Wenn man in den letzten Jahren in der Adventszeit aufmerksam durch die Buchhandlungen und Zeitschriftenläden ging, kam man am Thema Raunächte kaum vorbei. Auch in den Medien wurde das Thema vermehrt aufgegriffen. Ein Grund für die EZW, zu klären, was die Raunächte eigentlich sind, was dieses Motiv so attraktiv macht und welche Formen der Trend um die Raunächte derzeit annimmt.
Neues Stichwort: Raunächte

Als Raunächte werden zumeist entweder die Tage beziehungsweise Nächte zwischen dem 21. Dezember und dem Neujahrstag oder aber zwischen dem 24. Dezember und Epiphanias bezeichnet, wobei der genaue Beginn und das genaue Ende variieren können. Dabei werden zwölf Raunächte gezählt. Historisch markieren sie die Nächte der Diskrepanz zwischen dem Mondkalender mit 354 Tagen und dem Sonnenkalender mit 365 Tagen. Zwischen dem Jahresende des einen und dem Jahresanfang des anderen Kalenders liegen elf Tage und zwölf Nächte, die weder zum alten noch zum neuen Jahr gehören und damit als „zwischen den Jahren“, quasi aus der Zeit gefallen, betrachtet wurden.
Für landwirtschaftlich geprägte Gesellschaften waren diese Tage, die den Jahresanfang markierten, besonders wichtig, da sie garantierten, dass zur richtigen Zeit gesät wurde. Der anhand des Mondstandes für die Bauern einfacher zu verfolgende Mondkalender führte dazu, dass sich die Jahreszeiten jedes Jahr leicht, nämlich um elf Tage, verschoben (Timm 2004, 251). Um dies zu vermeiden, musste am Ende des Mondjahres elf Tage und zwölf Nächte auf den Beginn des neuen Jahres gewartet werden. In „den Zwölften“ zwischen dem Mond- und dem Sonnenjahr, so glaubte man, trieben Geister, die Wilde Jagd oder Frau Holle bzw. Frau Percht ihr Unwesen (Timm 2004, 249 f.).
Die Bezeichnung Raunächte leitet sich vermutlich vom mittelhochdeutschen Wort rûch ab, das „haarig“ bedeutet und sich auf die geisternachahmenden Masken bezieht, die in dieser Zeit getragen wurden. Andere Quellen vermuten allerdings, dass sich das Wort Rau(h)nacht von der Praxis des rituellen Räucherns ableitet. Bräuche während der Raunächte können mindestens seit dem Mittelalter nachgewiesen werden, sind aber vermutlich erheblich älter. Bei den berühmten Perchtenläufen geht man allerdings von einem jüngeren Ursprung aus. Sie sind erstmals 1582 bezeugt (Timm 2004, 306).
Eine deutschsprachige Besonderheit
Während viele esoterische Trends über die sozialen Medien aus dem englischsprachigen Raum übernommen werden und globale Verbreitung finden, sind die Raunächte in erster Linie ein deutschsprachiges Phänomen. Im englischsprachigen Raum hingegen ist die neue Welle der Rituale zur Weihnachtszeit weitestgehend ausgeblieben. Auch dort gibt es traditionell die sogenannten Twelve Nights of Christmas zwischen dem Weihnachtstag und Epiphanias. Unter anderem das Shakespeare-Stück Twelfth Night belegt, dass die zwölfte Nacht historisch karnevaleske Züge trug, indem sie Gender- und Machtzuschreibungen auf den Kopf stellte und religionspolitische Streitigkeiten zwischen Katholizismus und Puritanismus verhandelte. Allerdings findet sich derzeit kein Hinweis auf eine Wiederaufnahme dieser Tradition.
Vermutlich liegt der Erfolg der Raunächte auch an ihrer weltanschaulich neutralen Prägung, die schon durch ihren Namen nicht in einem dezidiert christlichen Kontext steht und sich als anschlussfähig für verschiedene Weltanschauungen erweist. Auch die doppelte Möglichkeit der Herleitung der Bezeichnung bietet eine Rezeption sowohl durch esoterische Gruppen, in denen das Räuchern große Bedeutung hat, als auch für Menschen, die ein Bedürfnis nach Gemeinschaft oder Brauchtum haben, das unter anderem in den Perchtenvereinen ausgelebt werden kann.
Damals und heute
„Zwischen den Jahren“, so liest man in der aktuellen Literatur zu den Raunächten, sei „der Schleier zwischen Diesseits und Jenseits besonders dünn“ oder „das Tor zur Anderswelt stünde offen“. Historisch glaubte man unter anderem, dass in dieser Zeit die Tiere sprechen können und dass es möglich sei, etwas über die Zukunft zu erfahren. Die Raunächte werden deshalb gelegentlich auch „Losnächte“ genannt.
Zudem gab es den Volksglauben, dass man sich in dieser Zeit besonders vor Geistern und bösen Kräften schützen müsse. Deshalb sollte während der Raunächte z. B. keine Wäsche aufgehängt werden, damit diese nicht zum Leichentuch würde. Mit den Perchtenläufen, bei denen sich junge Männer mit als „Perchten“ bezeichneten Masken verkleideten, sollten die Geister vertrieben und die Erde fruchtbar gemacht werden. Perchten sind nach der germanischen Sagengestalt Frau Percht benannt, die in Mitteldeutschland unter dem Namen Frau Holle bekannt ist.
Die Philologin Erika Timm hat die schriftlichen Belege für die Verbreitung der Sagengestalt Frau Percht/Frau Holle zusammengetragen und kommt zu dem Schluss, dass Percht und Holle (auch Holde) vermutlich verschiedene Abwandlungen der germanischen Göttin Freya waren, die nach der Christianisierung Europas weiter Bestand hatten (Timm 2004, 232–272). Auch Jacob Grimm vertrat diese Position in seiner Deutschen Mythologie von 1835. Viele historische Belege findet Timm für den Glauben, dass Frau Holle während der Raunächte darauf achtet, dass in dieser Zeit nicht gesponnen wird. Sie geht davon aus, dass dies mit dem Warten auf den Beginn des Jahreskreislaufs zu tun hatte, der durch die Drehbewegung des Spinnrades nach der Logik des Analogiezaubers nicht gestört werden sollte (Timm 2004, 253 ff.).
Diese historischen Befunde machen die Raunächte auch zu einem feministischen Thema, was die große Anzahl von Autorinnen in der aktuellen Raunachtsliteratur erklären könnte. Häufig richten sich die Ratgeber zudem an ein eher weibliches Publikum, oft mit Bezug auf angeblich alte weibliche Weisheit und Intuition.
Frau Percht/Frau Holle wird zudem mit der Wilden Jagd bzw. dem Wilden Heer in Verbindung gebracht. Die ebenfalls von Jacob Grimm in seiner Deutschen Mythologie so benannte „Wilde Jagd“ ist ein Zug aus Geistern, schaurigen Jägern, wilden Hunden und Sagengestalten, der im germanischen Volksglauben vermutlich von Wotan angeführt wurde, sich aber mit zahlreichen anderen Mythen vermischt hat. Die Wilde Jagd zieht während der Raunächte durch das Land, wirbelt Menschen durch die Luft und bestraft Fehlverhalten.
Hier schließt auch ein völkisches Interesse an den Raunächten an, so etwa in Sven Henklers Das Wilde Heer (Henkler 2004), das im neurechten und völkisch-mythologisch ausgerichteten Verlag „Zeitenwende“ erschienen ist. Allerdings scheint die völkische Deutung der Raunächte nur eine geringe Rolle innerhalb der aktuellen Konjunktur zu spielen. Raunachtsmythen werden hier zwar zumeist erwähnt, aber in erster Linie historisch aufgefasst. In der aktuellen Ratgeberliteratur zu den Raunächten geht es hauptsächlich um die Themen Selbstfürsorge, Selbstfindung und Achtsamkeit.
Die Raunächte und die Corona-Pandemie
Die Fülle an Literatur zu den Raunächten ist zunächst bemerkenswert. Auffällig ist dabei, dass viele der Bücher während oder nach der Pandemie erschienen sind. Einige, die bereits vor 2020 entstanden waren, haben seit der Pandemie eine Wiederauflage erfahren.
Die Pandemie-Maßnahmen betrafen besonders den Aufenthalt in geschlossenen Räumen, wodurch gerade der Winter eine Krisensituation darstellte. Gefühle von Einsamkeit, Überforderung und Wut angesichts nicht zu steuernder Kräfte, die viele Menschen in dieser Zeit erlebten, spiegeln sich in der historischen Vorstellungswelt der Raunächte gut wider. Da viele Betriebe zur Weihnachtszeit geschlossen hatten und große soziale Zusammenkünfte während der Pandemiejahre ausfielen, waren diese Gefühle besonders spürbar. Hier boten sich Raunachtsrituale an, um die emotionale Stabilität zu fördern. Dazu passt auch, dass in den meisten Ratgebern vom Medienkonsum zu dieser Zeit abgeraten wird.
