Vorwurf Volksverhetzung: Der Bremische Pastor Olaf Latzel und die Grenzen der Toleranz

Im März hatte der Bremer Staatsschutz Ermittlungen wegen verschiedener Attacken auf den evangelikalen Pastor Olaf Latzel und seine Bremer St.-Martini-Gemeinde aufgenommen. Nun ermittelt er gegen Latzel selbst wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung, und die Kirchenleitung der Bremischen Evangelischen Kirche erwägt ein Disziplinarverfahren. Martin Fritz schildert einen aktuellen Fall ideologischer Polarisierung.

Martin Fritz
Blick auf die Altstadt von Bremen von der Weser aus gesehen, im Vordergrund ein Dreimaster

Spätestens 2015 wurden die evangelikale Bremer St.-Martini-Gemeinde und ihr Pastor Olaf Latzel deutschlandweit bekannt. In einer Predigt über die Erzählung von Gideons Götzenzerstörung im alttestamentlichen Richter-Buch hatte der heute 52-Jährige sich in scharfen Worten von interreligiösen Dialogbestrebungen distanziert: „Gott sagt: umhauen, verbrennen, hacken, Schnitte ziehen“, so Latzel mit Blick auf nichtchristliche Religionssymbole in christlichen Wohnungen. Insbesondere hatte er sich dabei auch gegen eine interreligiöse Annäherung an den Islam ausgesprochen: „Es gibt nur einen wahren Gott. Wir können keine Gemeinsamkeit mit dem Islam haben. Das ist Sünde, das darf nicht sein, davon müssen wir uns reinigen.“ Allerdings hatte Latzel auch herausgestellt, dass wir trotz der religiösen Differenzen „den Muslimen in Liebe und Nähe zu begegnen haben. […] Und wenn sie verfolgt werden, dann haben wir uns vor sie zu stellen. Das ist unsere Aufgabe als Christen.“1

Die scharfen Abgrenzungsäußerungen Latzels lösten in der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) Entsetzen aus, ihr damals leitender Theologe, Renke Brahms, sprach von „geistiger Brandstiftung“. Beim Bremischen Bürgermeister Jens Böhrnsen erweckten sie den Eindruck, es werde hier zum „Religionskampf“ aufgerufen. Die Bremische Bürgerschaft verurteilte sie in einer parteiübergreifenden Entschließung „gegen Hasspredigten und Diskriminierung von der Kanzel“. Die Bremer Staatsanwaltschaft prüfte die Einleitung eines Vermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung. Der Entscheid fiel negativ aus, die Aussagen seien, so die juristische Einschätzung, durch die Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt.

Seit Anfang März dieses Jahres sind der Pastor und seine Gemeinde nun erneut in die Schlagzeilen geraten. Der Grund war zunächst, dass sie mehrfach das Ziel von Attacken Unbekannter wurden.2 Latzel berichtet, sein Auto sei dreimal mutwillig zerkratzt worden. Schaukasten und Kirchentür von St. Martini seien mit Parolen beschmiert („god is gay“ u.a.), Kondome und ein Dildo auf das Kirchengelände geworfen worden. Ein Gottesdienst wurde von 40 bis 50 Personen gestört, die vor der Kirchentür Formulare für einen Kirchenaustritt verteilten. Außerdem wurde ein Eimer mit 10 Liter Joghurt gegen die Kirchentür geworfen. Ferner gab es den Versuch, Live-Übertragungen von Gottesdiensten aus St. Martini mit Parolen und Porno-Links zu stören. Anfang April wurde schließlich das Schild an der Kirche mit der Aufschrift „Jesus ist auferstanden“ übersprüht, und in einen Ständer mit missionarischen Kleinschriften wurde Farbe gekippt. Latzel erstattete wegen der Angriffe Strafanzeige, der Bremer Staatsschutz, die Abteilung des Landeskriminalamts für Straftaten mit politischer Motivation, hat Ermittlungen aufgenommen.

