„Toleranz tut immer auch ein bisschen weh“: Juden und Muslime in interreligiösen Ehen

In den vergangenen Monaten fand im Jüdischen Museum Berlin eine Vorlesungsreihe mit dem Titel „Der Glaube der Anderen. Weltreligionen im Spiegel von Judentum und Islam“ statt. Die Abschlussveranstaltung widmete sich dem Thema „Interreligiöse Ehen“. Sowohl im Judentum als auch im Islam klaffen hierbei theologischer Anspruch und Lebenswirklichkeit teils weit auseinander.

Alexander Benatar
Zwei goldene Trauringe liegen auf einer aufgeschlagenen Bibel.

Seit November 2019 lädt das Jüdisch-Islamische Forum des Jüdischen Museums Berlin in unregelmäßigen Abständen zu einer „Dialogischen Ringvorlesung“ ein. Bis Februar fanden diese Vorlesungen unter der Überschrift „Der Glaube der Anderen. Weltreligionen im Spiegel von Judentum und Islam“ in der 2012 eröffneten Akademie des Jüdischen Museums statt. Seit Ausbruch der Coronapandemie im März kann man an den Abendveranstaltungen immerhin noch digital teilnehmen. Nach Vorlesungen, die sich dem jeweiligen Verhältnis von Judentum und Islam zu Christentum, Hinduismus und Atheismus widmeten, trug das abschließende Gespräch am Abend des 18. Juni den Titel „Bund der Ehe versus Bund mit Gott – Juden und Muslime in interreligiösen Ehen“. Als Referentinnen geladen waren die jüdische Kulturanthropologin und Psychoanalytikerin Madeleine Dreyfus sowie die muslimische Juristin Imen Gallala-Arndt.

Beide befassen sich schon seit einigen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema „Interreligiöse Ehe“. Dreyfus, Autorin des Buches „Ein ziemlich jüdisches Leben. Säkulare Identitäten im Spannungsfeld interreligiöser Beziehungen“ (Böhlau Verlag, 2016), näherte sich dem Phänomen bislang eher kulturwissenschaftlich; für Gallala-Arndt spielten interreligiöse Ehen dagegen vor allem im Rahmen von Rechtsgutachten eine Rolle, die sie für deutsche Gerichte zur Entscheidung interreligiöser Scheidungs- und Unterhaltsprozesse erstellte. Die Eingangsfrage, die den beiden Referentinnen gestellt wurde, lautete provokativ: „Muss man für eine interkonfessionelles Eheglück den eigenen Glauben relativieren?“

Imen Gallala-Arndt, derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen, stellte in ihrer Antwort zunächst heraus, dass jüdisch-muslimische Beziehungen zwar schon immer die Ausnahme waren, bereits im Mittelalter aber durchaus vorkamen, etwa auf der Iberischen Halbinsel. Anschließend erläuterte sie die Lage nach geltendem sunnitisch-islamischem Recht, bestehend aus auf der Grundlage von Koran und den Hadithen (überlieferten Aussprüchen des Propheten Mohammed). Hiernach bestand schon immer Konsens darüber, dass muslimischen Gläubigen eine Ehe mit Polytheisten verboten war. Ehen mit Angehörigen der sogenannten „Buchreligionen“ (arab. „Ahl al-kitaab“) Judentum und Christentum hingegen sind zumindest muslimischen Männern gestattet. Gemeinsame Kinder werden muslimisch erzogen. Zwischen den Ehepartnern besteht allerdings ein Erbhindernis, d.h. im Falle des Todes ihres muslimischen Ehemanns ist seine nichtmuslimische Frau nicht erbberechtigt. Hinter dieser Regelung, die bis heute die herrschende Meinung sunnitischer Rechtsgelehrter darstellt, steht nach Gallala-Arndt die patriarchale Vorstellung, dass sich in einer interreligiösen Ehe der Glaube des Mannes durchsetzen werde.

Zur Erläuterung der Situation im Judentum nahm Madeleine Dreyfus demgegenüber eine eher sozialhistorische Perspektive ein. Spätestens seit Ende des 7. Jahrhunderts hätten orthodoxe Rabbiner sich klar gegen jegliche Form religiös gemischter Ehen ausgesprochen. Tatsächlich seien die Endogamie und eine Einheit von Kollektiv und Individuum lange prägend für das jüdische Leben gewesen. Erst mit der Aufklärung und Entstehung des liberalen Judentums sei diese Einheit aufgebrochen worden, und die Halacha (das überlieferte jüdische Recht) sowie die Autorität der Rabbiner hätten an Bedeutung verloren. Seit dem 19. Jahrhundert gelte nun eher der Grundsatz: Man ist Bürger in der Öffentlichkeit und Jude zuhause. Dennoch gebe es weiterhin das Gefühl, interreligiöse Ehen bedrohten den Zusammenhalt des jüdischen Volkes, zumal die Idee einer „Jewish continuity“ gerade in Reaktion auf die Shoah noch einmal Auftrieb erhalten hätte. Ehen mit Nichtjuden gelten vor diesem Hintergrund vielfach noch immer als Abwendung vom Judentum. Da die jüdische Religion über die Mutter übertragen wird, seien solche Ehen zudem allenfalls jüdischen Frauen gestattet.
Nach diesen Ausführungen zum theoretischen Hintergrund interreligiöser Ehen in Islam und Judentum entspann sich zwischen den Referentinnen ein Gespräch über deren gelebte Praxis. Beide konstatierten für ihre jeweiligen Religionen in dieser Frage ein deutliches Auseinanderfallen von theologischem Anspruch und menschlicher Lebenswirklichkeit. Obwohl nach traditioneller sunnitischer Rechtsauffassung weiterhin verpönt, kämen Eheschließungen zwischen MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen heute immer häufiger vor, so Gallala-Arndt. Mittlerweile existiere sogar eine Mindermeinung v.a. westlicher Islam-Gelehrter, gemischt-religiösen Ehen deutlich offener gegenüberstünden. Auch im Judentum nähmen interreligiöse Ehen rapide zu und machten in der Diaspora inzwischen über die Hälfte der jüdischen Eheschließungen aus, ergänzte Dreyfus. Nur etwa ein Viertel solcher gemischter Paare erzögen ihre gemeinsamen Kinder später auch jüdisch. Dreyfus nannte diese Situation als ein „säkulares Dilemma“. Als ausgesprochen selten beschrieb Gallala-Arndt abschließend allerdings jüdisch-muslimische Eheschließungen. Noch immer würde eine solche Ehe v.a. in Israel oftmals als eine „Beziehung mit dem Feind“ empfunden. 

Alexander Benatar 

Link zur Veranstaltung:
https://www.jmberlin.de/ringvorlesung-juden-und-muslime-in-interreligioesen-ehen

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Foto Dr. Alexander BenatarDr. phil. Alexander Benatar
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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10117 Berlin