Liane Wobbe

Zarathustrismus heute

Identifikationssymbol für persische Herkunft und Weg in die Moderne

In einem feierlich geschmückten Festsaal in Kopenhagen stehen fünf Frauen und zwei Männer in weißer Kleidung nebeneinander. Sie haben sich dazu entschieden, mittels der Initiationszeremonie Sedreh Pushi in die zarathustrische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Zu Beginn der Zeremonie richten Priester und Initianden folgende Worte an Ahura Mazda, den höchsten Gott des Zarathustrismus:1

„Oh Ahura Mazda … Während Du am Anfang durch Deine Gedanken Körper, Weisheit und Verstand für uns geschaffen, Leben in uns erweckt und Gedanken und Worte aktiviert hast, beabsichtigtest Du, dass wir unsere Lehren so wählen, wie wir es für richtig halten. In diesem großen Moment der Wahl ... liegt es allein in Deinen Händen, dass ich meinen Lebensweg wende.“

In den Händen halten die Initianden ein weißes Baumwollband, in das sie während der Zeremonie drei Knoten binden. Diese symbolisieren die drei ethischen Grundwerte: gute Gedanken, gute Worte, gute Werke. Das Binden der Knoten wird von folgendem Gebet begleitet:

„… Oh Ahura Mazda, ich preise Dich mit guten Gedanken, Worten und Werken, und ich preise die Gerechtigkeit … Mögen all meine Handlungen mit Weisheit und guten Gedanken übereinstimmen sowie mit dem Gesetz der Gerechtigkeit … Dass ich auf dem Weg der Selbstschöpfung so wie Du werde, oh Ahura Mazda, frei, weise und fortschrittlich … In diesem großen Moment meiner Wiedergeburt … komme ich mit meinen Lobpreisungen zu Dir … Und im Glanz von Gerechtigkeit erkenne ich Dich als den großen Schöpfer der Existenz.“

Nach dem Ritual verteilt der Priester ein Glas Wein an die Neuaufgenommenen und beglückwünscht sie mit einer Umarmung. Dann gesellen sich die Angehörigen dazu, und es wird getanzt und gefeiert.

Historischer Hintergrund

Der Zarathustrismus, gern auch als „persische Religion“ bezeichnet, zählt zu den ältesten prophetischen Glaubensrichtungen, deren religiöse Vorstellungen Hinduismus, Buddhismus, Islam, Judentum und Christentum beeinflusst haben. Durch diese vermutlich im nordöstlichen Hochland Irans entstandene Religion wurde das persische Reich, welches sich einst von Nordindien bis Griechenland erstreckte, in seiner historischen Entwicklung tief geprägt. Bereits zur Zeit der Achämeniden (659 – 630 v. Chr.) legitimierten persische Könige ihre Regentschaft mit dem Glauben an den Gott Ahura Mazda. Nach Jahrzehnten hellenistischer Herrschaft erfuhr der Zarathustrismus ab 247 v. Chr. unter den Parthern eine Renaissance, denn unter ihnen wurden u. a. Feuertempel gebaut, und aus mündlichen Überlieferungen Zarathustras wurde ein erster Schriftkanon zusammengestellt. Im 3. Jahrhundert n. Chr. eroberten die Sassaniden das persische Reich und stellten ihre Macht in den Dienst des Priestertums. Diese Herrschaft verhalf dem Zarathustrismus zu einem neuen Aufschwung, bei dem nicht nur die Traditionen gefördert wurden, sondern auch eine enge Verbindung zwischen Religion und Staatswesen entstand.2

Mit dem Untergang des Sassanidenreiches 651 und der einsetzenden Verbreitung des Islam im 7. Jahrhundert wurde im persischen Reich der Zarathustrismus zunehmend zurückgedrängt. Dennoch blieben viele Zarathustrier ihrer Religion treu und bemühten sich, nach Möglichkeit ihre Traditionen weiterzugeben. Dabei verlagerten sie ihre Standorte und wählten als Rückzugsgebiete Yazd und Kerman, zwei Orte in der Wüste, welche bis heute als zarathustrische Hochburgen im Iran gelten.

