Linus Hauser

Scientology. Geburt eines Imperiums

Linus Hauser, Scientology. Geburt eines Imperiums, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010, 189 Seiten, 16,90 Euro.


Die öffentliche Diskussion um die Scientology-Organisation und ihre Praktiken bezieht sich meist auf tagesaktuelle Konflikte. Linus Hauser, katholischer Professor für Systematische Theologie in Gießen, versucht in diesem Buch etwas anderes, nämlich eine Analyse von den Quellen her. Er nähert sich der Gestalt des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard (1911-1986) einerseits biografisch, andererseits von dessen literarischer Karriere als Science-Fiction-Autor her. Dabei wird deutlich, dass die neomythische Welt der Science-Fiction das Denken Hubbards bestimmt. Wäre er bei diesem schriftstellerischen Leisten geblieben, hätte er vermutlich einen gewissen Erfolg errungen, ohne sonderlich aus dem Genre herauszuragen. Der Versuch jedoch, seine Science-Fiction-Phantasien erst in eine vermeintliche Wissenschaft und dann in einen bizarren Kult zu transformieren, endete in der ebenso trivialen wie aggressiven Organisation, die heute als Kirche Anerkennung sucht und zugleich den Verfassungsschutz beschäftigt.

Hubbard, der weder als Marinesoldat Karriere machte noch ein begonnenes Ingenieurstudium zu Ende bringen konnte, hatte bereits mit 22 Jahren als Autor in „Pulp Magazines“ (Groschenromanen) erste Erfolge und veröffentlichte später in Zeitschriften, die sich im Grenzbereich von Literatur und Naturwissenschaft bewegten. Hubbards Themen, die in der Folge das Denkgebäude von Scientology prägen, zeigen sich hier noch in mythischer Gestalt. Da gibt es den im Alltag schwachen Gelehrten, der plötzlich die Formel zum Übermenschentum entdeckt und selbst zum Astralreisenden und Übermenschen mutiert. Es gibt den kosmischen Tyrannen, der die Lebewesen ganzer Planeten einfängt und auf der Erde in geheimen Bunkern gefangen hält, bis ein Stärkerer kommt, der die Erde therapeutisch reinigt („Clear the Planet“ – ein scientologischer Schlachtruf bis heute) und selbst eine mythische Allmacht erringt. Hubbards zeitweiliger Ausflug in die Welt des Satanismus wird solche Allmachtsphantasien massiv befördert haben. Im Zentrum der Psychophilosophie dieser (noch mythischen) Vorstellungen steht der Wille zum Überleben – auch dies ein in die Scientology-Lehre übernommenes Axiom. Hauser stellt kenntnisreich und mit ausführlichen Belegen dar, wie dann diese Mythen um 1950 herum in eine „neue Wissenschaft“ einfließen, die „mit der Gesichertheit einer Naturwissenschaft“ den menschlichen Geist zu analysieren und zu lenken beansprucht: die Dianetik. Während aber die „American Medical Association“ und die „American Psychiatric Association“ die Publikation der Dianetik wegen mangelnder wissenschaftlicher Fundierung ablehnen, erscheint sie schließlich im „Astounding Science Fiction“, einer auch von grenzwissenschaftlich interessierten Naturwissenschaftlern gern gelesenen Zeitschrift. Popularpsychologisch kommt Hubbards Versuch, den menschlichen Geist wie einen schadhaften Computer zu optimieren, gut an.

Es bilden sich Dianetik-Gruppen, die Hubbard ab 1953 als Kirchen organisiert; eine davon heißt bezeichnenderweise „Church of Spiritual Engineering“. Wenig später werden diese unabhängigen Scientology-Kirchen in der „Hubbard Association of Scientologists“ zusammengefasst. Ob es die Lehre von der unbezwingbaren Geistseele, dem Thetan, ist oder der Mythos des bösen planetarischen Herrschers Xenu: Hauser zeichnet die Übernahme dieser Elemente vom Mythos in Lehre und Praxis der Organisation nach und kommt früh zu dem Fazit: „Beim Betrachten der Hubbardschen Biografie wird sich zeigen, wie neomythische Züge der wissenschaftlich-technischen Moderne die erkenntnistheoretische Frage nach der Differenz von Dichtung und Wahrheit durch die gelebte Praxis gleichsam zum Scheinproblem erklären, um die eigene Endlichkeit zu verklären und in ihrer Radikalität nicht zur Kenntnis zu nehmen. Religiöses Selbst- und Weltverständnis kann aus literarischer Fiktion stammen und trotzdem zu demjenigen werden, auf das man seine Existenz gründet“ (11).

Freilich werden in späteren Jahren Hubbards mythologische Ideen immer bizarrer, die späten Romane („Kampf um die Erde“, „Mission Erde“) immer wirrer und unappetitlicher. Verstärkt wird aber auch das zum Thema, was mit „Clear the Planet“ schon angedeutet war: der rücksichtslose Kampf um die Weltherrschaft. Er liegt in der inneren Logik von Hubbards Gedanken, so kraus sie im Detail auch daherkommen. Deshalb warnt Hauser am Schluss eindringlich: „Dieses Thema ist nichts, über das man milde schmunzeln könnte. Der scientologische Glaube führt – politisch durchbuchstabiert – in einen totalitären Terrorstaat“ (162). Zu diesem Fazit sind außer Hauser auch schon andere gekommen, nicht zuletzt Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.

Neu ist aber an Hausers Buch die stringente Herleitung der skizzierten Ideen aus der Welt der Neomythen, denen der Gießener Theologe schon umfangreiche Werke gewidmet hat. Diese geistesgeschichtliche Verortung, äußerst gründlich dargestellt und belegt, macht das Neue an Hausers Untersuchung von Scientology aus. Sie dient damit nicht nur der Auseinandersetzung mit der Scientology-Organisation selbst, sondern auch mit deren diversen Abspaltungen („Freie Zone“). Diese lehnen zwar den gegenwärtigen unterdrückerischen Apparat der Organisation ab, folgen aber unverbrüchlich den vermeintlich reinen ursprünglichen Ideen und Lehren L. Ron Hubbards. Die Lektüre des Hauser’schen Werkes macht aber überdeutlich, dass Allmachtsphantasien und Zwang von Anfang an in der scientologischen Lehre angelegt sind. Auch deshalb verdient das Buch die aufmerksame Lektüre aller, die mit Scientology in irgendeiner Variante zu tun haben.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.