Pascal Bruckner

Der eingebildete Rassismus. Islamophobie und Schuld

Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus. Islamophobie und Schuld, Edition Tiamat, Berlin 2020, 240 Seiten, 24 Euro.

Der in Frankreich bekannte Romancier und Essayist Pascal Bruckner wird der postmarxistischen Schule der „Nouvelle Philosophie“ zugerechnet, die ihre Wurzeln im Maoismus, der Foucault-Schule und dem Essentialismus hat. Sie trat seit den 1970er Jahren, ausgehend von Frankreich, mit der Kritik ebenso an links-philosophischen Modellen wie an etablierter Politik hervor, ihren jeweiligen Ideologien stärker verpflichtet zu sein als den Idealen des Humanismus und der Aufklärung. Innerhalb der Bewegung etablierte sich einerseits eine Missbilligung des „Kulturrassismus“ – der Annahme einer Ungleichwertigkeit der Kulturen –, andererseits auch des Multikulturalismus. Bruckners Essay ist als dezidierte Kritik an linkem Multikulturalismus, dem Kampfbegriff der Islamphobie sowie dem Vorwurf des in westlichen Gesellschaften angeblich vorherrschenden antimuslimischen Rassismus zu verstehen. Der erstmals 2017 auf Französisch publizierte Titel erschien nun auch in deutscher Sprache.

Bruckners zentrale These lautet, dass der Kampfbegriff der Islamophobie, der westlichen Gesellschaften pauschal Rassismus und Voreingenommenheit gegen den Islam und Muslime unterstellt, seinerseits ein „globaler Rassismus“ ist, der auf einer Instrumentalisierung westlicher Schuldgefühle gegenüber dem einstmals kolonisierten Nahen Osten aufbaut. Letztlich, so Bruckners Quintessenz, unterstellt man Europäern mit dem Vorwurf der Islamophobie den Hass auf Muslime, den diese selbst dem Westen entgegenbringen. Dabei macht der Vorwurf der Islamophobie für Bruckner eine konstruktive Aufarbeitung von Missständen im Zusammenhang mit der Migration aus dem Nahen Osten unmöglich. Er führt zu Denk- und Sprechverboten und stellt damit den Islam als einzige Religion unter die Käseglocke der Unantastbarkeit, während das Juden- und Christentum seit Jahrhunderten teils drastischer Religionskritik, Spott, Ablehnung, der Säkularisierung und dem Zwang zur Selbstreflexion ausgesetzt seien. Auf diese Weise, so Bruckner, werden Muslime in Europa von ihrer Verantwortung für die im Namen des Islam verübten Verbrechen freigesprochen.

Der Essay ist in eine Einleitung und fünf Teile gegliedert. In der Einleitung mit einer sehr kurzen Geschichte des Begriffs der Islamophobie formuliert Bruckner bereits grundlegende Kritikpunkte an seiner Verwendung: Für ihn vermengt er eine – verwerfliche – Voreingenommenheit oder Verfolgung von Muslimen mit der zulässigen, ja sogar notwendigen Kritik an der Religion des Islam. Letztere ist für ihn in offenen Gesellschaften unverzichtbar. Dabei gilt ihm nicht erst ein Angriff auf einen Gläubigen als Verbrechen, sondern auch jede Beleidigung, etwa muslimischer verschleierter Frauen, jede Beschimpfung und jede Attacke, die eine harte Bestrafung erfordern. Bruckner befürwortet auch kein Kopftuchverbot (aus seiner Sicht „absurd“) und verurteilt die Diskriminierung von Minderheiten entschieden – noch entschiedener aber die Geiselnahme einer Mehrheit durch eine Minderheit mit dem Vorwurf des Rassismus und der Islamophobie, der in keiner Weise hilfreich ist, da er eine Ächtung berechtigter Religionskritik darstellt. Für Bruckner ist der Kampf um die Sprache deshalb auch ein Kampf um die Inhalte, die sich über die Sprache in den Köpfen der Menschen festsetzen. So ist es das Anliegen dieses Buches, die Wirkmächtigkeit des Islamophobie-Begriffs herabzusetzen, oder, wie Bruckner formuliert: „den Hexenprozess zu sabotieren und sich der Erpressung zu verweigern“ (12).