Als es im 7. Jahrhundert zur Eroberung des Iran durch die Araber kam, wanderten viele Zarathustrier nach Indien aus. Später entwickelten sie sich dort unter britischer Kolonialherrschaft zu einer einflussreichen Minderheit, deren Angehörige als Unternehmer Fuß fassten. Heute besteht die höchste Population der Zarathustrier in Indien, dort als Parsen (Perser) bezeichnet, mit etwa 60 000 Anhängern. Dazu kommen ca. 1500 Parsen in Pakistan. Es folgen der Iran mit mehr als 25 000, Afghanistan mit ca. 1500, Zentralasien und Europa (ohne Großbritannien) mit ca. 1000 Gläubigen.3  Eine Schätzung geht von ca. 100 000 Zarathustriern in Irakisch-Kurdistan aus.4  Seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 und mit der Revolution im Iran in den 1970er Jahren sind viele Zarathustrier aus diesen Ländern in andere Teile der Welt ausgewandert, wo sie vor allem in den USA mit ca. 14 500, in Kanada mit ca. 7000, in Australien mit ca. 2600, in Neuseeland mit ca. 1300 und in Großbritannien mit ca. 5500 größere Diasporagemeinschaften bilden. Heute umfasst die Religion des Zarathustrismus ca. 120 000 bis 300 000 Anhänger weltweit.

Zarathustra: Priester, Lehrer und Prophet

Als Begründer der Religion gilt Zarathustra (avestisch), auch Zoroaster (griechisch) genannt. Persische Varianten des Namens sind Zarduscht oder Zardoscht, eine kurdische Form Zerdescht. Die Datierung seiner Lebenszeit ist umstritten und bewegt sich zwischen 2000 und 500 v. Chr.6  Nach ihm nennen sich seine Anhänger Zarathustrier oder Zoroastrier.

Aus den Quellen der zarathustrischen Textsammlung des Avesta (Ende 2. Jahrhundert v. Chr.) geht hervor, dass Zarathustra in Sistan, dem heutigen Grenzgebiet zwischen Iran und Afghanistan, gewirkt haben soll. Seine nordostiranisch geprägte Sprache wurde später nach seinem Werk avestisch genannt. Weitere Beschreibungen deuten darauf hin, dass Zarathustra vermutlich schon mit 15 Jahren als Priester im Feuertempel tätig war. So bezeichnet er sich in den Schriften selbst als Zaotar, als Zeremoniemeister, der Guss- und Trankopfer darbringt, sowie als Manthran, als Priester, der Mantras rezitiert.7  Eine Überlieferung aus den Schriften der Gathas beschreibt sein erstes Offenbarungserlebnis so:

„Bei einem Frühlingsfest ging Zoroaster zu einem Fluss, um Wasser für die Haoma-Zeremonie zu holen. Er ging bis zur Mitte des Flusses, und als er wieder herauskam in einem Zustand ritueller Reinheit, hatte er eine göttliche Vision: Er sah am Ufer ein scheinendes Wesen, welches sich ihm als Vohu Manah [avest., Großer Geist] enthüllte. Um dieses Wesen waren fünf andere leuchtende Wesen, und vor ihm war kein Schatten auf der Erde.“8

In dieser Erscheinung soll Zarathustra dem Gott Ahura Mazda begegnet sein und daraufhin zahlreiche weitere göttliche Botschaften erhalten haben. Als Prophet rief er in einem von Polytheismus geprägten Umfeld zur Verehrung des einzigen Gottes Ahura Mazda auf und widmete sich der Polemik gegen Vielgötterei und Opferdienste. Damit ebnete er den Weg für einen monotheistischen Gottesglauben.

Heilige Schriften

Als Heilige Schrift des Zarathustrismus gilt das Avesta (abgeleitet von sanskr. vid, Wissen).9  Es handelt sich um eine Sammlung von Ritualtexten, die aus verschiedenen Zeitepochen stammen. Eine weit verbreitete Ausgabe des Avesta umfasst fünf Teile. Der älteste Teil ist der siebenteilige Yasna (altavest., anbeten, preisen), welcher u. a. Hymnen an den höchsten Gott Ahura Mazda und die Elemente Wasser und Feuer enthält und während der Yasna-Zeremonie rezitiert wird. In den Yasna eingebettet sind die Gathas, Texte, die zarathustrische Gläubige Zarathustra selbst zuschreiben. Der Yasna wie die Gathas sind in altavestischer Sprache geschrieben. Der zweite Teil ist der Vendidad, ein Werk, welches Anleitungen zur Bekämpfung von Dämonen enthält. Daran schließt sich der Visparad an mit Hymnen an zarathustrische Gelehrte. Der vierte Teil umfasst die Yashts, Gebete an altiranische Götter und Monatsgottheiten. Der fünfte Teil, der Khordeh Avesta („Kleines Avesta“), enthält u. a. Hymnen an die Naturelemente und die Gottheiten der fünf Tageszeiten. Er ist in jungavestischer Sprache verfasst und spielt in der täglichen Praxis für Zarathustrier neben den Gathas eine vorrangige Rolle.