Ende April wurde dann bekannt, dass der Staatsschutz neuerlich dem Vorwurf der Volksverhetzung gegen Latzel nachgehe, diesmal in einem förmlichen Ermittlungsverfahren.3 Es liege eine Strafanzeige gegen Latzel vor, wegen Aussagen zur Homosexualität, die der Pastor bei einem Ehevorbereitungsseminar im Oktober getroffen und danach auf seinem Youtube-Kanal eingestellt hat. In den offenbar etwas wirren Einlassungen, die auch Äußerungen zum dritten Geschlecht und dem „ganzen Genderdreck“ enthalten, führt Latzel aus, Homosexualität verstoße gegen die göttliche Schöpfungsordnung. Es werden von ihm Aussagen der Bibel angeführt, wonach Homosexualität „ein todeswürdiges Verbrechen“4 und „ein Gräuel“ sei (Lev 18,22; 20,13), und es wird von der „teuflischen Homolobby“5 gewarnt: „Überall laufen die Verbrecher rum vom Christopher Street Day.“ Die beiden Aussagen, in denen homosexuelle Menschen bzw. Homosexuellen-Aktivisten als „Verbrecher“ tituliert werden, gaben den Ausschlag für die Anzeige. (Inzwischen ist die Tonaufnahme des Eheseminars auf Youtube nicht mehr abrufbar.)

Die Leitung der BEK verurteilte die Äußerungen Latzels „auf das Schärfste“. Er habe Menschen herabgesetzt und in ihrer Würde verletzt. Die Bremische Kirche aber stehe „klar an der Seite homosexuell lebender Menschen“. Die Kirchenleitung zitierte Latzel zunächst zu einem Dienstgespräch. 50 Beschäftigte der Bremischen Kirche haben sich unterdessen in einer öffentlichen Erklärung „Für Demokratie, Respekt und Verständigung“ von ihrem Kollegen Latzel distanziert.6 Homosexualität gehöre nach heutigem Wissen „als eine von mehreren Konstanten zur Grundausstattung der Menschheit“, die Liebe zwischen homosexuell veranlagten Menschen verdiene daher ebenso Respekt wie die Liebe zwischen Heterosexuellen. Nach dem geläufigen Verfahren „fundamentalistischer Hassprediger“ werde von Latzel „die befreiende Botschaft von der Liebe und Verständigung in ihr Gegenteil verkehrt, um bestimmte Menschengruppen zu verteufeln und auszugrenzen“. Dazu diene ein „eher willkürlicher Umgang mit biblischen Texten“, der aber mit dem Anspruch der „Bibeltreue“ auftrete. Ähnlich äußerte sich der leitende Theologe der BEK, Bernd Kuschnerus. Der EKD-Ratsvorsitzende Henrich Bedford-Strohm bezeichnete Latzels Aussagen als „unerträglich“.7 

Inzwischen wurde auch von der Homosexuellen-Initiative Christopher Street Day (CSD) Strafanzeige gegen Latzel gestellt: „Die verbal-aggressiven Übergriffe Latzels sind aus Sicht des Christopher Street Days nicht mal ansatzweise mit dem Anspruch der christlichen Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit vereinbar“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des CSD Bremen.8 

Pastor Latzel hat sich in einer Erklärung gegen den „Vorwurf der Hetze“ verteidigt und dabei die missverständliche Wortwahl der betreffenden Äußerungen bedauert: „In meinem Vortrag sprach ich an einer Stelle von ‚Verbrechern‘. Dieses bezog sich nicht auf homosexuell lebende Menschen, sondern auf militante Aggressoren, die uns als Gemeinde in den letzten Jahren immer wieder angegriffen und gotteslästerlich diffamiert haben. […] Wenn dadurch jedoch für einige Außenstehende der Eindruck entstanden sein sollte, dass ich generell alle Homosexuellen für Verbrecher hielte, so will ich mich dafür entschuldigen und klarstellen, dass dieses selbstverständlich nicht meine Meinung ist.“9 Latzel bekräftigte dabei freilich noch einmal seine theologische Beurteilung der Homosexualität. „Wir haben in unserer Gemeinde St. Martini homosexuell empfindende Glaubensgeschwister, die selbstverständlich Teil unserer Gemeinschaft sind. Homosexuelle sind in St. Martini, wie jeder andere Mensch, willkommen.“ Aber es gelte neben „dem eindeutigen ‚Ja‘ zum Sünder“ das „ebenso eindeutige ‚Nein‘ zur Sünde“, also auch „das biblisch gebotene ‚Nein‘ zu Geldgier, zu Ehebruch, zu Neid, zu Lieblosigkeit, zu Homosexualität, zu Jähzorn, zu Rache, zu Geiz, zu Trunkenheit“ etc. „Dieses eindeutige Zeugnis der Bibel kann und werden wir als Gemeinde St. Martini und auch ich als Pastor nicht anders verkündigen und lehren, auch wenn man dadurch in weiten Teilen der verfassten Kirche, der Politik und der Presse zunehmend Ausgrenzung und Diffamierung erfährt.“ 