Medienkritik, Nostalgie und Naturverbundenheit
Immer wieder scheint in den Büchern über die Raunächte eine Kritik an den Medien auf, an einer Übersättigung und Überforderung aufgrund der schieren Menge an Informationen und Eindrücken. Die Medien seien zu laut, zu viel … Diese latente Medienkritik wird häufig mit einer Nostalgie verbunden, die auf eine vermeintliche Einfachheit früherer Zeiten verweist.
Die Raunächte werden dementsprechend als Tradition aus einer Zeit beschrieben, in der das Leben im Einklang mit der Natur geführt wurde und Handarbeit einen großen Wert hatte. Dieses „einfache und harte“ Leben wird mit einer größeren psychischen Gesundheit und Zufriedenheit in Verbindung gebracht. Die Raunachtsrituale sollen dann dabei helfen, diese psychischen Ressourcen aus Ruhe, Handarbeit und Naturerlebnis (wieder) zu entdecken. Die „Rückbesinnung“ auf eine ruhigere Zeit, die vor allem auch den Lärm der Medien nicht kennt, soll die Chance eröffnen, den individuellen Lebenssinn zu finden (so z. B. bei Courtenay 2024, 13–19).
Überhaupt wird häufig darauf hingewiesen, dass die Raunächte individuell gestaltet werden sollen, um dem individualistischen Anspruch der esoterischen Weltanschauung Rechnung zu tragen. Dies läuft jedoch der historischen Brauchtumsstruktur der Raunächte mit ihren festen Ritualen zuwider. Deshalb werden die Raunachtsrituale vereinzelt auch von esoterischer Seite kritisch gesehen (siehe beispielhaft: Schmidt 2024).
Praktiken und Themen
Die Beiträge zu den Raunächten in Büchern und auf Social-Media-Plattformen ähneln sich auffällig. Die Tipps für die Raunachtspraxis, die mit wenigen Ausnahmen im Zeitraum vom 25. Dezember um Mitternacht bis zum 5. Januar um Mitternacht angesetzt wird, speisen sich aus einem zunehmend festen Portfolio an Neujahrsritualen. Typische Praktiken sind das Räuchern, häufig mit Heilkräutern, sowie das Losen, bei dem jeder Tag der Raunächte für einen Monat des nächsten Jahres steht. Oft wird dies mit Zahlenmystik um die Zahl Zwölf verbunden.
Besonderer Beliebtheit erfreut sich das 13-Wünsche-Ritual, bei dem 13 Wünsche auf Zettel notiert und versiegelt werden. In jeder Raunacht wird einer dieser Zettel verbrannt, auf dass der betreffende Wunsch von selbst in Erfüllung gehe. Am 6. Januar bleibt dann ein Zettel übrig, für dessen Erfüllung die Person, die das Ritual durchführt, selbst verantwortlich ist.
Empfohlen wird fast immer, in der Zeit der Raunächte ein Traumtagebuch zu führen. Viele Ratgeber enthalten deshalb auch Passagen zur richtigen Traumdeutung sowie leere Seiten, auf denen die Träume notiert werden können. Auch Praktiken des Kartenlegens werden häufig vorgeschlagen und erläutert.
Eine weitere typische Praxis ist das meditative und auf Entspannung ausgerichtete Yin Yoga (Yoga mit Martina 2021, Honecker 2024). Aber auch die neugeistig geprägten Affirmationen finden immer wieder Eingang in die Tipps zur Raunacht (Jetter, 20024). So hat etwa die für die Praxis des Manifestierens bekannte Influencerin Laura Malina Seiler ein Video zur Raunachtsmeditation im Portfolio (Seiler 2024). Gleiches gilt für zahlreiche esoterisch ausgerichtete Selbstoptimierungskanäle, wie z. B. für den Kanal A Higher Mind (Schwarz 2024). Allerdings erzielen diese Videos auf den Kanälen der jeweiligen Content-Creator:innen keine besonders hohen Aufrufzahlen und werden, wie es scheint, zumeist nicht gezielt gesucht oder geklickt. Das Thema Raunächte ist augenscheinlich in den meisten Fällen keines, mit dem neue Follower:innen generiert werden, sondern fügt sich eher in das normale Jahresprogramm weltanschaulicher Influencer:innen ein.
Neue Brauchtumsvereine
Die Esoterikszene teilt das Motiv mythisch aufgeladener Nostalgie mit neu entstandenen Brauchtumsvereinen rund um das Thema Raunächte. Neben der Ratgeber- und Selbsthilfeliteratur lässt sich auch hier eine Neukonjunktur feststellen. Seit den 2000er-Jahren wurden zahlreiche Perchtenvereine gegründet. Hier stehen das Gemeinschaftsgefühl und das theatralische Moment der eigentlichen Läufe im Mittelpunkt. Die Gruppen werden zu Auftritten bei Weihnachtsmärkten gebucht. Gemeinsam basteln sie die aufwändigen Masken und Kostüme. Dadurch strukturiert die Mitgliedschaft im Perchtenverein die Freizeitgestaltung im Winter. Allerdings wird auch hier in den meisten Fällen großer Wert darauf gelegt, dass die Vereine familienfreundlich sind und keine Angst vor Geistern geschürt wird.
Fazit
Neben ihrer historischen Bedeutung handelt es sich bei den Raunächten um einen Sammelbegriff für eine neue Form von Neujahrsritualen. Wie die regelmäßige nostalgische Bezugnahme auf eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft anzeigt, hat diese Neuformung viel mit der modernen Arbeitswelt zu tun. Um die Weihnachtszeit haben Unternehmen häufig Betriebsurlaub, wodurch für viele Menschen in besonderer Weise Ruhe einkehrt. Es besteht der Wunsch, die ruhige Zeit zu nutzen, den Medienkonsum zu reduzieren und sich damit eine echte emotionale Auszeit zu gönnen. Die Bücher und Online-Beiträge sollen dabei helfen, diese individuelle „quality time“ einzuhalten, zu strukturieren und zu gestalten.
Neu entstandene Brauchtumsvereine hingegen scheinen ein fast schon entgegengesetztes Bedürfnis nach Abenteuer, emotionalem Ausdruck und Gemeinschaft in der grauen Winterzeit zu erfüllen. Die Wiederaufnahme der Raunachtsrituale macht damit verschiedene gesellschaftliche Bedürfnisse sichtbar und ist anschlussfähig für unterschiedliche weltanschauliche Positionen.
Quellen:
Grimm, Jacob (1835), Deutsche Mythologie, Göttingen: Dieterichsche Buchhandlung.
Henkler, Sven (2004), Das Wild Heer, Dresden: Zeitenwende.
Timm, Erika (2003), Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten, Stuttgart: S. Hirzel.
Jetter, Claudia (2023), New Thought/Neugeist, ZRW 86,1, 56–64.
Auswahl Ratgeberliteratur
Braun, Petra (2023), Magie der Raunächte. Mein Begleiter durch die mystische Zeit. München: ars edition.
Courtenay, Elfie (2020), Rauhnächte. Die geheimnisvolle Zeit zwischen den Jahren. Alte Bräuche und magische Rituale für sich entdecken, 2. Aufl., München: Wilhelm Heyne Verlag (2013).
Dohler, Christine (2023), Die Weibliche Energie der Rauhnächte. Eine magische Reise für Frauen, München: Goldmann.
Dohler, Christine (2024), Rauhnächte mit Kindern erleben. Rituale und Achtsamkeitsimpulse für die ganze Familie, München: Mosaik.
Giebert-Schröder, Vera und Muri, Franziska (2024), Die Rauhnächte als Quelle der Ruhe und Kraft. Der praktische Begleiter für mehr Energie im neuen Jahr, 2. Aufl., München: Irisana (2014).
Honecker, Martina (2024), Mit Yoga durch die Raunächte. 12 Flows und Rituale für die magische Zeit. München: riva verlag.
Merz, Gerhard (2017), Rauhnächte. Das Mysterium der zwölf Schicksalstage. Murnau: Mankau Verlag.
Pega, Aikaterini (2024), Raunächte für Anfänger. Der perfekte Begleiter für Raunächte-Einsteiger und Achtsamkeits-Neulinge. München. Selbstverlag.
Auswahl YouTube-Videos
Seiler, Laura Malina, „Mein Raunächte-Ritual: So richte ich mich auf ein erfülltes neues Jahr aus“, Youtube, 25.12.2024, https://www.youtube.com/watch?v=-o-2ORTEy_M. (Abrufdatum, wenn nicht anders angegeben: 16.09.2025).
Schwarz, Andreas – HigherMind, „Die 12 Rauhnächte - Anleitung für Anfänger (2024/25)“, Youtube, 12.12.2024, https://www.youtube.com/watch?v=DzcODujbjjM.
Schmidt, Eva-Maria, „Rauhnächte: Warum DU aufpassen solltest! (böses Ritual?)“, Youtube, 27.12.2024, https://www.youtube.com/watch?v=OvxXImmxCGo.
Yoga mit Martina, „Rauhnächte Anleitung und Rituale - die 12 Rauhnächte erklärt (mit 13 Wünsche Ritual)“, Youtube, 14.12.2021, https://www.youtube.com/watch?v=hKj9Ad6JdIM.
Ansprechpartner
Dr. phil. Judith BodendörferAuguststraße 80
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