Lehren

Gottesverständnis: Ahura (Herr) Mazda (Weisheit) wird den Gathas zufolge als Schöpfergott und Gott der Weisheit beschrieben. Ihm untergeordnet sind Spenta Mainyu, der gute Geist der Wahrheit, der Ahura Mazda unterstützt, und Angra Mainyu, der böse Geist der Zerstörung, der als Gegenspieler Gottes fungiert. Zwischen beiden Geistern besteht in der zarathustrischen Theologie ein steter Kampf. Des Weiteren wird der Prophet Zarathustra, dessen Bild über Hausaltären und in Tempeln allgegenwärtig ist, verehrt und im Gebet angerufen.

Der Mensch: Nach zarathustrischer Lehre besteht das Wesen eines Menschen aus Leib (ahu), Atem (vyāna), Geist (manah), Seele (ruvan), Wahrnehmung (fravarti) und Gewissen (daena). Diese sechs Aspekte formen das menschliche Denken, Fühlen und Handeln und bestimmen das diesseitige und jenseitige Schicksal eines Individuums.

Jenseitsglaube: Die zarathustrische Vorstellung vom Leben nach dem Tod geht mit einer individuellen Wiederherstellung des menschlichen Körpers und der universellen Vervollkommnung der Welt einher. Am Tag des Gerichts wird die Seele für die Handlungen des Menschen zur Rechenschaft gezogen. Auch sprechen die Gathas von einem endzeitlichen Heilsbringer Saoshyant, der die Toten mit einem Unsterblichkeitstrank wiederbeleben und ihnen Vollkommenheit verleihen wird.

Rituale

Kultspezialisten: Zarathustrische Rituale werden von einer Reihe hierarchisch aufgestellter Priester durchgeführt. Als höchste Autorität gilt der Mobed i Moobedan (Priester der Priester). Ihm folgt der Dastur, eine Art Hoher Priester, der höchste religiöse und politische Autorität besitzt. Diesem wiederum unterstellt ist der Mobed, ein Priester, der aufgrund seiner theologischen Ausbildung und seines Reinheitsstatus das Yasna-Ritual durchführen darf. Darunter steht der Ervad, ein priesterlicher Lehrer. Während die Priester im Iran eigenen Berufen nachgehen, werden sie in Indien bezahlt und sind hauptamtlich im Tempel tätig. Seit 2010 hat sich im Westen wie im Iran die Frauenordination etabliert. Indische Parsen dagegen lehnen das Amt von Priesterinnen (Mobedyar) ab.10  Als übergeordneter priesterlicher Verband im Iran gilt der „Anjoman Moghan Iran“, in Indien der „Bombay Parsi Panchayat“ und in den USA der „Northamerican Mobeds Council“.

Kultstätten: Den Zarathustriern dient als Kultstätte der Feuertempel, im Iran als Ateshkade (Atash, Feuer; Kadeh, Haus), in Indien als Agiary oder Dar-e-Mehr bezeichnet. Ein markantes Symbol, das über dem Säuleneingang eines jeden Feuertempels thront, ist der Faravahar, ein bärtiger Mann mit ausgebreiteten Flügeln, der die Seele eines Menschen darstellt. Im Inneren der zarathustrischen Kultstätte befinden sich ein Platz mit Waschanlagen für die rituelle Reinigung, Kusti-Räume für die Durchführung der Kusti-Gebete sowie eine zentrale Zeremoniehalle, in der die Priester vor dem Feuer die Rituale in Anwesenheit der Besucher durchführen. Die Dächer bestehen aus Glas, damit genügend Licht ins Innere des Tempels scheint. Während zarathustrische Kultstätten im Iran allen Menschen offenstehen, dürfen sie in Indien aus Reinheitsgründen nur von Zarathustriern betreten werden.

