Verschwörungsdenken vorbeugen!

Zwischen Verschwörungsdenken und sektiererischen Gruppen gibt es Parallelen. Wie sich ihre Gruppendynamik, das Feindbild-Denken und das Erlösungsbewusstsein ähneln, beschreibt Michael Utsch in einem aktuellen Aufsatz.

Michael Utsch

In den letzten Jahren haben sich radikale Überzeugungen in unserer Gesellschaft in bedrohlichem Ausmaß eingenistet. Weil Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen, hat der Staat entsprechende Präventionsprogramme auf den Weg gebracht. Im Jahr 2019 wurde beispielsweise in den großen Bundesprogrammen „Demokratie leben“ und „Nationales Präventionsprogramm“ jeweils ein dreistelliger Millionenbetrag zur Förderung von Präventionsprojekten gegen islamistische Radikalisierung verwendet. Solche Initiativen sind wichtig, weil Wissen Aberglauben, Verschwörungserzählungen und religiösen Fundamentalismus entlarven kann. Zum Thema Verschwörungstheorien bietet die Bundeszentrale für politische Bildung mittlerweile eine große Auswahl an kostenlosen Materialien an. Viele Bundesländer unterstützen Projekte, die aus dem Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Vereine und staatlicher Institutionen entstanden sind und sich vor allem an Menschen richten, deren Angehörige oder Freunde Anhänger von Verschwörungserzählungen geworden sind.

Auch in der Beratungsarbeit bei Sekten- und Weltanschauungskonflikten gewinnt das sich ausbreitende Verschwörungsdenken an Bedeutung. Neben den kirchlichen Informations- und Beratungsstellen haben die drei staatlich mitfinanzierten „Sekteninfos“ in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin spezialisierte Beratungsformate und Präventionsangebote dazu eingerichtet. Sie beraten seit jeher auch Betroffene von christlichem Fundamentalismus, esoterischen Heilungsangeboten, destruktiven Kulten – und neuerdings eben auch von Verschwörungserzählungen.

In diesen Anlaufstellen können die zum Teil jahrzehntelangen Erfahrungen der Sektenberatung, etwa ausstiegswilliger Zeugen Jehovas, nun auch für Betroffene von Verschwörungsdenken genutzt werden. Die Gruppendynamik, das Schwarz-Weiß-Denken und das elitäre Bewusstsein in geschlossenen Gruppen und bei Anhängern von Verschwörungsdenken ähneln sich nämlich auf erstaunliche Weise, unabhängig vom unterschiedlichen religiös-weltanschaulichen Kontext. In der Regel verfügen die Mitarbeiterteams dieser Beratungsstellen über das notwendige religionskundliche und -psychologische Hintergrundwissen, um bedrohliche Erzählungen zu entlarven. Die notwendige Aufklärungs- und Beratungsarbeit bei Betroffenen von Verschwörungserzählungen kann von der langjährigen kirchlichen Beratungsarbeit profitieren.


Michael Utsch: „Mit Wissen gegen die Angst“ Herder Korrespondenz 4/2023, 33-35

Link:

https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2023/4-2023/mit-wissen-gegen-die-angst-praeventionsprogramme-gegen-verschwoerungstheorien/

Ansprechpartner

Foto Dr. Michael UtschProf. Dr. phil. Michael Utsch
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin