Buddhismus

Sogyal Rinpoche verstorben

Am 28. August 2019 verstarb in Thailand der tibetische Lama Sogyal Rinpoche. Unter den Meistern des tibetischen Buddhismus, die im Westen besonders viel Anklang gefunden haben, zählte Sogyal Rinpoche sicherlich zu den bekanntesten. Diese Popularität basierte vor allem auf seinem Bestseller „Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“, das großen Einfluss auf westliche Buddhismus-Interessierte und durch seine wichtigen und wertvollen Impulse im Bereich Sterbebegleitung und Spiritual Care auch auf die „Palliative Care“ und die Hospizbewegung hatte. Das Werk vermittelt auf anschauliche Weise Antworten des tibetischen Buddhismus auf existenzielle Fragen um ein sinnvolles Leben und einen friedvollen Tod, Letzteres auf dem Hintergrund des ebenso berühmten wie schwer verständlichen „Tibetischen Totenbuchs“. Darüber hinaus gewährt es Einblick in die religiöse Praxis der Tibeter. Doch im Sommer 2017 wurden gegen den Verfasser schwere Vorwürfe laut. Es ging um sexuellen Missbrauch, physische und psychische Gewalt sowie die Zweckentfremdung von Spendengeldern.

Sogyal Rinpoche hat als Kind noch das „alte“ Tibet vor der Flucht des Dalai Lama erlebt. Er wurde 1948 in Kham im Osten Tibets geboren und als Reinkarnation von Lerab Lingpa Tertön Sogyal (1856 – 1926), dem Lehrer des XIII. Dalai Lama (Vorgänger des derzeitigen Amtsinhabers), erkannt. Er begann 1971 an der Universität Cambridge ein Studium in Vergleichenden Religionswissenschaften und nahm drei Jahre später seine Tätigkeit als spiritueller Lehrer auf. 1975 gründete er ein „Rigpa“ genanntes Netzwerk von Gruppen und Zentren, in denen seine Lehren studiert werden. Die wichtigsten europäischen Einrichtungen sind die Retreat-Zentren Lerab Ling in Südfrankreich und Dzogchen Beara in Irland. Rigpa bietet Meditationskurse, aber auch Lehrgänge in Sterbebegleitung an. Außerdem wurden in Dzogchen Beara und mit dem Sukhavati-Zentrum in Bad Saarow (Brandenburg) Spiritual-Care- und Hospiz-Einrichtungen geschaffen.

Doch diese zweifellos wert- und verdienstvollen Bemühungen gerieten in Misskredit, als acht langjährige Schülerinnen und Schüler aus dem engsten Kreis im Juli 2017 in einem Offenen Brief schwerwiegende Vorwürfe gegen ihren Meister erhoben. Obwohl schon seit vielen Jahren Gerüchte kursierten, dass sich der Tibeter an Schülerinnen vergreife, schlugen die aktuellen Angriffe wie eine Bombe ein – sowohl innerhalb von Rigpa als auch in der Community der am Buddhismus Interessierten. Vorgeworfen wurden Sogyal Rinpoche der „physische, emotionale und psychische Missbrauch von Schülerinnen und Schülern“, „sexuelle Vergehen an Schülerinnen und Schülern“, ein „unersättlich verschwenderischer und genusssüchtiger Lebensstil“ sowie Handlungen, welche die Wertschätzung für die buddhistische Lehre und Praxis „vergiftet“ hätten.1

Dass diese Vorwürfe ein wahres Erdbeben auslösten, lag sicher auch daran, dass Sogyal Rinpoche in der Öffentlichkeit stets völlig anders wahrzunehmen war, als ein scheinbar warmherziger, humorvoller, mitfühlender spiritueller Meister, der ganze Hallen zu füllen wusste, und dass er durch einen kurzen Gastauftritt in Bernardo Bertoluccis Film „Little Buddha“ auch einem breiten Publikum bekannt geworden war. Es konnte daher nicht erstaunen, dass selbst große Tageszeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“2 oder der britische „Telegraph“ ausführlich über den Skandal berichteten. Letzterer warf sogar die Frage auf, ob Sogyal Rinpoches Bestseller „Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ nicht eher das Werk von Ghostwritern sei.3

Der Reputationsschaden für die Rigpa-Zentren war groß. Dort versuchte man zuerst, den Skandal auszusitzen, und reagierte Ende Juli 2017 nur mit einer dürftigen Pressemitteilung.4 Sogyal Rinpoches Strategie, sich mit einem Retreat aus der Schusslinie zu nehmen, erwies sich schnell als untauglich, denn selbst der Dalai Lama distanzierte sich von seinem „Freund“.5 Danach war klar, dass Sogyal Rinpoche als Leiter von Rigpa nicht mehr tragbar sein würde. Am 10. August 2017 erklärte die Organisation deshalb in einer weiteren Medienmitteilung: „Nach internen Beratungen hat Sogyal Rinpoche entschieden, mit sofortiger Wirkung als spiritueller Leiter aller Organisationen, die in verschiedenen Ländern weltweit den Namen Rigpa tragen, zurückzutreten.“6 Allein bis September 2017 erklärten nach Angaben von Rigpa sieben Prozent der Mitglieder ihren Austritt aus der Organisation.7 Aber auch in der relativ großen Gemeinschaft der Exil-Tibeter in der Schweiz war der Fall Gesprächsthema, gehörte Sogyal Rinpoche doch zu einer der einflussreichsten Adelsfamilien Tibets mit Beziehungen bis ins Königshaus von Bhutan.

Im Sukhavati-Zentrum Bad Saarow bemühte man sich ebenfalls um Schadensbegrenzung und Distanz. Hier verzichtete man inzwischen sogar auf die Erwähnung Sogyal Rinpoches auf der Homepage.8 Detlef Eberhard, der Medienverantwortliche des Zentrums, erklärte gegenüber der Schweizer Fachzeitschrift „palliative ch“: „Auch uns haben die Anschuldigungen den Atem geraubt und umgetrieben. Da Sogyal Rinpoche in Sukhavati keine offizielle Funktion und keinen Einfluss auf den operativen Betrieb hatte und hat, mussten wir auf dieser Ebene nichts ändern. Die im ‚Tibetischen Buch vom Leben und vom Sterben‘ zusammengefassten Ideen des Umgangs mit Kranken, Sterbenden und Menschen in schwierigen Lebenssituationen sind weiterhin die Richtschnur unserer Arbeit. Diese stellen wir aber nun ganz in die bis ins 8. Jahrhundert reichende tibetisch-buddhistische Weisheitstradition.“9

Es gab allerdings auch, und dies v. a. im buddhistischen Klerus um Sogyal Rinpoche, Versuche, sein Verhalten zu rechtfertigen bzw. ein wesentlich schlimmeres Fehlverhalten den acht Verfassern des Offenen Briefs anzulasten. So erklärte Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche in einer langen Stellungnahme, dass wenn man sich auf den Einweihungspfad des tibetischen Buddhismus begeben habe, es absolut unstatthaft sei, den Meister privat oder öffentlich zu kritisieren.10 Und als Sogyal Rinpoche im September 2017 bekannt machte, dass ihm bösartige Darmtumore entfernt worden seien und er sich einer Chemotherapie unterziehen müsse, unterstellte Orgyen Tobgyal Rinpoche implizit, dass die Erkrankung eine karmische Folge des Fehlverhaltens der ungehorsamen Schülerinnen und Schüler sei.11 Es sieht so aus, als sei Sogyal Rinpoche nun an den Folgen und Komplikationen dieser Darmkrebserkrankung verstorben.


Christian Ruch, Chur/Schweiz


Anmerkungen

  1. https://buddhismus-aktuell.de/diskussionen/debatte-um-sogyal-rinpoche/dokument-1-missbraucht-geschlagen-laecherlich-gemacht-schuelerinnen-und-schueler-von-sogyal-rinpoche-erheben-schwere-vorwuerfe-brief-vom-14-juli-2017.html  (Abruf der Internetseiten: 2.9.2019).
  2. Siehe www.sueddeutsche.de/panorama/buddhismus-betreff-missbrauch-1.3623511?reduced=true
  3. Siehe www.telegraph.co.uk/men/thinking-man/sexual-assaults-violent-rages-inside-dark-world-buddhist-teacher .
  4. Siehe www.rigpa.de/lang-de/rigpa/presse.html
  5. Siehe https://whatnow727.wordpress.com/2017/08/08/dalai-lama-speaks-about-sogyal-rinpoche ; www.youtube.com/watch?time_continue=6&v=0wP4rsM7AZQ .
  6. www.rigpa.de/lang-de/rigpa/presse.html
  7. Siehe ebd.
  8. Siehe https://twitter.com/SogyalTruth/status/919974531527258112 .
  9. E-Mail vom 10.10.2017 an die Redaktion von „palliative ch“.
  10. Siehe www.buddhistdoor.net/news/dzongsar-khyentse-rinpoche-issues-public-statement-on-recent-criticism-of-sogyal-rinpoche .
  11. Siehe www.facebook.com/sogyal.rinpoche , Postings vom 27. und 28.9.2017.