Kulthandlungen: Als heiligstes Element zarathustrischer Rituale gilt das Feuer (Atash), das reinigende Kraft und Wahrheit symbolisiert.11  Es folgt das Element Wasser (Apas), das nicht nur für die hygienische, sondern auch für die rituelle Reinigung eine große Rolle spielt. Demzufolge ist die wichtigste Kulthandlung im Zarathustrismus der Yasna (avest. Yaz, Opfer), eine Zeremonie mit Opfern an das Wasser im „Angesicht“ des Feuers. In dieser Zeremonie wird der heilige Haoma-Trank aus zermörserten Blättern und Stängeln der Haoma-Pflanze unter dem Rezitieren der Yasna-Verse hergestellt. Die Zeremonie endet mit einem Opfer für das Wasser.12  Yasna (im Iran Jashan genannt) wird einmal regelmäßig im Tempel durchgeführt und einmal zu bestimmten Anlässen, z. B. bei Festen, bei der Eröffnung eines Geschäftes, beim Bau eines Hauses oder Feuertempels, weiterhin zum 30. Todestag und zum ersten Jahrestag eines Verstorbenen. Für private Anlässe führen die Priester im Haus gegen Bezahlung ein solches Ritual durch. Zu den täglichen rituellen Pflichten der Laien gehören vor allem die Kusti-Gebete. Dabei wird die Lammwollschnur Kusti um die Taille gelegt, und unter dreimaligem Verknoten geloben die Gläubigen Ahura Mazda in besonderen Gebeten gute Gedanken, gute Worte und gute Werke.13

Feste: Das wichtigste Fest der Zarathustrier ist das Neujahrsfest Nowruz.14  Es wird nach dem modernen Fasli-Kalender15  am 20. März gefeiert. Weitere Feste sind Khordad Sal, der Geburtstag Zarathustras am 26. März, und Zartost no-Diso, der Todestag des Propheten am 26. Dezember, Shab-e Yalda, das Wintersonnenwendfest am 21. Dezember, und Jashn-e Sadeh, ein Mittwinterfest am 29. Januar. Gefeiert werden auch die sechs Jahreszeitenfeste, Gahanbars (pers., reiche Jahreszeit): 1. Maidyozarem Gahanbar, ein Mittfrühlingsfest, 2. Maidyoshahem Gahanbar, ein Mittsommerfest, 3. Paitishahem Gahanbar, ein Erntefest, 4. Ayathrem Gahanbar, ein Fest für die Viehherden am Ende des Herbstes, 5. Maidyarem Gahanbar, das Wintersonnenwendfest, und 6. Hamaspathmaidyem Gahanbar, das Fest der Menschheit. Auch ist jeder Tag der Woche und jeder Monat einem Gott gewidmet.

Kindheitsrituale: Nach der Tradition der indischen Parsen wird das Schicksal des Kindes am sechsten Tag (Chatta) nach der Geburt im Himmel festgelegt und an diesem Tag Chathhi, die Zeremonie der Namensgebung, gefeiert. Sind Mädchen und Jungen zwischen sieben und zehn Jahren alt, begehen sie das Fest der Neugeburt, im Iran Sedreh Pushi genannt, unter Parsen in Indien Navjote /Naujote (pers., Neugeburt). Bei dieser Initiationsfeier lernt ein Kind erstmals den Umgang mit der rituellen Bekleidung mit Hemd (Sedreh) und Band (Kusti) und wird in die Verantwortlichkeiten der Religion eingeführt.

Eheschließung: Da es das Bestreben ist, die Religion der zarathustrischen Gemeinschaft zu erhalten, sollten Ehen grundsätzlich zwischen zwei gebürtigen Zarathustriern geschlossen werden. Das hat zur Folge, dass die Mehrheit der Parsen in Indien weder Mischehen noch die Konversion befürwortet und Kinder als Zarathustrier auch nur akzeptiert werden, wenn beide Elternteile von Geburt an zur Religion gehören. Im Iran und in der Diaspora dagegen sind Mischehen und Konversionen erlaubt.

Bestattung: Bis ins 8. Jahrhundert setzten Zarathustrier ihre Toten rituell an nicht bewohnten Orten aus. Später errichteten sie in hinduistischen und muslimischen Mehrheitsgesellschaften in Indien und im Iran Grabbauten, um dem Vorwurf der Verunreinigung zu entgehen. In Indien wurden für die Luftbestattung die Türme des Schweigens (dakhma) gebaut, im Iran Steinmauern an Berghängen. Während heute im Iran wie in der westlichen Diaspora Erd- und Feuerbestattungen üblich sind, werden in Indien Tote in den Türmen des Schweigens niedergelegt.

Verhaltensvorschriften

Ethische Normen: Die Ethik der Zarathustrier orientiert sich an den sechs heiligen Tugenden (Amesha Spentas): gute Gedanken (Vohu Mana), Ehrlichkeit (Asha Vahishta), Selbständigkeit (Kshatrya Vairya), Gelassenheit (Spenta Armaiti), Ganzheit (Haurvatat) und Unsterblichkeit (Ameretat). Der Verhaltenskodex basiert auf der Formel: gute Gedanken, gute Worte, gute Werke.