Der erste Teil widmet sich der Konstruktion der Begriffe Islamophobie und antimuslimischer Rassismus. Der Ausdruck Islamophobie vermischt eine Religion mit ihren Anhängern und bleibt daher nebulös. Zugleich ist er für Bruckner aber auch die „Fabrikation eines Gesinnungsverbrechens“ und als solches abzuweisen. Trotz des Verbots, den Begriff der Rasse in Politik und Gesellschaft zu verwenden, ist für ihn das Denken in rassistischen Kategorien auf dem Vormarsch, da es heute auch in die Kultur, die Religion, das Denken und die Essgewohnheiten vordringt, wenn demjenigen, der bestimmte Vorlieben und Orientierungen nicht übernehmen möchte, Rassismus unterstellt wird, weil deren Befürworter sich dadurch angegriffen fühlen. Dieses Angegriffensein und damit Emotionen statt Fakten werden zur Richtschnur für die Schuldzuweisung des Rassismus oder, wie Bruckner urteilt, geradezu zur Zivilreligion. Die Folgen solcher Mechanismen sind Tabus, dann Denk- und Sprechverbote, denen Einschüchterung und Verengung der Debatten folgen. Gleichzeitig aber werden in denselben Diskursen Identitäten von Muslimen zu unveränderlichen Charakterisierungen ihrer Herkunft und ihrer Eigenschaften. Dabei handelt es sich letztlich um koloniale Stereotypen, da man Muslime auf ihre muslimische Identität reduziert und ihnen eine wirkliche Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft verwehrt. So mutiert die Zugehörigkeit zu einer Religion zur Rassenzugehörigkeit und die bloße Verwendung des Begriffs „Islam“ zum antimuslimischen Rassismus. Unerklärlich sei nur, so Bruckner, dass dieser Mechanismus nur beim Islam greife, während trotz intensiver Verfolgung von Christen in zahlreichen Ländern und der Ablehnung und Verspottung des Christentums weder jemals von Christianophobie gesprochen werde noch die vielen Opfer von Christenverfolgung angemessen wahrgenommen würden.

Teil zwei beleuchtet die „blinden Flecken“ der politischen Linken in Bezug auf die zu Teilen gescheiterte Integration und die Gewaltausübung im Namen des Islam. Bruckners Analyse lautet, dass das Ausblenden der mit dem Islam oder Muslimen in Zusammenhang stehenden Problematiken durch linksgerichtete Stimmen in einer Verharmlosung des Islamismus gründe. Diese Verharmlosung sei in der übereinstimmenden Stoßrichtung beider Bewegungen begründet: einer revolutionären Zerstörung der westlichen Welt, ihrer Lebensordnung, ihres Bürgertums und Kapitals. Bruckner bescheinigt der Linken ein regelrechtes „Versagen vor dem Phänomen des islamistischen Terrorismus“ (70) und bezeichnet sie als „Halal-Linke“. Beweis dafür ist für Bruckner die Relativierung von Gewalttaten gegen Frauen seitens des linksgerichteten Spektrums. Sie kam etwa zum Ausdruck, als dessen Protagonisten verlauten ließen, dass die Auffassung, sexuelle Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015 seien auf die Ankunft von Migranten zurückzuführen gewesen, „rassistischer Mist“ sei (60).

Bruckner führt für seine These auch Pressepublikationen anlässlich der Terroranschläge in Frankreich 2015 an, die etwa Cafés als Orte der Erniedrigung und Diskriminierung für Migranten bezeichnet hatten, die Migranten „traumatisiert“ und „sozialer Gewalt“ ausgesetzt hätten (73); auch die französische Lebensart sei doch letztlich eine Form des Terrorismus – aus Bruckners Perspektive eine groteske Argumentation. Wenn die religiösen Motive islamistischer Attentäter geleugnet und sie auf soziale Faktoren der Ausgrenzung und Chancenarmut oder auf psychische Störungen reduziert werden, stellt das für Bruckner eine kaum erträgliche Relativierung ihrer Verbrechen dar, die für ihn letztlich einem gönnerhaften Paternalismus entspringt.

Bemerkenswert ist, dass Bruckner auf der einen Seite die Religion als Quelle extremistischen Handelns ausmacht, dann aber letztlich doch subsumiert, Dschihadisten seien „unordentliche Nazis ... Söldner des Todes, Zombies ohne Gesetz“, und es seien der „abwegige Glaube des Nihilismus“ und seine Todeskultur, die Extremisten antreiben (149) – eine These, die in der Islamismusforschung von Anfang an Außenseiterposition war und heute weithin überholt ist. Die fehlende Vertrautheit mit Begründungen für Gewalt aus der islamistischen Theologie wird hier sehr deutlich.

Auch rutscht Bruckner ab und zu in die Rolle des Warners vor allen monotheistischen Religionen, von denen er glaubt, dass sie die Errungenschaften der Moderne angreifen. Dabei arbeitet er sich an den der westlichen Welt historisch und kulturell zugrunde liegenden religiös-christlichen Wurzeln ab, preist dann aber doch nicht nur das intellektuelle, philosophische und literarische Erbe, sondern auch ausdrücklich die Spiritualität Europas und Amerikas im Gegensatz zu einem fundamentalistischen Islam. In diesem Zusammenhang tritt allerdings Bruckners europazentrische Sicht deutlich zutage, wenn er das Christentum als im Niedergang begriffen sieht. Dies mag man aus der fortschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt vielleicht schließen, im weltweiten Maßstab jedoch, insbesondere für Afrika und Asien, trifft dies keinesfalls zu. Und auch wenn Bruckner konstatiert, dass aus Angst vor einer Verurteilung für Apostasie kaum Muslime zum Christentum konvertieren würden, ist das in keiner Weise eine zutreffende Beschreibung der heutigen Situation im Nahen Osten.

Im dritten Teil beleuchtet Bruckner die Gleichsetzung von Islamophobie mit Antisemitismus, von Diskriminierungserfahrungen muslimischer Zuwanderer in Europa mit den Judenverfolgungen des Dritten Reiches: Ein solcher Vergleich stellt für Bruckner eine geschichtsvergessene Fehldeutung und eine Form des krankhaften Viktimismus dar. Er kritisiert Aktionen wie etwa die des Schweizerischen Zentralrats der Muslime 2011, Aufkleber mit einem achtzackigen gelben Stern und der Aufschrift „Moslem“ drucken zu lassen, um der jüdischen Gemeinschaft das Vorrecht auf das alles überragende Verbrechen der Shoa streitig zu machen. Dass sich manche Muslime als die „Juden von heute“ bezeichnen, liegt für Bruckner in einem als antisemitisch einzustufenden Neid auf das „Privileg“ von Auschwitz begründet; wer so argumentiert, nimmt die Opferrolle ein, um sich als vermeintlich Unterdrückter ins Recht zu setzen.

Teil vier behandelt die Frage, wie ein gelingendes Zusammenleben von Christen und Muslimen (vor allen Dingen in Frankreich) aussehen könnte. Für Bruckner ist dabei die Thematik der gemeinsam geteilten Werte und Ziele zentral wie auch die Bejahung von Demokratie, ein gemeinsamer Patriotismus, Selbstverwirklichung und das Streben nach Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse. Der Multikulturalismus dagegen schwafle von der Anerkennung aller, basiere aber tatsächlich auf einer „Apartheid“ und Mumifizierung der Migranten als die „anderen“. Kulturen und religiöse Bekenntnisse sind für Bruckner zu schützen, nicht aber deren Forderungen nach einer herausgehobenen, unantastbaren Stellung oder besonderen Privilegien im Namen der Religion, mit denen sie sich über die geltenden Gesetze stellen. Schlüssel für ein gelingendes Zusammenleben könne gerade nicht das Pochen auf Privilegien sein, sondern das Einstehen für gemeinsame Werte und Ziele einer Gesellschaft.

