„Samaritan’s Purse“: Franklin Grahams Hilfswerk an Hotspots der Pandemie

Vor wenigen Wochen gab es Kontroversen um einen geplanten Auftritt des US-Evangelisten beim Kölner „Festival of Hope“. Nun hat Franklin Graham in der Corona-Krise mit zwei Einsätzen seines Katastrophenhilfswerks „Samaritan’s Purse“ auf sich aufmerksam gemacht. Martin Fritz zur Ambivalenz von Grahams Wirken.

Martin Fritz
Intensivmedizinische Betreuung von Corona-Patient*innen durch Mitarbeiter*innen der Hilfsorganisation Samaritan’s Purse

Erst Anfang des Jahres war der US-Evangelist Franklin Graham, Sohn des berühmten Baptistenpredigers Billy Graham (1918-2018), in Deutschland in die Schlagzeilen geraten (siehe EZW-Newsletter 3/2020). Im Zusammenhang mit einer für 20. Juni 2020 in Köln geplanten Großevangelisation in Köln („Festival of Hope“) wurde ihm wegen seiner teils drastischen Verunglimpfung der Homosexualität als Sünde homophobe Hasspropaganda vorgeworfen. Die Betreiber der für das Event angemieteten Lanxess-Arena in Köln wurden von den Kritikern aufgefordert, die Vermietung zu stornieren, um Grahams ethisch-religiösen Anschauungen kein Forum zu bieten. Evangelikale Verteidiger hielten der Kritik entgegen, Graham stachele nicht zu Hass an, sondern lade zum christlichen Glauben ein, der die Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten gebiete. Zum Beleg verwiesen sie auf das humanitäre Engagement der Hilfsorganisation „Samaritan’s Purse“ (Geldbörse des Samariters), deren Präsident Graham ist.

Nun haben Graham und sein Hilfswerk im Zuge der Corona-Krise erneut auf sich aufmerksam gemacht, mit Kriseneinsätzen an zwei Hotspots der Corona-Pandemie. Als erste internationale Organisation (nach eigenen Angaben) hat Samaritan’s Purse in der norditalienischen Stadt Cremona nahe Mailand eine mobile Notfallklinik errichtet, um das völlig überlastete Krankenhaus vor Ort zu unterstützen. Das Zeltlazarett mit 68 Betten wurde von einem Frachtflugzeug aus North Carolina nach Italien gebracht; ein zweites Flugzeug lieferte 20 Tonnen medizinisches Material. Seit dem 20. März werden in dem Lazarett schwerkranke Covid-19-Patienten von 65 Ärzten und weiterem Fachpersonal behandelt, unter anderem mit Beatmungsgeräten. Bis zum 16. April waren es nach Angaben des deutschen Zweiges von Samaritan’s Purse 256 Patienten; 176 konnten schon wieder entlassen werden. Ein zweites Notfallkrankenhaus wurde von dem Hilfswerk Ende März in New York errichtet, dem US-amerikanischen Zentrum der Epidemie. (Bilder von den Lazarett-Zelten im Central Park kursierten auch in deutschen Medien.) Die verzweifelte Lage in Italien und in den USA erfordere dringend Hilfe, so Graham. „Deshalb ist unser Team von Katastrophenschutzspezialisten an vorderster Front, um lebensrettende medizinische Versorgung zu gewährleisten und den Menschen, die verletzt sind, Gottes Liebe zu schenken.“ 

Im bislang weniger katastrophal betroffenen Deutschland ist Samaritan’s Purse in kleinerem Rahmen tätig. In Zusammenarbeit mit dem christlichen Kinder- und Jugendhilfswerk Arche versorgt das Hilfswerk bedürftige Familien und Obdachlose mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. 

Vom evangelikalen Standpunkt aus liegt es nahe, die Corona-Hilfe von Grahams Organisation als neuerlichen Ausweis der integren Gesinnung auch von deren Präsidenten anzusehen. Entschiedene Graham-Kritiker hingegen werden diese Beglaubigung nicht ohne Weiteres gelten lassen, sondern dazu neigen, die hehren Motive des humanitären Engagements mit dem Hinweis auf die ethisch fragwürdigen Äußerungen Grahams zur Homosexualität in Zweifel zu ziehen. Im Zuge dessen ließe sich das vorgeblich barmherzige Handeln von Samaritan’s Purse beispielsweise als breitenwirksame Publicity-Maßnahme im Dienste eigentlich vorherrschender missionarischer, politischer oder ökonomischer Interessen deuten.