Kleidervorschriften: Als religiöse Pflicht für Frauen und Männer gilt das Tragen eines weißen Baumwollhemds (Sedreh) und einer um die Taille gebundenen Schnur (Kusti). Die Länge des Hemds fällt bei Frauen in der Regel etwas länger aus als das bei Männern. Am Ausschnitt desselben befindet sich eine Tasche, in der die Gläubigen gute Gedanken, gute Worte und gute Taten aufbewahren. Sedreh und Kusti sollten so häufig wie möglich unter der Alltagskleidung getragen werden, auf jeden Fall aber als rituelle Kleidung beim Kusti-Gebet.

Speisevorschriften: Nach den Lehren Zarathustras besitzen Tiere eine Seele und Bewusstsein, deshalb soll so wenig Fleisch wie möglich gegessen werden. Der Verzehr von Rindfleisch, Kaninchen und weiblichen Schafen ist streng verboten, das Schlachten männlicher Schafe erlaubt.

Reinheitsvorschriften: Im Zarathustrismus existieren zahlreiche Regeln, die eine Unterscheidung zwischen Rein und Unrein im Umgang mit Menschen, Tieren und Elementen postulieren. Solche Regeln betreffen z. B. in Indien die Ablehnung der Aufnahme von Nicht-Zarathustriern in die Gemeinde, um diese reinzuhalten.16  Während im Umgang mit Tieren Kühe und Hunde aufgrund ihres Reinheitsstatus besonders umsorgt werden, soll man unreine Tiere, z. B. Schlangen, Frösche oder Ameisen, meiden.17  Bei den Yasna-Ritualen bedecken die Priester Nase und Mund, um das Feuer nicht mit ihrem Atem zu verunreinigen.

Zarathustrische Gemeinden weltweit

Zarathustrier im Iran: Obwohl der Iran ein muslimisches Land ist, durchdringt der Zarathustrismus hier alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, sodass man von ihm gern als von der ursprünglichen iranischen Religion spricht. So hat sich der geflügelte bärtige Mann, der die Seele eines Menschen symbolisiert, nicht nur zu einem religiösen, sondern auch zu einem nationalen Symbol der Iraner entwickelt. Gleichzeitig gesellt sich, wer gegen das Regime oder den Islam ist, ideologisch gern zum Zarathustrismus.18  Heute leben die meisten Zarathustrier in Yazt, Kerman und Teheran. Wenn sie auch als religiöse Minderheit in Paragraph 13 der iranischen Verfassung erwähnt werden und unter der muslimischen Bevölkerung Respekt genießen, fühlen sie sich doch in den Möglichkeiten ihrer religiösen Praxis an den Rand gedrängt, was viele von ihnen veranlasst, das Land zu verlassen.

Parsen und iranische Zarathustrier in Indien: Indische Zarathustrier (Parsen und Iranis)19  machen etwa 50 % der Gesamtzahl der Zarathustrier in der Welt aus. In Indien gilt Mumbai als Zentrum der Parsen und Iranis. Hier werden sie als modern und einflussreich angesehen. Im Unterschied zu Hindus und Muslimen ist es ihnen erlaubt, Alkohol zu trinken und zu verkaufen. Als Beispiel sei das Café Leopold in Mumbai genannt. Es gehört einer zarathustrischen Irani-Familie und war bis Februar 2020 ein beliebter Anlaufpunkt für Backpacker, die hier neben verschiedenen westlichen Gerichten auch Bier und Wein bestellen konnten.

Zarathustrier in Zentralasien: Auch in zentralasiatischen Ländern wie z. B. Tadschikistan, Usbekistan, Aserbaidschan oder Kasachstan finden sich aufgrund ihrer zarathustrischen Vergangenheit viele architektonische und rituelle Überreste aus der Religion. Dabei spielt heute Aserbaidschan (übers.: beschützt durch das Feuer) für die Ausübung der religiösen Praxis die größte Rolle. Zarathustrier wohnen vor allem in den Bergdörfern Yanar Dog, Surakhany und Khinalyg. Auch im Süden Usbekistans sollen in einigen Bergdörfern zarathustrische Familien leben. Zarathustrische Gruppen in Tadschikistan wiederum praktizieren ihre Religion aus Angst vor Problemen im Geheimen.20