Wie schon in den Auseinandersetzungen von 2015 erhielt Latzel erneut ideologische Unterstützung aus evangelikalen Kreisen. So wurde von Jonas Eberhard, einem 24-jährigen Studenten an der Biblisch-Theologischen Akademie des Forums Wiedenest (Bergneustadt), eine Online-Petition an die BEK gestartet, die sich als „Solidaritätsbekundung“ für Latzel versteht und unter Berufung auf die in der Verfassung der BEK gewährte „Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit“ gegen seine Suspendierung ausspricht.10 Der Bremer Pastor komme mit seiner Haltung der „biblischen Verantwortung gegenüber Gott“ nach. Die Petition haben bisher gut 17.000 Personen unterzeichnet (Stand 19.5.20).

Daneben hat sich der Begründer des evangelikalen „Netzwerks Bibel und Bekenntnis“, Ulrich Parzany, in einem Statement an die Seite „unseres Mitglieds und Bruders Pastor Olaf Latzel“ gestellt. „Er ist als Freund der klaren und manchmal auch scharfen Worte bekannt. Das gefällt vielen nicht. Ich bin überzeugt: Wir brauchen heute seine Stimme.“ Die Stellungnahme schließt mit einem Wort aus den Seligpreisungen Jesu: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“ (Mt 5,11f) 11

Auch wohlmeinende Christenmenschen werden sich die Frage stellen, ob dem Bremer Pastor damit nicht etwas zuviel der Ehre zuteil wird. – Der Kirchenausschuss der BEK hat am 14. Mai einstimmig die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen Latzel beschlossen.

Martin Fritz

Anmerkungen
1 Die einschlägige Predigt vom 18.1.2015 ist dokumentiert bei https://www.evangelisch.de/inhalte/112787/03-02-2015/die-predigt-von-olaf-latzel-gideon-die-reinigung-von-den-fremden-goettern-lernen.
2 Vgl. idea-Pressedienst vom 6.4.2020 Nr. 73, S. 4; https://www.evangelisch.de/inhalte/168531/08-04-2020/attacken-auf-evangelisch-konservative-gemeinde-bremen.
3 Vgl. zum Folgenden epd-Zentralausgabe vom 27.4.2020 Nr. 81, S. 9.
4 Vgl. https://www.bremer-kirchenbuendnis-demokratie.de/.
5 Vgl. https://www.bremer-kirchenbuendnis-demokratie.de/
6 https://www.bremer-kirchenbuendnis-demokratie.de/
7 Vgl. https://www.katholisch.de/artikel/25510-kirche-eroeffnet-disziplinarverfahren-gegen-umstrittenen-pastor-latzel
8 https://www.csd-bremen.org/2020/pressemitteilung-29/
9 https://st-martini.net/. Vgl. epd-Zentralausgabe vom 27.4.2020 Nr. 81, S. 9; idea-Pressedienst vom 27.4.2020 Nr. 89, S. 2.
10 Vgl. https://www.openpetition.de/petition/online/solidaritaetsbekundung-mit-bremens-pastor-olaf-latzel. 
11 https://www.bibelundbekenntnis.de/aktuelles/druck-auf-pastor-olaf-latzel/

Ansprechpartner

Foto Dr. Martin FritzPD Dr. theol. Martin Fritz
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin