Am 27. September ist Russell Marion Nelson Sr., der 17. Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, verstorben. Er blickte auf ein bewegtes Leben zurück.
Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) verstorben

Kurz nach seinem 101. Geburtstag verstarb Russell M. Nelson, der bis dahin amtierende 17. Präsident der Religionsgemeinschaft. Der bisher älteste Präsident in der Geschichte dieser Kirche hat neben akademischen Würden auch eine immens große Familie hinterlassen: seine Frau, acht seiner zehn Kinder, 57 Enkelkinder und 167 Urenkel. Hier wird der hohe Stellenwert deutlich, der im mormonischen Glauben der Familie zugemessen wird. Normalerweise jeden Montag nutzen Familien der Kirche weltweit den „Familienabend“, um gemeinsam zu beten, zu singen, zu lesen und zu spielen, um ihre Beziehungen zu stärken und den Familienzusammenhalt zu fördern.
Bevor Nelson ab 1984 vollzeitlich in der Kirche tätig wurde, arbeitete er als Herzchirurg. 1955 führte er in amerikanischen Bundesstaat Utah die erste Operation am offenen Herzen durch. Er bildete als Professor zukünftige Ärzte aus, war Vorsitzender zahlreicher internationaler Fachgesellschaften sowie der Ärztekammer von Utah und hat zahlreiche Fachartikel und -bücher verfasst.
Ab 2018 wurde er Leiter des 15 „Apostel“ umfassenden Führungsgremiums der Kirche, die auch als Propheten, Seher und Offenbarer angesehen werden. Der dienstälteste Apostel wird automatisch der Präsident der Kirche, der sich dann zwei andere Kollegen als „Ratgeber“ auswählt. Diese drei fungieren als die „Erste Präsidentschaft“, die gemeinsam das oberste Führungsgremium der Kirche bilden. Ihre Aufgabe besteht darin, die Entwicklung der weltweiten Kirche mit heute mehr als 17 Millionen Mitglieder zu steuern. In Deutschland sind es rund 40.000 Mitglieder in 200 Gemeinden, die beiden Tempel stehen in Freiberg (Sachsen) und Friedrichsdorf (Hessen).
Als Oberhaupt der Kirche besuchte Nelson die weltweiten Mitglieder gerne. Dabei kamen ihm seine Sprachkenntnisse zugute, denn er konnte sich Berichten zufolge in elf Sprachen unterhalten. In seiner Amtszeit kündigte er den Bau von 200 neuen Tempel an. Darüber hinaus setzte er sich für die interreligiöse und interkulturelle Verständigung ein, insbesondere mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Kirchenintern hat er viele Veränderungen auf den Weg gebracht. Er genehmigte beispielsweise die Richtlinie, dass sich Kinder von Eltern, die sich als LGBT betrachten, taufen lassen können. Er aktualisierte die Interviewfragen für den Tempelschein, um den Mitgliedern den Zugang zu den Zeremonien im Tempel zu erleichtern. Auch genehmigte er eine Richtlinie, die es zivilrechtlich getrauten Ehepaaren erlaubt, ohne weitere Wartezeit in einem der Tempel der Kirche zu heiraten.
Obwohl die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft hochengagiert sind und die Kirche - gegen den allgemeinen Trend! - rein rechnerisch ein jährliches Wachstum von drei bis fünf Prozent vorweisen kann, hinterlässt die Säkularisierung auch dort ihre Spuren. War vor wenigen Jahrzehnten noch über zwei Drittel der Bevölkerung des als „Mormonenstaat" bekannten Utah mormonischen Glaubens, zählen sich in einer aktuellen Befragung nur noch 42 Prozent zu dieser Glaubensrichtung. Hier warten große Aufgaben auf die neue Erste Präsidentschaft, dessen Leiter nach der Beisetzung von Nelson bekannt gegeben werden soll.