Zarathustrier in Kurdistan: Auch viele irakische und iranische Kurden bezeichnen heute aus einem Nationalgefühl heraus den Zarathustrismus als ursprüngliche kurdische Religion. Laut zarathustrischen Vertretern der kurdischen Regionalregierung im Irak sollen in Irakisch-Kurdistan in den letzten Jahren immer mehr Menschen zum Zarathustrismus konvertiert sein. Als zentrale Städte gelten Suleymania und Dohak. Hier sind verschiedene zarathustrische Vereine darum bemüht, den Kurden die zarathustrische Philosophie nahezubringen, um ein Erstarken kurdischer Identität in Verbindung mit einer angenommenen Ursprungsreligion zu erzielen.21

Iranische Zarathustrier und indische Parsen im Westen: Innerhalb der zarathustrischen Diaspora im Westen gilt die USA als das Land mit der drittgrößten zarathustrischen Bevölkerung, unter der sich viele gebürtige Iraner befinden. Großbritannien mit Hauptort London ist das Zentrum vor allem indischer Parsen innerhalb Europas. Besonders unter muslimischen Iranern in den USA, Kanada und Europa ist es üblich, zum Zarathustrismus überzutreten, um sich von dem Regime des Landes zu distanzieren und dennoch eine religiöse Treue zum Heimatland zu bekunden.

Zarathustrische Vereinigungen in Europa: Die zahlenmäßig stärksten zarathustrischen Vereinigungen innerhalb Europas finden sich vor allem in Großbritannien und Skandinavien. So ist z. B. die Organisation „Anjoman Bozorg Bazgasht“ (Gemeinschaft der großen Rückkehr) mit Sitz in Norwegen sehr aktiv darin, die Religion des Zarathustrismus zu verbreiten, indem sie in Europa, Zentralasien und Russland zahlreiche Konversionszeremonien durchführt. Kritiker werfen der Bewegung eine gewisse Unterstützung von iranischem und kurdischem Nationalismus vor, da sie gerade muslimische Zentralasiaten und Iraner ermutigt, sich auf ihre „wahre religiöse“ Herkunft zu besinnen.22  In Stockholm wurde 2012 der erste Feuertempel von zarathustrischen Kurden eröffnet, der bis heute der vermutlich einzige Feuertempel in ganz Europa ist. In London befindet sich der „Zoroastrian Trust Funds of Europe“, ein Verein, der religiöse und gesellschaftliche Zusammenkünfte für Zarathustrier organisiert und den Brookwood Cemetery verwaltet, den einzigen zoroastrischen Friedhof in Europa.

Zarathustrier in Deutschland: Die Anzahl der in Deutschland lebenden Zarathustrier ist sehr gering und beläuft sich auf ca. 600. Von 1987 bis 2011 gab es einen inoffiziellen Verein in Hamburg, bis 2004 einen Verein in Frankfurt und Wiesbaden. Um das Jahr 2000 herum bestand einige Jahre lang in Berlin eine Gruppe, die sich „Freunde der Zarathustrier“ nannte. Zu ihnen sollen etwa zwölf Iraner und Kurden gehört haben, die nach ihrer Einwanderung zum Zarathustrismus konvertiert sind.23  Gegenwärtig ist in Deutschland nur noch der 2016 in Hannover gegründete „Deutsche Zarathustrische Verein“ registriert, dem Mitglieder aus verschiedenen Städten angehören. Zu ihnen zählen überwiegend Iraner, Aserbaidschaner, Türken und Kurden sowie wenige Deutsche. Nach Angaben des stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins leben die meisten zarathustrischen Familien im Raum Hamburg, Frankfurt, Köln und Hannover. Zum Bedauern der Mitglieder haben sie es bisher nicht geschafft, ein eigenes Zentrum in Deutschland zu bauen, in dem Zusammenkünfte gesellschaftlicher und zeremonieller Art stattfinden könnten. Aus diesem Grund treffen sich zarathustrische Familien privat zu Gebeten oder anlässlich eines Festes. Zarathustrische Rituale dürfen nur von Priestern durchgeführt werden. Da derzeit aber nur ein einziger Priester aus Schweden zur Verfügung steht, findet in Deutschland nur ein Ritual im Jahr statt, zu dem dieser Priester anreist. Darüber hinaus stehen Zarathustrier in Deutschland aktiv in den sozialen Medien in Kontakt und treffen sich hin und wieder über Skype mit ihrem Priester zum Gebet und tauschen sich aus.24

