Film und Literatur

Sünners kreatives Universum

In seinem neuesten Film „Das kreative Universum – Naturwissenschaft und Spiritualität im Dialog“ konstatiert Rüdiger Sünner eine Spannung zwischen einem Weltbild der Naturwissenschaften, die als „die große Wissensautorität“ gelten, und spirituellen Weltbildern mit „umfassenderen Sinnhorizonten“, zu denen sich immer mehr Menschen hingezogen fühlten (www.daskreativeuniversum.de). Diese Spannung entlädt sich gleich in den ersten Bildern von Sünners Film explosiv im Terroranschlag auf das World Trade Center in New York 2001. Der Anschlag religiöser Fanatiker habe auch den westlichen Naturwissenschaften gegolten, so Sünner. Im Gegenzug blies bekanntermaßen der Evolutionsbiologe Dawkins zum polemischen Sturm auf die Religionen als solche. Diese von ihm als unerträglich empfundene Frontstellung von Wissenschaften und Religion nahm Sünner zum Anlass, in einem Film nach der Verbindung zwischen beiden „Welten“ zu fragen. Es kommen zahlreiche Biologen und Physiker zu Wort, die einen solchen Brückenschlag bereits vollziehen, sei es, dass sie der Anthroposophie nahestehen (Bernd Rosslenbroich, Wolfgang Schad, Wolfram Schwenk, Johannes Wirz, Arthur Zajonc), die naturwissenschaftliche mit einer theologischen Existenz in ihrer Person vereinen (George Coyne, John Polkinghorne) oder eigene kreative Wege in der Wissenschaft gehen (Rupert Sheldrake, Stuart Kauffman, Hans-Peter Dürr, Joachim Bauer, Thomas Görnitz, Stephan Harding, Simon Conway Morris). Gezielt hat Sünner nach wissenschaftlichen Vertretern gesucht, deren Forschungen „Raum für göttliche oder transzendente Kräfte lassen“.Somit versammelt der Film eher wissenschaftliche Außenseiterpositionen.

Da die Sichtweisen der „interessanten Querdenker“ unwidersprochen bleiben und seriöse Aussagen ununterschieden neben pseudowissenschaftlichen Theorien – zum Beispiel über das Strömungsverhalten von Wasser – präsentiert werden, ist es für den Laien schwer, sich ein Bild zu machen. Herkömmliche und auch alternative Erklärungsmodelle werden kritisiert und in Frage gestellt, ohne dass es zu einer nachvollziehbaren Auseinandersetzung kommt.Allerdings vermag es der Film, den Zuschauer ins Staunen über das Wunder der Natur zu versetzen. Das wird nicht zuletzt durch die fast meditativ wirkende Ästhetik des Films unterstützt. Wissenschaft präsentiert sich hier weniger als nüchtern berechnend, sondern als leidenschaftlich fragend. Ausgehend vom erreichten enormen Wissensstand von Biologie und Physik bewegt sich der Film an den Rändern dessen, was wir bisher erklären können. War das Universum auf die Entstehung des Lebens hin angelegt? Strebte die Evolution auf die Entwicklung des Menschen zu? Woher kommen Ordnungsstrukturen? Wie ist der Überschuss an Schönheit und Vielfalt von Kosmos und Natur zu erklären? Mehrere befragte Wissenschaftler stimmen im Film darin überein, dass nicht die von den Wissenschaften gut untersuchte Materie das Entscheidende sei, sondern die Beziehungen zwischen den Teilchen, die bisher kaum verstandenen „Informationen“, wie sich Materie ordnet, also etwas, das mit „Geist“ bzw. etwas „Geistigem“ vergleichbar sei.Diese und andere Fragen folgen einer Leitthese, die sich Sünner für den Film zu eigen gemacht hat: Die „überwältigende Kreativität innerhalb der Evolution“ sei das Bindeglied zwischen Naturwissenschaft und dem, was Sünner nicht Religion, sondern Spiritualität nennt. Am deutlichsten bringt der Biologe Stuart Kauffman diese Kreativität in die Nähe religiöser Verehrung: „Ich möchte die natürliche Kreativität Gott nennen, nicht Schöpfergott, nur Kreativität des Universums.“

Der Film selbst sowie alle darin zu Wort kommenden Wissenschaftler sind bemüht, sich von den „unwissenschaftlichen“ Entwürfen des Kreationismus und des Intelligent Design abzugrenzen. Deutlich hingegen ist Rüdiger Sünners Nähe zur Anthroposophie, der er bereits einen viel beachteten Film („Abenteuer Anthroposophie“) gewidmet hat. Bei der Suche nach Sponsoren für „Das kreative Universum“ wurde er von der Geschäftsführung des Bundes der Freien Waldorfschulen unterstützt. Erhältlich ist die DVD zum Film über „Waldorfbuch“. Die anthroposophisch ausgerichtete Zeitschrift „Info3“ hat vorab eine Filmbesprechung gebracht, ebenso die „Medienstelle Anthroposophie“.Aber auch von wissenschaftlicher Seite wird der Film zur Kenntnis genommen.

Am 6. Dezember 2010 lud die „Urania“ in Berlin zur Premiere ein. Sie sieht ihren Auftrag darin, allen Bürgern wissenschaftliche Bildung zu vermitteln. Im Anschluss an die Vorführung moderierte Ingolf Toll Ebel (an der Urania zuständig für die Fachbereiche Philosophie, Religion und Weltanschauung, Biologie und Anthropologie, Grenzfragen aus Wissenschaft und Forschung sowie für das Filmprogramm) ein Gespräch mit Sünner und dem Biologen Johannes Wirz vom Goetheanum. Hinzu kam ungeplant der renommierte Physiker Hans-Peter Dürr. Allerdings kam es nicht zu kritischen Rückfragen etwa bezüglich der Vereinbarkeit von naturwissenschaftlichen Standards und der Weltanschauung der Anthroposophie. Die Stärke des Films liegt in seinem Staunen und Fragen.

Eine Gefahr könnte darin bestehen, dass der Film den Eindruck erweckt, Wissenschaft sei selbst vor allem eine kreative und weniger eine exakte Angelegenheit. Im Kontext verengter und einseitiger Sichtweisen mag es richtig sein, für Offenheit gegenüber alternativen Denkmodellen zu plädieren. Vor einem Publikum, das zum größten Teil aus Laien besteht, die zudem möglicherweise der Spiritualität Vorrang vor der Wissenschaft einräumen, ist es kontraproduktiv, wenn ein hochrangiger Physiker wie Dürr auf der Bühne der Urania sagt, wer behaupte, etwas zu wissen, liege falsch und wer nicht mehr weiterwisse, sei ganz nah dran. Diese Sicht kann sich derjenige leisten, der das Handwerk versteht, weniger das Publikum, das die Bemerkung allerdings mit Applaus belohnte. In dieser Reaktion zeigt sich der Konflikt zwischen einer sich als nüchtern und rational verstehenden Wissenschaft und der Sehnsucht nach dem unerklärlichen, geheimnisvollen Wesen der Dinge. Der Film sucht das Geheimnis in der Wissenschaft auf. Dies darf als sein Verdienst gelten, insofern es dabei tatsächlich um wissenschaftliche Positionen geht. Kritisch zu beurteilen ist das Verwischen der Grenze zwischen ernstzunehmender Wissenschaft und esoterisch anmutenden Positionen im Film.


Claudia Knepper