Jehovas Zeugen

Kritiker der Zeugen Jehovas wollen die Öffentlichkeit sensibilisieren

(Letzter Bericht 12/2014, 466f) Neuerdings sind sie mit klappbaren Prospektständern in Trolleys unterwegs – Zeugen Jehovas missionieren häufig auf öffentlichen Plätzen. Zahlreiche Aussteigerberichte versuchen die Bindungsstrategien dieser Gruppe zu analysieren und zu verstehen, zuletzt: Barbara Kohout, Die Wachtturm-Wahrheit – eine Sektenfalle?, Leipzig 2013; Esther Fieber, Im Paradies der grasfressenden Löwen. Meine Jugend bei den Zeugen Jehovas, Wismar 2014; Will Cook/Rainer Ref (Hg.), Aus erster Hand – ehemalige Zeugen Jehovas und Mitbetroffene berichten, Charleston 2014; Misha Anouk, Goodbye, Jehova! Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verließ, Reinbek 2014. Hingegen erwecken die freundlichen „Verkündiger“ eher den Eindruck einer harmlosen Gemeinschaft. Weil jedoch die Konflikte und der Beratungsbedarf zu dieser Gruppe anhaltend hoch sind, wurde Anfang November 2014 in Zürich eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel gegründet, die Öffentlichkeit vor den möglichen Gefahren einer Mitgliedschaft zu warnen.

Als ein besonderes Problemfeld wurde auf den Kindesmissbrauch innerhalb dieser Gruppe hingewiesen. Eine amerikanische Aussteigerin prangert diesen Missbrauch auf der Homepage „Schweigende Lämmer“ an und spricht von über 23 700 Fällen, die in einer internen Datenbank erfasst seien (www.silentlambs.org). Nachdem die Wachtturm-Gesellschaft schon 2012 in einem Fall sexuellen Missbrauchs zu einem Schadensersatz von 28 Millionen US-Dollar verurteilt worden war, muss die Gesellschaft nach dem Urteil eines kalifornischen Gerichts im Oktober 2014 in einem weiteren Fall 13,5 Millionen US-Dollar zahlen. Eine amerikanische Anwaltskanzlei führt elf weitere ähnlich gelagerte Verfahren gegen die Wachtturm-Gesellschaft.

Seit Bekanntwerden der Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland Anfang 2010 hat sie und haben auch evangelische Landeskirchen Expertenkommissionen eingesetzt, um effektive Maßnahmen zur Intervention, Aufklärung und Aufarbeitung des geschehenen Unrechts in die Wege zu leiten. Beispielsweise hat die Nordkirche im Oktober 2014 die Ergebnisse einer unabhängigen Kommission veröffentlicht, die zwei Jahre lang Missbrauchsfällen in dieser Landeskirche nachgegangen ist. Als Konsequenz wurde ein fachlich qualifiziertes Beschwerdemanagement eingerichtet, das eine externe Ombudsstelle ergänzt. Neben einer zentralen Meldestelle sollen zudem Kriseninterventionsteams aus erfahrenen Fachkräften zum Einsatz kommen, um vor Ort die Soforthilfe für Betroffene und Verantwortliche zu übernehmen. Die seit 2013 bestehende Koordinierungsstelle der Nordkirche soll – orientiert an Empfehlungen der unabhängigen Kommission – die Aufgaben einer „Arbeitsstelle gegen sexualisierte Gewalt“ in ihr Konzept aufnehmen. So sollen Experten mit psychosozialer Fachkompetenz die akute Krisenintervention sowie die Unterstützung Betroffener und Verantwortlicher fachlich absichern.

Eine derartige Transparenz und das Bemühen um Veränderung sind bei der Wachtturm-Gesellschaft leider nicht festzustellen.


Michael Utsch