Spuren des Zarathustrismus im Westen

Wenn vielen Menschen in der westlichen Welt auch die Inhalte des Zarathustrismus unbekannt sind, finden sich doch zahlreiche Spuren dieser Religion in der Theologie, der Philosophie und der klassischen Musik. So gelangten viele zarathustrische Ideen in jüdische Glaubensvorstellungen, als die Juden sich im babylonischen Exil befanden, wie die Lehre von Engeln, vom Jüngsten Gericht und von einer messianischen Heilszeit. Aber auch in christliche Themen reicht die zarathustrische Theologie hinein, z. B. in den Kampf der Mächte Gottes gegen die Mächte des Satans oder in das Figurenmotiv der drei Weisen, die zu Jesu Geburt erscheinen und deren Beschreibung auf drei persische sternenkundige Priester (griech. magoi, Magier) zurückgeht. In seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ beschäftigt sich Friedrich Nietzsche mit dem Werdegang eines Propheten, der denselben Namen trägt, und Gotthold E. Lessing lässt in „Nathan der Weise“ einen Vertreter der Parsi-Religion zu Wort kommen. Eine Namensverwandtschaft Zarathustras weisen der Fürst Sarastro in Mozarts Zauberflöte und der Magier Zoroastro in Händels Orlando auf. Eine weitere Spur führt zu dem verstorbenen Sänger Freddy Mercury, dem Begründer der britischen Rockband Queen, der als Farukh Bulsara aus einer indischen Parsenfamilie in Sansibar stammte.

Missions- und Konversionsbestrebungen

Wie oben beschrieben, existieren in der zarathustrischen Religion große Unterschiede bezüglich der Konversionsauffassung. Während es in Indien Nicht-Parsen aus Reinheitsgründen verboten ist, zum Zarathustrismus zu konvertieren, wird eine Konversion im Iran zwar nicht gefördert, aber akzeptiert. Während die Gläubigen in zentralasiatischen Ländern wie Tadschikistan oder Afghanistan ihre Religion versteckt leben, werben iranische Vereine im Westen oder kurdische Kreise im Irak sogar mit einer Konversion, um entgegen einer muslimischen Dominanz eine persische oder kurdische Identität zu bekunden. Auch in Nordamerika, Großbritannien und Skandinavien zeigt die Demonstration nach außen ihre Wirkung mit der Gründung zarathustrischer Vereine und dem verstärkten Übertritt von Menschen verschiedener Kulturkreise. In Deutschland jedoch bewegen sich trotz aktiver Bemühungen verschiedener Vertreter, Zentren für zeremonielle Zusammenkünfte zu gründen, die Kontakte von Zarathustriern hauptsächlich im digitalen oder privaten Raum. Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Zarathustrischen Vereins sieht mögliche Gründe dafür darin, dass die wenigen zarathustrischen Familien in Deutschland sehr verstreut wohnen, nicht mehr so religiös sind und es an Priestern mangelt. Dass aber unter in Deutschland lebenden Zarathustriern dennoch ein Wunsch nach mehr Sichtbarkeit ihrer Religion besteht, zeigt folgender Appell im Internet:

„Es ist an der Zeit, zarathustrische Geschichte in Deutschland und in der ganzen Welt zu schreiben. Wir müssen endlich aktiv werden und den Menschen in Deutschland die Tiefe dieser ältesten monotheistischen und universalen Religion der Welt zeigen.“25

Sollte dieser Aufruf mit der Errichtung zarathustrischer Zentren einmal Früchte tragen, wäre das eine große Bereicherung für die interreligiöse Landschaft und den interreligiösen Dialog in deutschen Städten.


Liane Wobbe, 01.03.2022

 

Literatur

Boedeker, Just (2003): Zarathustrier, in: Grübel, Nils / Rademacher, Stefan (Hg.): Religion in Berlin, Berlin, 496 – 498.

Boyce, Mary (1979): Zoroastrians. Their Religious Beliefs and Practices, Boston.

Choksy, Jamsheed K. (1987): The Zoroastrian Nahn Purifikation Rituals, in: Journal of Ritual Studies 2, 59 – 74.

Foltz, Richard (2010): Zoroastrian Attitudes toward Animals, in: Society and Animals 18, 367 – 378.

Heesterman, J. C. (1993): The Broken World of Sacrifice, Chicago.

Hutter, Manfred (2019): Iranische Religionen, Berlin / Boston.

Kulke, Eckehard (1974): The Parsees in India, München.