Ein dritter Weg der Beurteilung liegt in der Mitte. Bei unbefangener Betrachtung wird man dem Corona-Engagement, jedenfalls im Prinzip, die moralische Anerkennung nicht versagen können und wollen. Dies gilt auch aus der Sicht dessen, dem das „Helfen im Namen Jesu“ – so das Motto von Samaritan’s Purse – hinsichtlich der darin wirksamen religiösen Motive grundsätzlich als fremd oder gar als problematisch erscheint. Und es gilt unbeschadet der möglichen Ablehnung bestimmter Einzelaspekte der ethisch-religiösen Gesamtposition der fraglichen Akteure. So kann sich ein innerer Zwiespalt zwischen partieller Anerkennung und partieller Ablehnung ergeben, der nicht aufzulösen, sondern im Sinne notwendiger Ambiguitätstoleranz zu „ertragen“ ist. Auch wer meiner Ansicht nach gewisse inakzeptable Anschauungen vertritt – etwa eine inakzeptable Einstellung zur Homosexualität –, kann in anderer Hinsicht – etwa als Vorbild tätiger Nächstenliebe – meinen moralischen Respekt verdienen. Eine solche Übung der Toleranz innerer Zwiespältigkeit in der Bewertung anderer ist eine Bedingung der Übung weltanschaulicher, auch binnenchristlicher Toleranz gegenüber Menschen mit anderen ethisch-religiösen Standpunkten. Dies trifft jedenfalls zu, sofern unter „Toleranz“ nicht eine Haltung umfassender Anerkennung verstanden wird, sondern eine Haltung, die die partielle Anerkennung und die partielle Ablehnung des anderen umgreift.

Allerdings wird eine solche Toleranz mitunter beträchtlich auf die Probe gestellt. Dies führen jüngste Verlautbarungen zum Kölner „Festival of Hope“ vor Augen, die ebenfalls im Kontext der Corona-Krise stehen. Angesichts der Pandemie hat der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU Wuppertal Anfang April – also vor dem Erlass des bundesweiten Verbots von Großveranstaltungen bis Ende August – in einem Schreiben an die Veranstalter vorgeschlagen, den Auftritt Franklin Grahams zu verschieben und im Rahmen der Evangelisationsreihe „PROCHRIST LIVE“ im Juni 2021 stattfinden zu lassen. Denn: „In einer Situation, in der die Fußball-Bundesligasaison 2019/2020 ohne Zuschauer zu Ende gespielt wird, ist es den Kölnern und der Bevölkerung nur schwer zu erklären, dass eine Veranstaltung in der Lanxess-Arena mit 20.000 Gästen stattfinden darf“, so Stefan Zahn, Vorsitzender des EAK und vormaliger Unterstützer des „Festival of Hope“. Auf Nachfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea erklärte daraufhin Viktor Hamm, der Vizepräsident der „Billy Graham Evangelistic Association“ (deren Präsident Franklin Graham ist), es gebe „absolut keinen Plan oder Gedanken“, Grahams Auftritt in Köln abzusagen. „Dies ist die Zeit, in der die Menschen in Deutschland eine dauerhafte Hoffnung auf Christus brauchen wie nie zuvor.“ Sollte den Verantwortlichen die Gefährdung von Menschenleben durch die Ausbreitung von Corona tatsächlich „keinen Gedanken“ wert gewesen sein? Es sind Funktionäre derselben Organisationen, die derzeit mit großem Aufwand aktive Hilfe in der Corona-Krise leisten. Wir hätten es hier also mit einer Gestalt von Christentum zu tun, in der ein religiös begründetes Ethos tätiger Menschenliebe und eine ebenfalls religiös begründete Ignoranz gegenüber Handlungsfolgen nahe beieinander liegen. Eine solche Diskrepanz wäre aber nicht nur schwer zu verstehen, sondern auch schwer auszuhalten.

(Aufgrund des aktuellen Verbots von Großveranstaltungen wurde das „Festival of Hope“ inzwischen unbestimmt auf Frühjahr 2021 verschoben.)

Martin Fritz

Ansprechpartner

Foto Dr. Martin FritzPD Dr. theol. Martin Fritz
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin