Anton Bucher

Psychologie der Spiritualität. Handbuch

Anton Bucher, Psychologie der Spiritualität. Handbuch, Beltz Verlag, PVU VIII, Weinheim 2007, 232 Seiten, 29,90 Euro.

Bernhard Grom, Religionspsychologie, Kösel Verlag, vollständig überarbeitete dritte Auflage, München 2007, 330 Seiten, 24,95 Euro.

Renaud van Quekelberghe, Grundzüge der spirituellen Psychotherapie, Verlag Dietmar Klotz, Eschborn 2007, 360 Seiten, 22,00 Euro.

Das war hierzulande vor zehn Jahren noch undenkbar: Psychologen interessieren sich für die seelischen Prozesse beim religiösen Erleben und Verhalten. Auch die europäische Psychologenzunft ist dabei zu entdecken, dass religiöser Glaube jenseits weltfremden Schwärmertums und konfessioneller Scheuklappen durchaus Lebenshilfe bieten und dazu beitragen kann, etwa ein schwere Krise besser zu bewältigen.

Ein psychologisches Handbuch zum Phänomen der Spiritualität kommt daher genau zur richtigen Zeit. Anton Bucher, Religionspädagoge an der Universität Salzburg, hat sich schon in früheren Schriften als einer der wenigen deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Religionsexperten hervorgetan. Sein neues Buch besticht durch die klare Gedankenführung, den umfassenden Wissensfundus und die leserfreundliche Gestaltung. Mit der Konzentration auf das Konzept der Spiritualität schlägt der Autor einen neuartigen Weg ein. Auch wenn sich sein Buch primär auf empirische Arbeiten stützt, berücksichtigt es spekulative Einsichten. Eine Psychologie der Spiritualität müsse auch die Innenperspektive einnehmen, so der Autor, um den subjektiven Erfahrungsberichten von Personen, die sich als spirituell empfinden, möglichst gerecht zu werden. Um es vorab zu sagen: Die heikle Gratwanderung ist gelungen, weil der Autor sowohl religionspsychologisch als auch forschungsmethodisch erfahren ist. Die weit gefächerte amerikanische Forschungslage fasst das Buch gut zusammen, und auch die verstreuten deutschsprachigen Studien sind berücksichtigt.

Als vorläufige Definition gibt Bucher an, Spiritualität sei eine wesentliche Verbundenheit und Beziehung zu einem den Menschen übersteigenden Letztgültigen. Zu dieser Erklärung kommt er nach der Auswertung der wichtigsten qualitativen Studien sowie durch Fragebogenuntersuchungen zur Spiritualität. Auf dieser Grundlage kann der Autor auch Schnittmengen von Religiosität und Spiritualität beschreiben, ohne beide gegeneinander auszuspielen.

Drei weitere inhaltliche Schwerpunkte behandeln die Entwicklungspsychologie der Spiritualität, Gesundheit und Krankheitsbewältigung durch Spiritualität und ihre Bedeutung in der Psychotherapie. Präzise und sachlich werden die Zusammenhänge dargestellt, die manchmal durch anschauliche Fallbeispiele Alltagsbezug erhalten.

Bei allen positiven Befunden zur heilenden Wirkung von Spiritualität übergeht der (katholische) Autor die Tatsache nicht, dass bestimmte Formen der Spiritualität auch krank machen können. Unterschiede zwischen einer spirituellen Erfahrung und einer Psychose werden aufgelistet, Risiken und Nebenwirkungen tiefer Meditation genannt und Forschungsergebnisse zum spirituellen Missbrauch in totalitären Gruppen vorgestellt. Leider wird hier der wichtige Bereich der krankmachenden Gottesbilder bzw. deren Therapie nicht behandelt. Auch die Bedeutung der Hirnforschung für die Spiritualität wird unterschätzt und nur kurz gestreift – das ist aber auch schon alles, was diesem anregenden Handbuch fehlt.

Einer der bekanntesten deutschen Religionspsychologen ist Bernhard Grom, der an der Jesuitenhochschule in München forscht und lehrt. Seine 1992 erschienene und 1996 aktualisierte Einführung in die Religionspsychologie avancierte schnell zu einem Standardwerk und ist seit Jahren vergriffen. Jetzt wurde dieses Werk als überarbeitete Neuausgabe vorgelegt. In der Einführung erläutert der Autor, dass er Religiosität und Spiritualität synonym verwende, weil letzterer Begriff zu unklar sei. Schon hier wird aber ein Mangel deutlich, der den Wert dieses gelungenen Werkes schmälert. Die aktuellen Entwicklungen der Religionspsychologie werden nur lückenhaft berücksichtigt, und wichtige neuere Literatur fehlt ganz. Inzwischen liegen nämlich Untersuchungsinstrumente vor, die trennscharf sowohl Religiosität als auch Spiritualität psychologisch erfassen können. Von den Fortschritten der letzten fünf Jahre ist in Groms Buch wenig zu finden. Es besticht jedoch durch seine Systematik. Im ersten Teil wird Religiosität als Bestandteil der Persönlichkeit dargestellt. Hier hält sich Grom an das bewährte Schema Motivation, Emotion und Kognition und ergänzt es um die Themen Bewusstseinsveränderung und Wohlbefinden. Der zweite Teil untersucht die psychosozialen Wechselwirkungen der Religiosität. Hier werden besonders die religiöse Sozialisation und die Besonderheiten der Mitgliedschaft in einer spirituellen Gruppe untersucht. Das Buch ist durch Absätze, verschiedene Schriftarten und Tabellen sehr leserfreundlich gestaltet und didaktisch geschickt aufgebaut. Neu sind auch 34 Fallbeispiele, die das Dargestellte praxisnah veranschaulichen. Leider verlieren die gelungene Gestalt und die einleuchtende Systematik an Wert, weil die aktuellen Entwicklungen fehlen. Als Einführung erfüllt das Buch aber seinen Zweck nach wie vor gut.

In Deutschland kann man diejenigen Psychologen, die einen Universitätslehrstuhl innehaben und über Religiosität bzw. Spiritualität forschen und lehren, an einer Hand abzählen. Einer dieser „Exoten“ ist Renaud von Quekelberghe, der seit über 25 Jahren an der Universität Landau als Professor für Klinische Psychologie tätig ist (und darüber hinaus auch in Theologie promoviert hat). Er selbst versteht sich als Bewusstseinsforscher und in Bezug auf „Spiritualität“ als Suchender. In seinem neuen Buch befasst er sich mit der klinisch-psychologischen Relevanz der Religion und Spiritualität.

Quekelberghe hat sein neues Werk in drei Teile gegliedert. Zunächst beschreibt er die auffällige Wiederkehr der Religion, die dazu geführt habe, dass man intensive Spiritualität ganz unabhängig von religiösen Rahmenbedingungen entfalten könne. Der Autor spricht hier von einer „spirituellen Revolution“, die in der Postmoderne eine neue Ausgangslage geschaffen habe. Es ständen sich zwei faktisch unabhängige Lager gegenüber – individuelle Spiritualität und institutionelle Religiosität. Neuere Untersuchungen, die der Verfasser zitiert, widerlegten hierbei das Vorurteil, Psychotherapeuten seien per se areligiös. Von knapp tausend Psychotherapeuten ordneten sich 51 % der Kategorie „persönliche Spiritualität“ und erstaunliche 27 % „religiöse Spiritualität“ zu! Frage man nämlich nach dem Funktionsprinzip des Bewussteins mit seinem Bedürfnis, existentielle Fragen wie die des Sinns und die nach dem eigenen Ich zu beantworten, seien auch für streng agnostische Psychologen religiöse und spirituelle Themen unausweichlich. In seinem Kapitel über das Bewusstsein als „eigenschaftsloser Stille“ macht der Autor deutlich, dass er selbst dem asiatischen Menschenbild nahesteht, das von einer grenzenlosen Verbundenheit allen Lebens ausgeht. Aber hier wie auch an vielen anderen Stellen werden kenntnisreiche Querverweise und Parallelen zur christlichen Tradition gezogen.

Der zweite Teil geht sehr differenziert auf das Verhältnis von Religion/Spiritualität zur Gesundheit ein. Weiterhin werden Phänomene wie spirituelle Einheitserfahrungen und die spirituelle Krise ausführlich behandelt.

Während in diesem Teil einige Zusammenhänge recht spekulativ bleiben, bietet das folgende Kapitel über die Erfassung religiöser und spiritueller Biographiedaten einen gelungenen Überblick der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel vom kurzen Mini-Screening bis zur detaillierten Exploration. Als großer Vorteil entpuppt sich die Tatsache, dass der Autor nicht nur Hochschullehrer, sondern praktizierender Psychotherapeut ist. Das Kapitel über psychotherapeutische Zugangsmöglichkeiten zur spirituellen Bewusstseinsdimension belegt über den kompetenten Forschungsüberblick hinaus, wie die Potentiale religiöser Gemeinschaft und Rituale für die Psychotherapie fruchtbar gemacht werden können.

Überaus spannend liest sich der dritte und längste Teil des Buches. Hier hat Quekelberghe eine systematische Übersicht zur Integration spiritueller Elemente in die Psychotherapie vorgelegt, die in ihrer Breite, Nüchternheit, mit den vielen Fallbeispielen und praktischen Hinweisen eine Fundgrube ist. Ob ergänzende Yoga-Meditation, buddhistisch orientierte Verhaltenstherapie oder Verfahren transpersonaler Psychotherapie – der Autor würdigt sie als hilfreiche Instrumente, die spirituelle Bewusstseinsdimension mit einzubeziehen. Sein ausgewogenes Urteil weist deutlich auf die Gefahr religiös-spirituellen Missbrauchs hin und nimmt in den meisten seiner Ausführungen auf den aktuellen empirischen Forschungsstand Bezug. Dabei macht er aus seiner transpersonalen Grundüberzeugung keinen Hehl. In seinem Überblick wird aber auch die theistische Psychotherapie am Beispiel von Richards und Bergin breit und fair dargestellt. Der Autor regt dazu an, innovative Ansätze in der Kombination verschiedener Therapieschulen mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen zu entwickeln.


Michael Utsch