Lütke, Michael (2008): Der Himmel als Heimat der Seele. Visionäre Himmelfahrtspraktiken und Konstrukte göttlicher Welten bei Schamanen, Magiern, Täufern und Sethianern. Iranische Spuren im Zostrianos von Nag Hammadi, Göttingen.

Madjderey, Reza (2009): Die Gathas des Sartoscht, Nordhausen.

Mehta, Gillian Towler (2011): European Zoroastrian Attitudes to Their Purity Laws, Florida.

Stausberg, Michael (2000 – 2004): Die Religion Zarathustras. Geschichte, Gegenwart, Rituale, 3 Bde., Stuttgart.


Internetseiten

www.zarathustra-verein.de

http://zarathustra.de

https://zoroastrians.net

www.zoroaster.net/forum

www.bozorgbazgasht.com


Anmerkungen

1  Zum Ablauf der Zeremonie siehe www.youtube.com/watch?v=Kp7D4lMiKPM (Zitate gekürzt und frei übersetzt von Liane Wobbe); Abruf aller Internetseiten: 11.3.2022.

2  Vgl. Hutter 2019, 14f.

3  Vgl. http://fezana.org/downloads/ZoroastrianWorldPopTable_FEZANA_Journal_Fall_2013.pdf.

4  Vgl. https://zoroastrians.net/2017/07/18/the-curious-rebirth-of-zoroastrianism-in-iraqi-kurdistan.

5  Diese Schätzungen sind angelehnt an die Angaben von Manfred Hutter (s. Hutter 2019, 92f).

6  Neuere Forschungen gehen eher vom Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. aus. Vgl. dazu Hutter 2019, 31f.

7  Zur Funktion des Priesters als Zaotar vgl. Boyce 1979, 18ff; Heesterman 1993, 143.

8  Boyce 1979, 19, freie Übersetzung aus dem Englischen: Liane Wobbe.

9  Viele religiöse Begriffe des Zarathustrismus weisen Sprachverwandtschaften mit der altindischen Sprache Sanskrit und Bedeutungsidentitäten mit Begriffen aus der vedischen Zeit des Hinduismus auf.

10  Priesterinnen-Ordination von M. Khosraviani 2012: vgl. www.w-z-o.org/videos-2; von S. Talapolevara 2015: vgl. https://zoroastrians.net/2015/10/11/the-zoroastrian-priestesses-of-iran-2.

11  Es gibt drei Grade des Feuers, Atash Dadgah, Atash Adaran und Atash Behram. S. dazu Hutter 2019, 75.

12  Zum Yasna-Ritual s. Video unter www.youtube.com/watch?v=GvD3Sx_Szh4.

13  Video, das sehr anschaulich die Durchführung des Kusti-Gebetes zeigt: www.youtube.com/watch?v=7mz1aanBjCE.

14  Auch in Kurdistan und vielen zentralasiatischen Ländern wird Nowruz heute noch als Frühlingsfest gefeiert.

15  Im Zarathustrismus existieren drei Kalendersysteme: Shahenshahi, Kadmi und Fasli (Indien, Iran: Bastani). Die ersten beiden sind Mondkalender, der Fasli- bzw. Bastani-Kalender wurde an den gregorianischen Kalender angepasst. Zu Kalender und Festen siehe auch Hutter 2019, 72f.

16  Kontroverse Debatte zur Konversion: www.arashzeini.com/who-owns-the-good-religion.

17  Vgl. Foltz 2010, 370f.

18  Vgl. www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wie-der-Zarathustrismus-in-iran-neue-anhaenger-gewinnt-16418640.

19  In Indien unterscheiden wir heute zwei Gruppen von Zarathustriern: die Parsis, die zwischen 700 und 1000 n. Chr. nach Indien kamen, und die Iranis, die sich – aus Yazt stammend – in den letzten 300 Jahren in Indien niederließen.

20  Vgl. https://cabar.asia/en/why-do-the-zoroastrians-in-tajikistan-hide-their-religious-identity.

21  Vgl. www.ecoi.net/de/dokument/1424483.html; https://parsikhabar.net/opinion/zoroastrianism-in-kurdistan-an-overview/20272.

22  Vgl. https://link.springer.com/chapter/10.1057/9781137013408_13.

23  Vgl. Boedeker 2003, 497f.

24  Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Zarathustrischen Vereins am 31.1.2021.

25  Einladung zur Konversion, Aufruf vor Beginn der Gründung einer Gemeinde in Frankfurt a. M.: www.gataha.info/forum/messages/2164.htm.