Bericht vom 23.04.2024

Neue kostenlose Weiterbildung zum Umgang mit extremistischen Einstellungen

Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderte Fortbildung „Extremistische Einstellungen in der ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung“ schließt eine Lücke und sensibilisiert für Radikalisierungsprozesse.

Michael Utsch

In einer aktuellen Online-Befragung gaben über die Hälfte der Ärzt/-innen und Psychotherapeut/-innen an, mindestens schon einmal Patient/-innen behandelt zu haben, die eine extremistische Einstellung vertreten haben. Um zu vermeiden, dass per se Einstellungen, die von der Meinung der gesellschaftlichen Mitte abweichen, als „extremistisch“ verurteilt werden, verwendet das Projekt eine Definition der Extremismusforschung. Extremistisch sind „ideologische, religiöse oder auch politische Ansichten, bei denen einzelnen Personengruppen zentrale Menschenrechte abgesprochen und/oder die zentralen Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgelehnt werden“.1 Als Beispiele werden der Rechts- und Linksextremismus, islamisch begründeter Extremismus sowie neuere Strömungen wie die Querdenker, Selbstverwalter oder Reichsbürger genannt. Andere religiöse Gruppen werden zwar nicht genannt, jedoch fallen auch einige christlich, esoterisch oder buddhistisch orientierte Gruppen in diese Kategorie.

Es gibt Hinweise aus der noch dünnen psychologischen Forschungslage, dass psychische Labilität Einfluss auf das eigene Weltbild hat und im schlechtesten Fall zu einer extremistischen Haltung führt. Die Forscher interpretieren das als einen „dysfunktionalen Bewältigungsversuch“2. Eine therapeutische Behandlung oder beraterische Begleitung von Betroffenen will Hilfen bereitstellen, um „herauszufinden, welche Funktionen extremistische Einstellungen in ihrem Leben erfüllen und welche alternativen Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen möglich wären“3.

Viele Ärztinnen und Psychotherapeuten fühlen sich für den Umgang mit dieser Patientengruppe und ihren Angehörigen nicht gut ausgebildet. Mit dieser Fortbildung soll über die Vermittlung konkreter Wissensinhalte die Handlungssicherheit im Umgang mit extremistischen Einstellungen verbessert werden. Die Inhalte der Online-Fortbildung ist in vier Modulen mit 17 Lerneinheiten unterteilt. Vermittelt werden Basisinformationen zum Rechtsextremismus, Islamismus sowie zu neueren weltanschaulichen Bewegungen und Strömungen. Es werden Erklärungsansätze für Radikalisierungsprozesse und die Rolle psychischer Erkrankungen bei diesem Prozess gegeben. Kompetenzen zur Gesprächsführung und der Umgang mit Gefährdungssituationen werden eingeübt, die Aufgaben der Sicherheitsbehörden vorgestellt und Kontakte zu Fachberatungsstellen für eine Vernetzung und Kooperation bereitgestellt.

Das E-Learning-Projekt wird gefördert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die anerkannte Fortbildung richtet sich an Ärztinnen und Psychotherapeuten und will sie qualifizieren, Radikalisierungsprozesse besser wahrnehmen, einzuschätzen und angemessen zu handeln. Die Fortbildung geht über die Vermittlung konkreter Wissensinhalte hinaus, weil sie beabsichtigt, Handlungssicherheit im Umgang mit extremistischen Einstellungen einzuüben. Die Fortbildung ist für einen Bearbeitungszeitraum von 180 Tagen angelegt. Nach dem Ablegen einer Prüfung werden Fortbildungspunkte vergeben.

Es ist zu begrüßen, dass neben zahlreichen Weiterbildungsangeboten für in der Sozialen Arbeit Tätige nun gezielt Ärztinnen und Psychotherapeuten geschult werden. Während bundesweit mittlerweile fünfzig zivilgesellschaftliche Projekte Weiterbildungen in der Umfeld-, Distanzierungs- und Ausstiegsberatung anbieten, bestehen bei diesem Thema in der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung noch große Lücken. Weil bestimmte psychische Störungsbilder eine Radikalisierung begünstigen können, ist diesem Angebot zu wünschen, dass viele im Gesundheitswesen Tätige in diesem Feld Kompetenzen erwerben.

Michael Utsch

Zur E-Learning-Weiterbildung (extern)

  1. Thea Rau u.a.: Denkanstoß zu extremistischen Ansichten bei Patient:innen. Psychotherapeutenjournal 1/2024, S. 44 (online, Abruf: 15.04.2024).

  2. Ebd., S. 45.

  3. Ebd., S. 46.

Ansprechpartner

Foto Dr. Michael UtschProf. Dr. phil. Michael Utsch
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin