Kurt Flasch

Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation

Kurt Flasch, Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation, Verlag C. H. Beck, München 22013, 280 Seiten, 19,95 Euro.

Wen interessiert es eigentlich, dass und warum Kurt Flasch „kein Christ“ ist? Interessiert es seine Philosophen-Kollegen, denen er reinen Wein einschenken will? Oder Theologen, die sich nach einer Gelegenheit zu apologetischem Aktivismus umsehen? Interessiert es ihn selbst? Er macht es sich schwer mit seiner Rechenschaft, und er findet dabei interessante Perspektiven. Es geht ihm freilich auch darum, „christliche Ansprüche“ im politischen und gesellschaftlichen Bereich auf ihre Legitimität hin zu hinterfragen (10).

Flasch berichtet zwar auch Autobiografisches, wobei seine Begegnung mit Herbert Braun besonders aufschlussreich sein mag (30ff), aber es geht ihm vorrangig um Argumentation. „Ja, ich bin kein Christ, wenn man unter einem Christen jemanden versteht, der an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt“ (252). Dieser Satz ist angesichts der Vielzahl christlicher Auffassungen interpretationsbedürftig. Flasch will sich an den historisch vorliegenden „Selbstfestlegungen“ (vornehmlich der katholischen Kirche) orientieren (13), also an den Glaubensbekenntnissen von Nicaea und Chalcedon, nicht an einer „‚Orthodoxie light’“(26). Dem protestantischen Ansatz gegenüber ist er zurückhaltend bis ablehnend. Das Christentum sei ein „historischer Gegenstand“ (17, 48). Seine „Wahrheit“ müsse sich daher überprüfen lassen, und zwar besonders mithilfe der neuerdings verpönten historisch-kritischen Methode. Deren Entstehung wird wesentlich dem römisch-katholischen Priester Richard Simon zugeschrieben. Flasch erläutert (wenig präzise): „Wenn die historisch-kritische Forschung zum Bespiel feststellt, Paulus nenne niemals Jesus ‚Gott’, dann ist leicht mit völliger Gewissheit zu ermitteln, ob dieser Satz wahr ist oder falsch“ (50). So einfach sei das. Aber „bei Muslimen, Katholiken wie Protestanten“ stieß dieses wissenschaftliche Verfahren „auf Widerstand“. Wahrheit hat für Flasch mit „Realien“ zu tun, wie denn z. B. das Paradies bis ca. 1550 der „Wirklichkeit“ zugeordnet worden sei (83). Der Anspruch der Bibel, „Tatsachen mitzuteilen, wurde zunehmend entkernt“ (84). Geschichtliche Umbrüche und der Wandel in den Lebensbedingungen haben den „Realitätsgehalt“ der christlichen Religion reduziert (43). Die monotheistischen Religionen aber „brauchen“ seiner Meinung nach „das zugleich universalistische und faktisch-objektivistische Wahrheitskonzept“ (106). Die Absicherungen, die teilweise auch in der Rückbindung in die heidnische Philosophie bestanden, seien „weggebrochen; seitdem steht der christliche Glaube unbehütet da. Er muss sich selbst tragen oder von Gottes Gnade tragen lassen“ (155). Man habe daher nach neuen „Glaubensbegründungen“ gesucht: Gefühl (Schleiermacher), Erlebnis (Dilthey), Gestalt, Entscheidung, Mut zum Sprung (Kierkegaard), Sinn des Lebens, Gnade; schließlich gebe es auch die Argumentationsverweigerung. Keines dieser Modelle werde dem historischen Anspruch des Christentums gerecht. Dem „Ergebnis des historischen Zersetzungsprozesses, der objektiv den christlichen Glauben verändert“, müsse man ins Auge sehen (170).

Was dies im Einzelnen bedeutet, wird nun an klassischen Themen christlicher Lehre dargestellt. Erster Themenkreis: Weissagungen und Wunder. Alles, was Exegeten an Widersprüchen in den Auferstehungsberichten beobachtet haben, wird nun aufgezählt. Dann die großen dogmatischen Themen, zunächst: Gott. Die Gottesbeweise entstammten antiker Philosophie: „Nichtgläubige haben sie erfunden …“ (148). Wie sympathisch sei der Gott der Philosophen gegenüber dem „Gott der Rache, des exklusiven Bundesschlusses und des Zornes“ (181), dem „Gott der Samens- oder Blutkontinuität und ... der Landeroberung“ (219)! „Könnte heute jemand wachen Sinns Christ werden, der einmal das ganze Alte Testament gelesen hat?“ (159). Sodann „Schöpfung“: Zwei einander widersprechende Berichte. „Wenn ich Christ wäre, würde ich mich fragen, ob ich an den Gott der Version A glaube oder an den von B oder ob ich aus beiden einen reineren, geistigeren, moderneren Gott zu entwickeln hätte“ (189). „Erlösung“: Wovon eigentlich? Durch Jesu Opfer? Vor allem nur unter einer Bedingung, nämlich der des Glaubens (Joh 3,16)! Die Ethik: rudimentär und keineswegs so bedeutend wie gedacht. Unter heutigen Bedingungen werde die Ethik der Bergpredigt „zur desorientierenden Rhetorik“ (228).

Warum übt das Christentum noch immer eine gewisse Anziehungskraft aus? Es suggeriere eine stabile und bewährte „Lebensorientierung“ und verheiße individuelle Unsterblichkeit – übrigens eine weitere „Anleihe bei der Philosophie“ (234ff). Außerdem präsentiere es sich als „Religion der Liebe“, was es aber nicht sei: Es entspreche „kaum seinen maßgebenden Quellen, dem Neuen Testament und der alten Kirchenlehre.“ Nie habe Jesus behauptet, Gott sei die Liebe, ebenso wenig Paulus. Der 1. Johannesbrief schränke die Liebe ein auf die „Brüder“ (73; 207). Das heutige Reden in den Kirchen von Liebe klinge „wie ein Harmonium“ (232).

Flasch beteuert zwar, es gehe ihm um die Lehre, aber er verbindet damit auch eine kräftige Kritik an der Kirche und ihren „unerleuchteten“ Dienern (63). Die Prälaten wissen, dass sie in den Himmel kommen (198). Was sich die „römische Wahrheitsverwaltung“ alles leisten kann (nicht: konnte), lasse sich an der 1902 eingerichteten Bibelkommission studieren (59). Bei den Protestanten stehe es auch nicht besser (man meint, hier eine gewisse Enttäuschung zu spüren), nur dass sie eben in manchem früher dran waren: Was sie schon um 1800 aufgegeben haben, hat sich bei den Katholiken bis 1960 durchgehalten (109 u. ö.). Einzelne Theologen werden dabei besonders ins Visier genommen: der angeblich die Mutterideologie von 1937 noch 1949 weiterempfehlende Gerhard von Rad (Genesis-Kommentar 1949), der sich herablassende Karl Rahner (149), der die „Persönlichkeitsidee“ aufgebende Karl Barth (242). Manchmal ist die Kritik auch witzig (und zutreffend): Das in der Kirche verwendete Deutsch „ist unverständlicher als ihr altes Latein“ (45).

Nur mitunter klingen in Flaschs Philippika altbekannte religionskritische Töne mit. Interessant ist, wie er das alte, seiner Meinung nach überholte Christentum im Rahmen der antiken Philosophie verortet sieht und würdigt: Beiden seien freilich inzwischen die Felle davongeschwommen. Viele ernsthafte und kuriose Auffassungen, die es im Laufe der Christentumsgeschichte gegeben hat, dienen ihm als (existenziell irrelevantes) Spielmaterial zum Nachdenken.

Trotz vieler interessanter Gedanken und Notizen kann das Buch in mancher Hinsicht auch langweilen. Seine Gedankenführung stellt keine Suchbewegung dar, denn am Ende jedes Kapitels steht nur immer dasselbe „warum ich kein Christ bin – quod erat demonstrandum“. Unklar bleibt Flaschs Verhältnis zur Geschichte. Er sieht übergreifende geschichtliche Entwicklungen, aber das Christentum darf sich nicht fortentwickeln. Er polemisiert wiederholt gegen die vornehmlich protestantischen Vertreter eines „abgespeckten“ (26) Christentums. Damit ergibt sich die aussichtslose Alternative: Das klassische Christentum ist überholt; es darf sich aber auch nicht weiterentwickeln. Dann kann man natürlich „kein Christ“ sein – eine petitio principii. Auch die Allegorese verfällt in diesem Zusammenhang dem Urteil des Fakten-Philosophen: Man „spricht die alten Formeln nach, denkt sich dabei aber etwas anderes“ (190; 22, 88). Dabei weiß Flasch auch um die Legitimität und Unumgänglichkeit von Allegorien. Unbefriedigend bleibt sein Umgang mit der historisch-kritischen Exegese, die er einsetzt, wo er sie brauchen kann, aber unberücksichtigt lässt, wo er am Wortlaut interessiert bleibt: Samuel hieb „Agag in Stücke vor dem Angesicht des Herrn“ (1. Sam 15,33). Jesus „drohte mit der ‚Hölle’; er nannte sie das ewige Feuer, das die Sünder quält, ohne sie gänzlich zu verbrennen“ (251 und Anm. 67). Auch sonst sind Widersprüche, sprachliche und sachliche Ungenauigkeiten zu beobachten (43 – Subjekt?, 81 – „Denominationen“?, 70 – „Befehl Jesu“?, 133 – „Josuas Stillstand der Sonne“). Manch steile These bedürfte näherer Prüfung (47 – Luther „allen voran“, 209 – Bonifaz VIII., Motivation zu Mission). Flasch weiß, dass das Leben auf der Erde vermutlich irgendwann ein Ende haben wird, und rühmt doch – als Quintessenz seines Buchs – Hölderlins Zeilen: „Immer, Liebes! gehet / Die Erd und der Himmel hält“ (264f). Trotz seiner massiven Kritik verweist er einleitend darauf, dass die christliche Religion „mir dazu verholfen habe, mich als ein Ich zu begreifen, das für Wahrheit und Unwahrheit zuständig ist“ (14). Doch ein Kryptoprotestant?

Auf den ersten Blick kann ein Theologe den Eindruck haben, dass Flasch viel vom Christentum weiß, aber vom christlichen Glauben keine oder kaum ein Ahnung hat. Das Christentum scheint ihm eine herzlose Hirn- (um nicht zu sagen: hirnverbrannte) Angelegenheit zu sein. Das existenzielle Moment, das „heute protestantisch orientierte Religionsphilosophen“ dem Glauben „geben“, kommt für ihn nur als Ausflucht zu stehen, „nachdem die Faktenbasis ihnen entzogen ist“ (95). Es ist Flasch nicht klar, dass kaum jemand aufgrund rationaler Überlegungen zu einer Gottesbeziehung etwa im Gebet gefunden haben dürfte. Flasch hat offenbar wenig Luther gelesen, aber schon bei seinen Eckhart-Studien müsste ihm etwas anderes begegnet sein. Er beteuert sogar an anderer Stelle, dass „Wahrheit“ angeeignet und angewandt sein will (102).

Flasch bietet jedoch – fast nebenbei (102ff) – einen interessanten Vorschlag: Die Religionen sollten „auf das Konzept theoretischer Wahrheit verzichten“ und dabei keineswegs in ethischen Anweisungen aufgehen: „Adäquater wäre das quasi-poetische Wahrheitskonzept, das uns beim Lesen von Dichtung, auch beim Sehen von Dramen oder Filmen leitet.“ Märchen etwa stellten sich „außerhalb der Alternative von ‚realistisch gegeben’ und beliebiger Erfindung“ (104). Von ihm, Flasch, werde ein „poetische(r) Wahrheitsbegriff“ empfohlen, den er dann auch im Blick auf die Auferstehungsberichte anwendet: „Die Auferstehung als Bild sagt mir etwas ... Bilder lösen Lebensströme aus.“ Viele feierten die Auferstehung des Herrn, „denn sie sind selber auferstanden, ohne einen historischen Beweis für die leibliche Rückkehr ihres Herrn aus dem Totenreich gefunden zu haben“ (133). Der Konflikt zwischen verschiedenen Wahrheitskonzepten ist damit noch nicht gelöst. Aber wie sollte ich, wenn ich in diesen „Lebensströmen“ lebe, „kein Christ“ sein? Unterwirft sich Flasch hier durch eine Selbstfestlegung (die er der Kirche vorwirft!) nicht in eigener Initiative einer Selbstexkommunikation? Mag er sich nun nicht als „Christ“ (im amtlich katholischen Sinn) verstehen, zur Christentumsgeschichte gehört er allemal!


Hans-Martin Barth, Marburg