Kurzbericht vom 21.02.2024

Rüdiger Braun: „Mit Netzwerkanalysen gegen religiös begründeten Extremismus!“

Eine vom BMI in Auftrag gegebene Netzwerkanalyse erforscht seit 2020 mit dem Fokus auf muslimische Akteure die Peripherie des religiös begründeten Extremismus und ermöglicht auf diesem Weg fundierte Einblicke in einschlägige Videoplattformen islamistischer Provenienz.

Nach dem Hanau-Anschlag 2020 beauftragte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) die GmbH Modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung (Modus-ZAD) mit einer Netzwerkanalyse zur sogenannten Peripherie des religiös begründeten Extremismus (PrE). Der Fokus lag auf der Online-Radikalisierung und effektiven Präventionsmaßnahmen für junge Muslime, die von salafistischen und islamistischen Akteuren beeinflusst werden.

Monitoring der Online-Kommunikation: Islamismus im Fokus

Modus-ZAD betreibt seit 2020 ein Basis-Monitoring zur Peripherie des religiös begründeten Extremismus, unterstützt von der bpb. Der Fokus liegt auf der Überwachung islamistischer Akteure und ihrer Online-Inhalte. Die laufende Netzwerkanalyse – zuerst nur auf YouTube, dann auch auf TikTok und seit 2023 ebenso auf Instagram – gibt Einblicke in die Kommunikationsstrategien auf diesen Plattformen. Die analysierten Kanäle lassen sich grob in zwei Cluster einteilen: salafistisch-quietistische Plattformen mit Einflussnahme aus Saudi-Arabien mit eher zurückhaltender politischer Artikulation und solche mit Steuerung durch die verbotene Ḥizb at-taḥrīr mit offener israel- und judenfeindlicher Agenda. @GenerationIslam und @RealitätIslam gehören zum zweitgenannten Cluster. Leitthemen auf diesen sind die Bedrohung des Islams durch den Westen sowie erlebte Diskriminierung. Im Gegensatz zu salafistischen Kanälen befürworten sie ein erneuertes Kalifat. Ein ‚Kulturkampf‘ des Westens gegen den Islam sei im Gange, der den Islam durch Gewaltherrschaft zerstöre und durch ein wiedererstarktes Kalifat beendet werden müsse.

Verschwörungsnarrative

Die islamistischen Kanäle heben sich zudem durch eine in zahlreichen Variationen kommunizierte Verschwörungserzählung hervor: Der deutsche Staat zwinge muslimische Verbände zur Unterwerfung durch seine pro-israelische Haltung, und verlange ihnen implizit ab, zu den als Genozid betrachteten Vergeltungsmaßnahmen Israels zu schweigen. „Wahre Muslime“ hingegen seien zum Kampf aufgerufen. Ein von Abul Baraa hochgeladener Vortrag des Nahostexperten Michael Lüders liefere die dafür notwendige Legitimation.

Die Attraktivität radikaler Lesarten des Islam liegt auch in der prekären Lage im Nahen und Mittleren Osten begründet.  Im Schicksal der durch den Gaza-Krieg bedrohten Palästinenser sehen viele Muslime in Deutschland ihre eigene Lage widergespiegelt und fühlen sich dazu herausgefordert, ihren verfolgten Geschwistern beizustehen. Die erlebte Exklusion in Deutschland kann dann zu einer sich radikal abgrenzenden Selbstdefinition führen. Charismatische Prediger in Moscheen und sozialen Medien vermitteln ausgegrenzten Jugendlichen ein neues Selbstverständnis. Durch klare Vorschriften und Verhaltensregeln bieten sie Orientierung und erfüllen Bedürfnisse nach Anerkennung und Zugehörigkeit.

Fromme Ahnen und wirkmächtige Medien

Das Begehren, wie die „frommen Ahnen“ zu sein, erfordert aufrichtige Reue und ein Leben im Einklang mit dem Koran. Websites wie generation.islam.de liefern hierfür nicht nur die dafür notwendigen Rezepte, sondern fördern auch die Distanzierung zur „westlichen“ Lebensweise. Salafismus wird zum Gegenpol von Republikanismus und humanisiertem Christentum.

Die Wirkmacht sozialer Medien verstärkt den Rückzug muslimischer Jugendlicher und birgt die Gefahr der Radikalisierung. Junge Muslime sind in virtuellen Gemeinschaften aktiv, erhalten Live-Bilder und Live-Berichte aus Konfliktgebieten und erleben kontinuierliche Emotionalisierung. Um den Einfluss von Extremisten zu minimieren, wird es massiver Investitionen in digitale Sozialarbeit und Medienkompetenz bedürfen.

Toxische Echokammern

Die explorative Studie zur „Islamfeindschaft in christlichen Medien“ im Bericht des unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit beschreibt von rechtspopulistischen Verschwörungsnarrativen geprägte Echokammern als „toxische Diskursräume“. Von solchen Räumen ist auch zu sprechen, wo sich muslimische Jugendliche auf YouTube, TikTok und Instagram als nicht gesehene Opfer von europäischer und nahöstlicher Machtpolitik positionieren. Es ist kaum überraschend, dass islamistische Akteure diese Narrative der Selbstviktimisierung vor dem Hintergrund einer wachsenden Muslimfeindlichkeit auch dazu nutzen, ihrer Agenda Legitimation zu verschaffen. Dies macht eine umfassende Exploration der Online-Medien zur Peripherie des islamisch begründeten Extremismus, wie sie durch Modus-ZAD und dem bpb-Basis-Monitoring bereits in Ansätzen erfolgt, umso dringlicher.

 

Vielen Dank für die Lektüre dieses EZW-Kurzberichts. Wenn Sie das Thema interessiert, lesen Sie den Beitrag „Ressentiment, Resignation und Rückzug. Zur Radikalisierung junger muslimischer Migranten“ von Rüdiger Braun in ZRW 1/2024:

Zum Beitrag (Nomos-Verlag)

Ansprechpartner

Foto Dr. Rüdiger BraunPD Dr. theol. Rüdiger Braun
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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10117 Berlin