oder gar Gefahr sind, die aber für die Menschen, die es betrifft, und ihre Angehörigen eine Katastrophe bedeuten können. Und für die Beratung bzw. Information und Orientierung ergibt sich das Problem, dass es kein Material zur Information gibt, oft keinen Internet-Auftritt und schon gar keine Publikationen.5 Aber auch ohne solche oft konfliktträchtigen Gruppen reicht das Spektrum aus. In der EZW gibt es eine Aufteilung in Referate, im landeskirchlichen Bereich ist jeder ein Generalist, auch wenn es Bereiche gibt, in denen besondere Kompetenz erarbeitet wurde.

So muss im apologetischen Feld immer wieder gefragt werden: Was sind genuine Aufgaben kirchlicher Weltanschauungsarbeit, die den oben skizzierten Zielen entsprechen, und wo wird dieser Bereich verlassen, so dass Kompetenzüberschreitungen vorkommen, die dann zum Anlass genommen werden können, die kirchliche apologetische Arbeit insgesamt zu attackieren oder gar zu verunglimpfen?6

Welche Aufgaben entstehen nun der Apologetik aufgrund ihrer Zielsetzungen? Grundlegend ist die Auseinandersetzung mit den „Sekten“ oder Sondergemeinschaften – oder wie immer man diese Gemeinschaften bezeichnen will. Generell ist der Sektenbegriff zu hinterfragen, denn er hat immer eine pejorative Note: Keine Gruppe im deutschen Sprachraum wendet ihn auf sich selbst an, sondern er wird von außen zugewiesen und als Herabsetzung empfunden. Von daher steht er einem Dialog im Wege. Aber welchen anderen Begriff gibt es, der hier herangezogen werden könnte? Das neutrale Wort „Sondergemeinschaften“ ist viel zu unspezifisch, als dass es den Begriff „Sekte“ ersetzen könnte. Jeder Mönchsorden ist eigentlich eine „Sondergemeinschaft“; eine evangelische Kommunität oder eine Landeskirchliche Gemeinschaft könnte so bezeichnet werden. Es fehlt das Spezifikum, das der Sektenbegriff trotz all seiner Probleme hat. Der Begriff „Sekte“ weist darauf hin, dass die Gruppierung den Hauptstrom der jeweiligen Religion bzw. Konfession verlassen hat und einer Führungsfigur gefolgt ist. Es besteht also eine Nähe zwischen den Kirchen und ihren Sekten. Damit ist dieses Gebiet ureigenstes Terrain der Apologetik.

Entscheidend sind dabei aus theologischer Sicht in erster Linie Fragen nach der Lehre, nach den Grundlagen und nach ihrer Kompatibilität mit kirchlichen, auf Bibel und Bekenntnis fußenden Glaubensweisen: Hier wird z. B. gefragt, ob es eine Zusatzoffenbarung neben oder gar über der Bibel gibt oder ob Teile der Bibel eliminiert werden. Es geht um das Kirchenverständnis, um Art und Zahl der Sakramente, um Zusatzhandlungen zu den Sakramenten (wie die Versiegelung bei der Neuapostolischen Kirche), um die Gültigkeit der ökumenischen altkirchlichen Bekenntnisse und vor allem um das Selbstverständnis im Blick auf die Exklusivität des Heils: Gelten auch Menschen als vollwertige Christen, die einer anderen Kirche angehören? Gibt es Kontakte zu anderen Kirchen? Wie rigoros ist die Ethik? Bleiben Kontakte mit „Ehemaligen“ erhalten, oder werden diese geächtet?

All das sind primär theologische Fragen. Ob die Gemeinschaft seitens der in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) zusammenarbeitenden Kirchen als Sekte gilt, stellt sich allein aufgrund der Lehre und des Eigenanspruchs dar. Maßstab für die evangelische Theologie und Apologetik sind die Texte der Bibel und die Bekenntnisschriften. Nur – was das konkret heißt, muss immer neu diskutiert werden, in Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit und unter Zuhilfenahme von säkularer Wissenschaft, mit den Methoden und der Terminologie, die sie zur Verfügung stellt.

Daneben gibt es den gesellschaftlichen Sektenbegriff. Diese Unterscheidung, die von Hansjörg Hemminger eingeführt wurde7, wird weitgehend übernommen: In der Gesellschaft wird mit dem Begriff „Sekte“ Manipulation, Konfliktträchtigkeit aufgrund einer engen Abgrenzung nach außen, finanzielle Ausbeutung, die Herrschaft eines Einzelnen oder einer kleinen Führungsgruppe über das „Fußvolk“ verstanden. Oft kommt beides zusammen, aber das ist keineswegs zwingend. So bezeichnen Apologeten z. B. die Christengemeinschaft, den religiösen Zweig am Baum der Anthroposophie, wegen ihrer Lehre und ihrer Abhängigkeit von Rudolf Steiner als Sekte, sozial konfliktträchtig ist sie aber nicht.

Der Bereich der Religion neben den Kirchen – und damit das apologetische Arbeitsfeld – ist aber sehr viel größer als der Bereich der Sekten. Weltanschauungsbeauftragte werden täglich mit diesem weiteren Bereich konfrontiert, denn Menschen, die Information und Orientierung suchen, Medienvertreter oder Mitarbeitende in Behörden oder in Wirtschaftsunternehmen fragen bei ihnen an und suchen Antworten. Darin wird deutlich, ein wie großes Vertrauen im Raum unserer Gesellschaft in die Kirchen und ihre Arbeit gesetzt wird: Die Öffentlichkeit erwartet eine fundierte Information, und die Anfragenden wissen, aus welcher Geisteshaltung heraus interpretiert, gewertet und Orientierung gegeben wird.

Gegenstand apologetischer Arbeit neben den Sekten sind heute:

• Gemeinschaften aus anderen Weltreligionen, die längst unter uns sind und eifrig missionieren, seien sie buddhistisch, hinduistisch, islamisch oder von anderer Provenienz. Ihre starke Anwesenheit in Deutschland ist auch eine Folge der Globalisierung, die nicht nur Märkte zusammenbringt, sondern auch Menschen, Kulturen und Religionen.

• Esoterik in ihren zahllosen Spielarten: von den großen Systemen wie Theosophie, Anthroposophie, Rosenkreuzertum bis hin zur sog. Gebrauchsesoterik der Messen, Zentren, Läden und Versandhäuser.

• sog. Psychogruppen wie Scientology, Landmark, dazu zahllose Wirtschaftsformen wie Strukturbetriebe, Management-Trainings-Institute usw. Doch während bei Scientology die weltanschauliche Dimension deutlich zutage tritt und in der Selbstbezeichnung „Kirche“ der Anspruch auf den Religionsstatus erhoben wird (damit aber auch die Zugehörigkeit zum Themenfeld christlicher Apologetik deutlich ist), sind die Übergänge im zuletzt genannten Bereich fließend. Hier muss unterschieden werden: Wo ist eine weltanschaulich-theologische Frage zu lösen, und wo geht das Gespräch oder gar eine öffentliche Äußerung in den Bereich einer wirtschaftlichen Beratung über (Arbeitsabläufe, Qualität der Angebote usw.) – und bedeutet damit eine Kompetenzüberschreitung, die Angriffe bis hin zu Prozessen nach sich ziehen kann?

• Nicht zuletzt gehören auch jene freien Gemeinden ins apologetische Feld, die sich als Teil der Christenheit, ja oft der Evangelischen Allianz verstehen: die neuen freien Gemeinden, die zumeist neopentekostal, charismatisch orientiert sind. Sie gehören zum Aufgabenfeld, weil Menschen bei uns anfragen und wissen wollen, ob es sich hier um Sekten handelt oder nicht, ob die Gemeinden für die Mitglieder (v. a. für Jugendliche und junge Erwachsene) gefährlich sind. Das hängt nicht zuletzt mit Fremdheitserfahrungen in ihren Gottesdiensten zusammen, mit ihrem Umgang mit ekstatischen Phänomenen, mit dem Vertrauen auf Krankenheilungen durch den Heiligen Geist (oder gar dem Gebieten von solchen Heilungen), mit dem Austreiben von Dämonen und auch mit der Rolle und Autorität des Gemeindeleiters, die oft an die Grenzen des Sektiererischen stoßen – und in manchen Ausprägungen auch darüber hinausgehen. Die Frage „Sekte oder nicht?“ ist in vielen Punkten also auch eine Frage des Maßes, das aber immer konkret und zeitnah erhoben, definiert und recherchiert werden muss.