Teil fünf zitiert zunächst unter der Überschrift „Welche Zukunft hat Gott?“ einige islamische Persönlichkeiten, die gegenüber der islamischen Gemeinschaft den Vorwurf der fehlenden Aufklärung erhoben und beklagt haben, dass die islamische Welt von Chaos und Gewalt geprägt sei. Hier wird Bruckner nochmals besonders drastisch, wenn er polemisiert, dass der Islam von „Gestörten, Mördern, Gaunern und verlorenen Soldaten der Welt“ (165) für eine Kultur des Todes in Geiselhaft genommen werde, die zunehmend an Boden gewinne. Was wäre, wenn diese Kultur des Todes eine Mehrheit würde? Bruckner ruft nach einer Transformation des Islam, einer Revision traditioneller Koranhermeneutik, die Scharia-Strafen sanktioniert und Andersdenkende als Apostaten verfolgt. Zwar seien hier Muslime in der Pflicht, die westliche Gesellschaft sei jedoch aufgerufen, intellektuellen Andersdenkenden in ihrem Reformbemühen jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen, damit der Islam auf eine private Religion reduziert werden könne, die ihren weltlichen Machtanspruch aufgibt. Leider nimmt Bruckner hier nicht die heute ebenfalls häufiger und lauter vernehmbare Gegenbewegung von Männern und Frauen in islamisch geprägten Gesellschaften in den Blick, die eine progressive Koranauslegung, Menschen- und Frauenrechte wie auch Religionsfreiheit begründen.

In einer abschließenden Betrachtung geht Bruckner nochmals der Frage nach, wie ein Korrektiv zur beschriebenen Problemlage aussehen könnte: Ein mutiges Entgegentreten des aufgeklärten Europa gegenüber den radikalen Vertretern des Islam und seinen Verteidigern ist für ihn ebenso alternativloses Gebot wie eine Zurückweisung erpresster Privilegien. Voraussetzung für diese Art Widerstand ist für ihn jedoch die Überwindung des europäischen Selbsthasses. Dann könnte aus einer neu gewonnenen Position der Stärke heraus der islamische Extremismus in seine Schranken gewiesen werden, sodass die Relativierung der islamistisch begründeten Verbrechen und das „Stockholm-Syndrom“ der Mehrheitsgesellschaft ein Ende finden könnten.

Der Essay Bruckners ist ein sprachgewaltiger, flammender Appell, immer pointiert und teilweise dezidiert polemisch. Wuchtig bis empört wird so manche These formuliert oder besser: herausgeschleudert. Im Kern können dem Essay manche nachdenkenswerte Punkte angesichts mancher Defizite in der Bearbeitung von Fehlentwicklungen der Migration oder des vernachlässigten politischen Augenmerks auf einem nicht gewalttätigen Islamismus nicht abgesprochen werden. Wenn aber Bruckner beklagt, es dürfe ja im öffentlichen Sprachgebrauch keine Rassen mehr geben, „bis auf eine: die sich wie Ungeziefer vermehrende Rasse der Rassisten, die eine Umerziehung nötig hat“ (16), dann weckt das zumindest bei deutschen Lesern ungute Erinnerungen.

Gerade in Bezug auf die Darstellung der islamischen Gemeinschaft wäre eine schärfere Unterscheidung zwischen Funktionären, Propagandisten, Vertretern einer islamistischen Ideologie und freiheitsliebenden, Demokratie und Gleichberechtigung lebenden Muslimen in westlichen Gesellschaften nötig gewesen; zu oft geht es um „die Muslime“ und „den Islam“. Akademische Differenzierung ist allerdings gar nicht Bruckners Anliegen; eher Aufrüttelung und Aufruf. Die fehlende Vertrautheit mit der innerislamischen Auseinandersetzung über die Frage, ob der Islam nur eine Religion sei oder nicht doch Gesellschaft und Politik prägen müsse und wie eine glaubensbasierte Praxis des Islam in westlichen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts aussehen solle, wird hier in keiner Weise abgebildet; darüber hinaus ist manche Aussage auf den französischen Kontext bezogen, die Kolonialzeit und die daraus erwachsenden Spannungen zu nordafrikanischen Muslimen in der dritten und vierten Generation. Eine Auseinandersetzung mit Bruckners Kernaussagen jenseits von Polemik und manchen Pauschalisierungen ist das Buch dennoch wert.


Christine Schirrmacher, Bonn, 01.01.2022