Andrea Zaki Stephanous

Political Islam, Citizenship, and Minorities. The Future of Arab Christians in the Islamic Middle East

Andrea Zaki Stephanous, Political Islam, Citizenship, and Minorities. The Future of Arab Christians in the Islamic Middle East, University Press of America, Lanham/MD u. a. 2010, 254 Seiten, 26,99 Euro.

Die jüngsten Revolutionen in der arabischen Welt haben diese Region in einer neuen Weise in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gebracht. Die Revolten gegen autokratische und diktatorische Regime waren überraschend und entsprachen zumindest im Westen nicht dem Bild vom politischen Zustand und der Mentalität dieser islamisch geprägten Länder. Welche Rolle spielen in dieser Situation die christlicher Minderheiten im Orient? Können sie von möglichen Veränderungen profitieren, oder wird eventuell ihre Lage noch schwieriger, als sie es bislang schon ist?Mit dem Band „Political Islam, Citizenship, and Minorities“ liegt nicht nur eine kenntnisreiche Analyse der politischen Situation und der Lage der christlichen Minderheiten im Nahen Osten aus der Feder eines protestantischen Christen aus Ägypten vor, sondern auch eine durchdachte politische Strategie zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderung. Der Autor, Andrea Zaki Stephanous, ist eine der leitenden Persönlichkeiten in den evangelischen Kirchen in Ägypten und im Nahen Osten, zudem Generaldirektor der „Coptic Evangelical Organization for Social Services“ (CEOSS) in Ägypten (bei Drucklegung des Buches noch Vizegeneraldirektor). Seine Ausarbeitung ist vor dem Ausbruch der Unruhen verfasst und veröffentlicht worden, aber aus der heutigen Sicht eher noch interessanter und aktueller.In umfangreichen Detailanalysen, die auf einer großen Fülle an Materialien basieren, werden Konzepte des politischen wie des säkularen Islam dargestellt. Der Entwicklung der Ideologie des politischen Islam in Ägypten wird dabei ein eigenes Kapitel gewidmet. Im Hinblick auf die politische Rolle von christlichen Minderheiten im Nahen Osten werden die beiden bedeutendsten Gruppen, die Kopten in Ägypten und die Maroniten im Libanon, ausführlich untersucht. Die Maroniten gehören zu den Gründern des Libanon und nutzten ihre Macht auch mit militärischen Mitteln aus. Kritisch analysiert Stephanous, dass die Maroniten bemüht waren, andere von der Macht fernzuhalten und die eigenen Privilegien zu sichern. Eine Theologie der Macht war ihnen dabei behilflich, wobei politische Ämter durch Laien wahrgenommen wurden. Umgekehrt seien die Kopten stets von politischer Macht ausgeschlossen gewesen, was bei ihnen zu einem „Märtyrerkomplex“ geführt habe. Ihre monastische Tradition kann man als Rückzug und Distanz verstehen, was auch der Jenseitsorientiertheit ihrer Theologie anzuspüren ist. In den zurückliegenden Jahrzehnten sei die kirchliche Hierarchie immer mehr zur politischen Stimme der Kopten geworden.Das spezifische Interesse von Stephanous liegt in der Entwicklung eines neuen politischen Bewusstseins und Denkens im Nahen Osten, gerade auf christlicher Seite. Der Aushöhlung der Glaubwürdigkeit von Führungspersonen und Ideologien sowie des arabischen Nationalismus, das Erstarken eines politischen Islam, die Islamisierung von Medien, Ökonomie und Kultur, der Mangel an politischer Legimitation autoritärer Systeme, eine zu schwache zivile Gesellschaft und das Fehlen einer auf Koexistenz und Toleranz ruhenden politischen Theologie sind seiner Ansicht nach die Faktoren, die zu einer Verkümmerung zivilgesellschaftlicher Kräfte und zivilgesellschaftlichen Bewusstseins beigetragen haben.Vor diesem Hintergrund ist die Herausbildung eines neuen christlichen Konzeptes einer dynamischen Bürgerschaftsbeteiligung (dynamic citizenship) das Hauptanliegen des Buches. „Dynamische Bürgerschaftsbeteiligung ... heißt die politische Hoffnung für arabische Christen. Sie basiert auf einem gemeinsamen Befreiungskampf. Es handelt sich um einen Prozess, bei dem Muslime und Christen zusammenarbeiten, um ihre Freiheit, Unabhängigkeit und Gleichberechtigung zu verwirklichen. Dynamische Bürgerschaftsbeteiligung ist ein gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, kultureller und politischer Prozess, der religiöse Unterschiede in den Hintergrund treten lässt und auf ein demokratisches politisches System hinzielt“ (210, alle Zitate aus dem Engl. übers.). Ein solches System, das Stephanous als „inclusive pluralism“ bezeichnet, erkennt und respektiert unterschiedliche kulturelle und religiöse Identitäten. Es ist verbunden mit einem gesellschaftlichen Engagement von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, die bei dringend zu lösenden gesellschaftlichen Aufgaben zusammenarbeiten. So entstehen Solidaritäten über die Grenzen von Religionen und Gruppen hinweg. Religiöse Überzeugungen helfen, ein solches Bewusstsein zu stärken.In Abgrenzung gegenüber einem Pan-Islamismus, der eine arabische Identität zurückstellt, plädiert Stephanous dafür, dass sich Christen im Nahen Osten für eine arabische Identität einsetzen, deren Teil sie sein wollen. Nur unter dieser Voraussetzung sei eine Basis gegeben, die eine politische Partizipation in Freiheit und Gleichheit überhaupt gewährleisten kann. „Weder Theokratie noch Säkularisierung bedeutet die Lösung der gegenwärtigen politischen Problematik. Ein Staat, der sich auf Demokratie gründet und dessen Werte aus der Religion hervorgehen, ist das Schlüsselkonzept für die Ausgestaltung der Staaten im Nahen Osten“ (212). Es klingt fast prophetisch im Hinblick auf die Umwälzungen vor allem in Ägypten, wenn der Autor seine Ausarbeitungen mit den Sätzen beschließt: „Der Wandel wird – unterstützt durch die praktischen Entwicklungen – früher oder später eintreten. In diesem Kontext mag ein schrittweiser Wandel, der sich von unten nach oben ausbreitet, länger dauern, aber auf lange Sicht ist er der wirkungsvollste und sicherste Weg zur Veränderung“ (213).Es ist ohne Zweifel beeindruckend, in welch realistischer wie selbstkritischer Weise Stephanous die Situation der Christen im Nahen Osten analysiert, und ebenso beeindruckend ist, mit welcher Klarheit er sein Konzept einer „dynamic citizenship“ als theologischen Entwurf wie als politisches Plädoyer vorträgt. Es ist gut zu wissen, dass es Christen im Nahen Osten gibt, die Veränderungsprozesse in diesem Sinne aktiv gestalten. Als Leiter von CEOSS steht Stephanous dazu auch eine Organisation zur Verfügung, die dies aktiv befördert. Es ist zu hoffen, dass die derzeitigen Umwälzungen ein Mehr an Freiheit und Gleichheit bringen werden.Die Möglichkeit einer Übersetzung des Buches ins Deutsche wird derzeit geklärt.


Martin Affolderbach, Hannover