• Zur Apologetik gehört nicht zuletzt das Querschnittsthema des Fundamentalismus, der seine Wurzeln zwar in Amerika hat, sich aber längst auch in unserer Gesellschaft auswirkt. Hier sind besonders folgende Themen zu nennen: Kreationismus (und Kampf gegen jede Form von Evolution), Schulverweigerung bzw. „Homeschooling“, extremer Biblizismus mit Behauptung der Verbalinspiration und der Irrtumslosigkeit der Bibel nicht nur in Fragen des Glaubens.

Zur apologetischen Arbeit gehören natürlich Vorträge in Gemeinden, vor Bezirkssynoden, in Bildungseinrichtungen kirchlicher oder säkularer Trägerschaft, die öffentliche Äußerung in Medien, die Publizierung von Artikeln, das beratende Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen. In vielen Fällen ist apologetische Beratung Seelsorge. Menschen fragen nach einer „Sekte“ – und brauchen jemanden, mit dem sie über die Trennung von der Ehefrau reden können, anonym, im Wissen, dass der Mensch am Telefon unter Schweigepflicht steht. Menschen suchen Orientierung – aber nicht nur im Blick auf die eine oder andere religiöse Bewegung, sondern für die eigene Lebensperspektive. Hier wird eine seelsorgerliche Aufgabe wahrgenommen für die Kirche, für die Gesellschaft – ähnlich wie bei der Telefonseelsorge. Die Sektenanfrage ist oft nur ein Vorwand. Auf all den genannten Feldern suchen Christen wie Nichtchristen, Kirchenmitglieder und längst Ausgetretene, kirchliche Institutionen, Wirtschaftsbetriebe, Rechtsanwälte oder kommunale Dienststellen nach Information und Orientierung und fragen bei kirchlichen apologetischen Beratungsstellen an.

Methoden apologetischer Arbeit

Wie kann mit solchen Anforderungen sachgemäß umgegangen werden? Welche Methoden bieten sich für die apologetische Arbeit an? Auch wenn immer noch Angehörige anrufen und darauf hoffen, dass „die Kirche“ ihre (meist längst erwachsenen) Kinder mit irgendwelchen Zwangsmitteln oder spektakulären Aktionen aus dem Bann jener Gemeinschaft lösen kann, der sie verfallen sein sollen – die Methoden der Weltanschauungsarbeit sind unspektakulär, arbeitsintensiv, setzen auf Überzeugung. Und oft genug muss den Angehörigen gesagt werden, dass es keine Handhabe gibt, jemanden aus einer Gruppierung zu holen, mag sie noch so krude Glaubens- und Lebensformen angenommen haben, solange sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegt. Welche Methoden wenden Weltanschauungsbeauftragte in der täglichen Praxis an?

Zuhören ist die erste Pflicht: Geht es um Information, um Orientierung – oder ist der Hintergrund der Frage in Beziehungs- oder Familienproblemen zu suchen? Liegen Fakten vor oder vielleicht Störungen, die einer fachkundigen Therapie bedürfen (z. B. wenn sich Menschen von einer Sekte verfolgt fühlen)?

Gründliche Recherche beginnt mit einem Quellenstudium in gedruckten Schriften, Handbüchern oder im Internet. Je nach Gemeinschaft und wenn zeitlich und räumlich möglich, ist ein Besuch, evtl. die Teilnahme an einer Veranstaltung zu empfehlen, dazu Gespräche mit Verantwortlichen und Mitgliedern. Das gilt vor allem bei freien Gemeinden, Missionswerken, Jugendgruppen usw., aber auch bei Esoterikzentren und -messen, bei Anthroposophen oder Rosenkreuzern, bei Freimaurern oder in buddhistischen Ashrams, um nur einige zu nennen. Vieles erschließt sich im atmosphärischen Erleben der Räume und im Gespräch vor Ort. Dieser Teil der Recherche ist sehr zeitaufwändig und kann daher längst nicht immer so durchgeführt werden, wie es gut und sinnvoll wäre.

Gespräche auch mit Menschen, die innerhalb der Gemeinschaft leben, sind sehr wichtig. Viel zu lange hat die Arbeit der kirchlichen Sektenbeauftragten sich hauptsächlich auf die Aussagen und Erfahrungen von Aussteigern gestützt und die Stimmen derer, die innerhalb einer beobachteten Gruppierung leben, wenig oder gar nicht gehört – galten sie doch als unfrei, manipuliert und der jeweiligen Führung hörig. Natürlich sind Aussteigerberichte nach wie vor wichtig, doch neben internen Informationen spiegeln sie persönliche Betroffenheit und Verletzungen, die zu einem subjektiven Bild führen.

Mir ist das vor allem in den Gesprächen über freie Gemeinden und Missionswerke klar geworden – aber auch in den Gesprächen der ACK mit Vertretern der Neuapostolischen Kirche (NAK). Schließlich würde auch nicht akzeptiert werden, wenn das Bild der evangelischen. Kirche nur von denen bestimmt wird, die ausgetreten sind, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, die eine andere geistliche Heimat gesucht und gefunden haben. Das soll die Erfahrungen der Aussteiger nicht einschränken oder abwerten. Aber sie sind nicht die einzig mögliche Sichtweise. Es gilt, sowohl Ehemalige als auch in der Gemeinschaft Aktive zu hören und dann zu einem Ergebnis zu kommen, das möglicherweise ambivalent bleibt. Denn vieles im religiösen Erleben ist und bleibt subjektiv – und was die einen als hilfreich, stützend und orientierend empfinden, ist für andere einengend und begrenzend.

Zur Apologetik gehört auch ein Dialog, der institutionalisiert werden kann – sicher nicht mit den harten „Sekten“, die nach wie vor hohe und feste Mauern um sich ziehen. Zeugen Jehovas, das Universelle Leben oder Fiat Lux werden kaum an einem solchen Vorhaben interessiert sein. Aber die NAK kam vor einigen Jahren zur ACK Baden-Württemberg mit der Frage: „Was müssen wir tun, um ökumenefähig zu werden?“ – Und es haben sich viele Gespräche ergeben, an deren vorläufigem Ende eine Handreichung für die Gemeinden in den ACK-Kirchen von Baden-Württemberg stand sowie die Weiterleitung der Ergebnisse an die ACK Deutschland. Es haben sich Anfänge einer Lehrveränderung innerhalb der NAK gezeigt, die – wie zu Recht angemerkt wird – noch nicht ausreichen, um eine Mitgliedschaft der NAK in der ACK zu begründen, die aber sehr wohl eine Richtung angeben, in der eine Öffnung einer bislang exklusiven Sekte in Richtung auf eine Ökumene gegenseitiger Akzeptanz geschehen kann.

Ähnliche Dialoge hat es mit der Christengemeinschaft gegeben (allerdings ohne positives Ergebnis), gibt es mit Esoterikern, mit Vertretern des Buddhismus und natürlich – auf anderen Schienen – mit Juden und Muslimen. Hier ist die Aufgabe von Apologetik darin zu sehen, die eigene kirchliche Position klar und deutlich, zugleich verständlich und einladend zu formulieren. Im Gespräch mit dem Islam ist es z. B. in besonderer Weise die Christologie, die nicht nur in innertheologisch wissenschaftlichen Termini formuliert werden darf, sondern so, dass sie normalen Christen und ihren Gesprächspartnern plausibel wird. Im Gespräch mit charismatischen Gemeinden sind es Formulierungen über das aktuelle Wirken des Heiligen Geistes, über das Kirchenverständnis, über das Verständnis der Taufe (Kindertaufe – Glaubenstaufe, Wassertaufe – Geistestaufe) und Anfragen über Formen der Praxis, die im Gespräch vorgelegt werden müssen.

In all diesen Punkten sind auch Kriterien apologetischer Beurteilung enthalten:

• die Frage nach der Vereinbarkeit mit verantwortungsvoller Bibelexegese und mit den Bekenntnissen der Kirchen

• Fragen nach dem Umgang mit Mitgliedern und „Aussteigern“, mit Kritik, mit Informationen von außen.

• Inwieweit ist die Gemeinschaft offen für einen Dialog mit zeitgenössischen Wissenschaften, mit der Kultur, mit Andersdenkenden und -glaubenden?

• Welchen Umgang mit Finanzen, mit Macht usw. gibt es – und wer entscheidet? Gibt es gewählte und verantwortliche Gremien, oder hat der direkt von Gott beauftragte Leiter alles in eigener Hand?

• Fragen nach der Stellung zu anderen Kirchen (dazu ist es hilfreich, in den Internet-Auftritten die Links anzusehen, die ja Beziehungen anzeigen – und auch das Fehlen von Beziehungen).

Schluss

Vieles von dem, was hier als Aufgabe apologetischer kirchlicher Arbeit genannt wurde, ist auch Aufgabe der Systematischen Theologie an unseren Hochschulen. Aber die Zielrichtung ist dort eine andere: Weltanschauungsbeauftragte der Kirchen haben konkrete Gesprächspartner im Blick und arbeiten nicht (nur) im Grundsätzlichen. Aufgabe der Apologetik ist es, in diesen Feldern Kirchenleitungen zu beraten, Anstöße zu geben, Hilfestellungen zu erarbeiten. Das gilt besonders für die juristischen und pädagogischen Bereiche der Kirchenleitungen: Wie steht es mit Anstellungen von Menschen dieser und jener Gruppe in Kindergärten oder Altenheimen? Kann eine Vocatio für den Religionsunterricht erteilt werden oder nicht? Grundsätzlich gibt es die sog. „ACK-Klausel“, nach der nur eingestellt werden kann, wer Mitglied einer ACK-Kirche ist. Aber im Einzelfall und aus der Perspektive einer betroffenen Gemeinde kann vieles komplizierter sein.

Von grundlegender Bedeutung ist dabei die eigene Verwurzelung des Apologeten im christlichen Glauben. In der apologetischen Arbeit ist Authentizität gefragt. Hier sei an das anfangs zitierte Wort aus 1. Petr 3,14-16 erinnert. Es geht nicht um die theologisch korrekte Weitergabe systematisch-theologischer oder fundamentaltheologischer Richtigkeiten. Deutlich werden muss „die Hoffnung, die in uns ist“ – und das nicht polemisch, sondern „mit Sanftmut und Gottesfurcht“, gestützt von einem authentischen Reden und Handeln. Für Menschen, die Orientierung suchen, die den Berater als Seelsorger wahrnehmen, ist wichtig, dass deutlich wird, wo der Referent, der Ratgeber, der Seelsorger persönlich steht. Das gilt zwar für viele (wenn nicht für alle Arbeitsbereiche der Kirche und vor allem für alle theologischen) – aber hier ist jeder und jede immer wieder neu herausgefordert. Apologetik ist also kein akademisch distanziertes Geschäft, sondern fordert die existentielle Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubensgrundlagen.

Ein persönliches Wort am Ende: Ich werde z. B. besonders nach Vorträgen zur Anthroposophie immer wieder gefragt, welchen Ertrag ich von mehr als 20 Jahren Lektüre der Werke Rudolf Steiners gehabt habe. Ich antworte dann – und das ist meine tiefste Überzeugung –, dass mir die Grundlagen des christlichen Glaubens, Bibel, Bekenntnis und Gemeindeleben neu lieb und wertvoll geworden sind, um Maßstäbe für Glauben und Leben zu finden und nicht von der Geistesschau eines selbst ernannten Sehers abhängig zu sein.


Jan Badewien, Karlsruhe


Anmerkungen

1 Überarbeiteter Vortrag, der im Rahmen der berufsbegleitenden Fortbildung „Curriculum Religions- und Weltanschauungsfragen“ der EZW (16.-20.3.2009) in Berlin gehalten wurde.

2 Vgl. dazu Matthias Petzoldt / Michael Nüchtern / Reinhard Hempelmann, Beiträge zu einer christlichen Apologetik, EZW-Texte 148, Berlin 1999.

3 Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 1950 (151997).

4 Vgl. Dirk Evers, Gotteswahn? Religionsbeschimpfung im Kleid der Wissenschaft, in: Jan Badewien (Hg.), Religionsbeschimpfung. Freiheit der Kultur und Grenzen der Blasphemie, EZW-Texte 203, Berlin 2009, 59-74; dazu auch Peter R. Gerke, Gibt es einen Gotteswahn? Gedanken zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube, in: MD 3/2009, 103-110.

5 Vgl. Hansjörg Hemminger / Annette Kick / Andrew Schäfer, Ein Land voller Propheten. Neureligiöse und spirituelle Kleingruppen um Medien, Gurus und erleuchtete Meister, Teil 1 und 2, in: MD 5/2008, 163-173, und 6/2008, 203-212.

6 So in Gerhard Besier / Erwin K. Scheuch (Hg.), Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid, Teil 1 und 2, Zürich 1999.

7 Hansjörg Hemminger, Was ist eine Sekte? Stuttgart 1995.