Islam

Islamischer Gebetsruf in Gladbeck

Seit Ende April 2015 ertönt vom Minarett der DITIB-Moschee im nordrhein-westfälischen Butendorf (Gladbeck) von montags bis freitags einmal täglich der islamische Gebetsruf über Lautsprecher. Der Integrationsrat der Stadt Gladbeck begrüßte den Schritt ausdrücklich. Vertreter christlicher Gemeinden kritisierten das intransparente Vorgehen. Man war nicht informiert worden, sondern erfuhr aus der Presse von dem Vorhaben. In einem Schreiben zeigte sich der CDU-Stadtverband irritiert und wies darauf hin, die Erlaubnis zum Moscheebau sei seinerzeit erteilt worden, weil die Moscheegemeinde öffentlich erklärt habe, dass sie „auf den Gebetsruf verzichten“ werde. Viele Beteiligte hätten sich zweifellos eine breitere öffentliche Diskussion im Vorfeld und eine einvernehmliche Lösung gewünscht.

Lautsprecheranlagen an Moscheen sind nicht genehmigungsbedürftig im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Der Gebetsruf des Muezzins kann wie das kirchliche Glockengeläut nur bei Kollision mit anderen Menschenrechten rechtlich eingeschränkt werden, etwa wenn Lärmschutzbestimmungen nicht eingehalten werden oder bei Beeinträchtigung der „negativen Religionsfreiheit“ (des Grundrechts, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben).

Mitte der 1980er Jahre wurde der erste öffentliche Gebetsruf in Düren nach einer Klage der DITIB-Moschee durchgesetzt. Zuletzt wurde er in Oer-Erkenschwick (nahe Recklinghausen) im Oktober 2014 eingeführt. Davor im Juni 2013 in Wipperfürth, Anfang 2013 in Eschweiler bei Aachen, jeweils in einer DITIB-Moschee. Damals äußerte der DITIB-Vorsitzende Izzet Er: „In den Städten wie Istanbul, Izmir, Antakya usw. (dürfen) die Kirchen öffentlich zum Gottesdienst läuten. Dies ist Ausdruck eines vitalen christlichen Gemeindelebens und gelebter Toleranz. Dass der Ruf des Muezzins zum Freitag öffentlich gehalten werden kann, ist ein Zeichen von Teilwerdung und Normalität, ein Zeichen für gelebte Zugehörigkeit und Toleranz. So danken wir all Jenen, die dies ermöglicht haben und damit das vitale Zusammenleben fördern.“ Die Kölner DITIB-Zentrale verfolge aber nicht die Absicht, den lautsprecherverstärkten Gebetsruf auf alle Moscheen auszuweiten, zitiert der evangelische Pressedienst den DITIB-Generalsekretär Bekir Alboğa. „Doch wenn die Gemeinden vor Ort das anstreben und eine Möglichkeit seitens der Kommune angeboten wird, freuen wir uns.“

Der islamische Gebetsruf erschallt einmal wöchentlich oder bis zu fünfmal täglich in schätzungsweise 15 bis 20 Städten in Deutschland, z. B. in Dortmund, Marl, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Bochum, Siegen, Oldenburg, Schleswig und Rendsburg (hier in einer Moschee der IGMG).

Der immer arabisch vorgetragene Gebetsruf (Adhan/Ezan) ist ein notwendiger Bestandteil des islamischen Pflichtgebets, das fünfmal täglich zu verrichten ist. In seiner Hauptform lautet er übersetzt: Allah ist größer (oder: am größten) (4x) – Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt (2x) – Ich bezeuge, dass Muhammad Allahs Gesandter ist (2x) – Auf zum Gebet! (2x) – Auf zum Erfolg (oder: Heil)! (2x) – Allah ist größer (2x) – Es gibt keinen Gott außer Allah.

Unmittelbar vor dem Gebet erfolgt der fast gleichlautende zweite Gebetsaufruf (Iqama) in der Moschee.

Der Adhan ist islamrechtlich als „sehr wünschenswert“ empfohlen (sunna mu’akkada), aber für keine Rechtsschule unabdingbare individuelle Verpflichtung. Er muss für die Gültigkeit des Gebets auch nicht (etwa mit Lautsprechern) verstärkt werden. Viele muslimische Autoritäten vertreten die Ansicht, dass der Gebetsruf in der Öffentlichkeit nur für Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung gilt. Einige halten die Möglichkeiten, die für jeden Ort genau festgelegten Gebetszeiten dem Internet oder entsprechenden Kalendern bzw. Tabellen zu entnehmen oder sich den Gebetsruf per SMS schicken zu lassen, für völlig ausreichend. Adhan und Iqama werden innerhalb der Moschee vorgetragen.

Der Wortlaut des Muezzinrufes formuliert explizit den Kern und den Anspruch des islamischen Glaubens in Gestalt des Glaubensbekenntnisses. Abgesehen davon, dass die Lautsprecherverstärkung nur sinnvoll sein kann, wenn sie vom Großteil der Gläubigen zu hören ist, wird durch sie eine Situation geschaffen, in der die Anwohner dem öffentlichen Bekenntnis des islamischen Glaubens ausgesetzt sind, ohne ausweichen zu können. Damit rückt das politische und gesellschaftliche Interesse in den Blick, das dem Islam durch die Ausrufung des Bekenntnisses öffentlich Gehör verschaffen will. Das liturgische Glockengeläut christlicher Kirchen unterscheidet sich vor allem dadurch, dass es nicht als Teil des Gebets aufgefasst werden kann und über die Einladung zum Gottesdienst hinaus keine inhaltliche Botschaft proklamiert.


Friedmann Eißler