Frankreichs Sektenbekämpfungsstelle Miviludes wird aufgelöst

Im Oktober 2019 gab die französische Regierung bekannt, dass die 2002 gegründete staatliche Stelle zur Sektenbekämpfung, die bislang direkt dem Premierminister unterstellt war, künftig verkleinert und ins Innenministerium eingegliedert wird. Schon im Mai 2017 hatte ein Bericht des Rechnungshofs eine Zusammenlegung und eine Verkleinerung der Arbeitsstelle angeregt. Die jetzige Maßnahme ist zwar offiziell nur eine Umstrukturierung, wird aber vielerorts als Auflösung und von Kritikern als das Ende des Kampfes gegen Sekten interpretiert. Die Regierung teilte mit, die Miviludes werde mit einer Arbeitsstelle gegen Radikalisierung im Innenministerium verschmolzen (Comité Interministériel de Prévention de la Délinquance et de la Radicalisation, CIPDR). Dabei werden von derzeit über einem Dutzend Mitarbeitern nur drei übernommen.

Kritiker bemängelten daraufhin, der Kampf gegen Sekten sei nicht identisch mit Radikalisierungsprävention, da Sektenphänomene nicht nur in religiöser Form aufträten, sondern auch in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen, Sport. Mit der Verkleinerung und Zuordnung zu einem bestimmten Ministerium werde die bisherige Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden für Justiz, Inneres, Gesundheit und Bildung unmöglich.

Laut ihrer Selbstvorstellung „beobachtet und analysiert [die Miviludes] sektiererische Phänomene, koordiniert die offiziellen Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung sektiererischer Abweichungen und informiert die Öffentlichkeit über Risiken und Gefahren“. Leitend ist dabei nach eigenen Angaben das Wohl des Einzelnen, soweit die geistige Freiheit und körperliche Gesundheit durch Sekten gefährdet würden (Homepage der Miviludes: www.derives-sectes.gouv.fr). Die Miviludes arbeitete dabei eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie „Eltern- und Betroffeneninitiativen“ zusammen, die einen ausgeprägten Gefahrendiskurs gegenüber „Sekten“ pflegten. Jährlich beantwortete sie nach eigenen Angaben etwa 2000 Anfragen. Ihr wichtigster Gegner war jahrelang Scientology, und bis heute ist man stolz, eine Verurteilung der Gemeinschaft wegen organisierter Bandenkriminalität vor einem französischen Gericht erreicht zu haben. Durchschnittlich hundert Strafverfahren pro Jahr löste die Miviludes aus. In den letzten Jahren war man verstärkt gegen pseudowissenschaftliche esoterische Angebote im Bereich Gesundheit vorgegangen und hatte sich insbesondere mit der anthroposophischen Medizin angelegt.

Der ehemalige Leiter Georges Fenech erklärte die jetzige Entscheidung als „Katastrophe mit unabsehbaren Konsequenzen. Die Miviludes ist eine Einrichtung, um die uns die Welt beneidete.“ Allerdings wurde die Einrichtung im Ausland durchaus ambivalent betrachtet, und auch in Frankreich zeigten seit Jahren zurückgehende Budgets einen abnehmenden politischen und gesellschaftlichen Rückhalt für die Arbeit. Eine staatliche Überwachung von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften gab es in dieser Form nur in Frankreich und Belgien. Sie war auch ein Hinweis darauf, dass die berühmte „Laïcité“ (französische Form der Trennung von Kirche und Staat) oft religionsfeindliche Züge annahm. Insbesondere die ersten Jahresberichte der Miviludes erfuhren scharfe Kritik, weil dort auf einer Art „Schwarzliste“ Dutzende kleiner Religionsgemeinschaften bis hin zu lange etablierten Freikirchen auftauchten.

Dementsprechend hatte es denn auch schon seit Jahren grundsätzliche Zweifel an der Daseinsberechtigung der Arbeitsstelle gegeben. Während die Miviludes davon ausging, dass ca. 500 000 Franzosen in sektiererischen Strukturen lebten, hatte Emmanuelle Mignon, Stabschefin des damaligen Präsidenten Sarkozy, schon 2008 im Interview erklärt: „Die Sekten sind in Frankreich ein nichtexistentes Problem“ und gefragt, ob Scientology – in Amerika als Religion anerkannt – denn wirklich ein staatsgefährdendes Thema sei. Auch wenn sie später angesichts öffentlicher Kritik zurückruderte, waren diese Äußerungen repräsentativ für eine immer vorhandene liberale Grundsatzkritik an der Miviludes. Insofern kommt der jetzige Schritt für Insider weniger überraschend, als er scheinen mag.
 

Kai Funkschmidt