Werner Thiede

Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung

Werner Thiede, Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung, Forum Theologische Literaturzeitung, Bd. 20, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2007, 101 Seiten, 16,80 Euro.


Das Interesse an der Esoterik ist ungebrochen. Fast jeder zweite Deutsche soll sich aktuellen Umfragen zufolge für esoterische Fragen interessieren. Aus kirchlich-theologischer Sicht tut Unterscheidung not. Das Buch, das dem Gedenken des früheren und in diesem Jahr verstorbenen EZW-Leiters Reinhart Hummel gewidmet ist, leistet hierzu einen unverzichtbaren Beitrag. Der Verfasser, vor kurzem zum außerplanmäßigen Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg ernannt, wendet sich in bewährt dialogisch-apologetischer Perspektive zentralen Themen der Esoterik zu. In ihr erblickt er „Stärken und Schwächen eines konsequenten spirituellen Monismus“ (9).

Die Untersuchung setzt ein mit einer grundlegenden Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Esoterik (9-42). Die folgenden Abschnitte II und III konzentrieren sich auf „Heilungswunder: Magie oder Reich-Gottes-Kraft?“ (43-74) sowie auf „Unsterblichkeit: Reinkarnation oder Auferstehung?“ (75-98). Vorangestellt sind den einzelnen Kapiteln jeweils prägnante Thesen, die in den nachfolgenden Teilen umsichtig und diskursiv entfaltet werden. Abschließend wird weiterführende Literatur in Auswahl genannt.

Zunächst nimmt Thiede grundlegende Klärungen von Esoterik und Theologie vor und spart dabei auch das Phänomen einer „kirchlich-theologischen Esoterik“ nicht aus. Sicherlich hätte bei der Analyse der gängigen esoterischen Topoi der typische, über neue Offenbarungen oder über Channeling vermittelte besondere Erkenntnisweg theologisch problematisiert werden können. Dennoch – die Stärke dieses Buches liegt in der Elementarisierung der zentralen Themen. So setzt sich der systematische Theologe u.a. kritisch mit dem Energiebegriff des Theologen Manfred Josuttis auseinander, der damit eine Brücke zu esoterischem Denken schlage. Thiede konstatiert: „Damit liegt er [Josuttis] auf der Linie von zeitgeistkonformen Plädoyers für eine monistische Spiritualität ohne personalen Gottesbezug, dessen Bedeutung für christliche Frömmigkeit damit aber sträflich vernachlässigt wird.“ (38) Stattdessen plädiert er für die Rückbesinnung bzw. Neuentdeckung einer biblisch-theologisch grundierten Frömmigkeit. In der kirchlichen Praxis seien Programme, Aktivitäten und Räume zu entwickeln, in denen es „Möglichkeiten zur Vertiefung, Verinnerlichung und Reifung des Glaubens und gelebter Spiritualität, zur individuellen und gemeinschaftlichen Überbietung seichter Volks- und Gewohnheitsfrömmigkeit“ gebe (40).

Im zweiten Abschnitt empfiehlt der Verfasser in Anknüpfung an 1 Kor 4,20 das in der Esoterik sich widerspiegelnde Bedürfnis nach ganzheitlicher Heilserfahrung ernst zu nehmen. Ihm müsse die Theologie mit dem trinitarischen Denken argumentativ begegnen. Durch die Esoterik werde die christliche Theologie daran erinnert, „dass der Geist Jesu Christi auch heilender Geist ist und als solcher erkannt, verkündet und in Anspruch genommen werden will“ (74).

Der letzte Abschnitt wendet sich dem esoterischen Reinkarnationsgedanken zu. Hier empfiehlt Thiede, dass die christliche Theologie „die biblisch legitime und noch kurz vor der Reformation dogmatisierte Lehre von der Unsterblichkeit der Seele im Sinne einer personalen Kontinuität über den Tod hinaus neu ins Gespräch“ (75) bringen müsse. Die These wird entfaltet vor dem Hintergrund der sog. Ganztod-Theologie und der Seelenwanderungstheorie sowie vor dem Reinkarnationsglauben in der abendländischen Geschichte. Dabei werden auch Berichte von angeblichen Rückführungserlebnissen oder Todesnäheerfahrungen reflektiert. In der kritischen Auseinandersetzung arbeitet der Verfasser heraus, dass die theologische Herausforderung gerade im soteriologischen Gehalt der unterschiedlichen Reinkarnationsvorstellungen liegt. Gegenüber individualisierenden Verengungen macht Thiede das universale Erlösungshandeln Gottes geltend, das auf die Gesamtheit der Schöpfung bezogen ist.

Für die aktuelle Diskussion liefert Thiedes konzentriertes und gut lesbares Buch wichtige theologische Antworten auf zentrale Herausforderungen durch die moderne Esoterik.


Matthias Pöhlmann