„Maimonides“: Ein couragiertes Bildungswerk aus Rheinland-Pfalz

Vor zwei Jahren wurde das Bildungswerk Maimonides ins Leben gerufen. In ersten Projekten widmet sich diese Dialoginitiative jüdisch-muslimischen Perspektiven auf „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ und fördert zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.

Alexander Benatar
Kopf der Maimonides-Skulptur in Córdoba, Spanien

„Maimonides“: Ein couragiertes Bildungswerk aus Rheinland-Pfalz

Wenn, ja wenn die Politik nicht wäre, dann könnten sich jüdische und muslimische Gläubige in Vielem einig sein. Was den einen „koscher“ ist, ist den anderen „halal“. Die Heiligen Schriften von Judentum und Islam wurden verfasst in den verwandten semitischen Sprachen Hebräisch und Arabisch und kennen beide die Knabenbeschneidung. Und mit einem gewissen Unverständnis blicken Angehörige beider Religionen wohl auf das jahrhundertelange Ringen der christlichen Dogmatik, Monotheismus und Trinität miteinander zu vereinbaren. Angesichts der wiederum gemeinsamen Minderheitensituation sollte man meinen, dass sich Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime in Deutschland einander doch gleichsam als „natürliche Verbündete“ begreifen. Doch leider erweist sich die Politik immer wieder als ein Stachel im Fleisch der interreligiösen Verständigung – meist im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt, wie zuletzt Mitte Mai zu beobachten war.

Damit über solchen politischen Auseinandersetzungen das in Jahrhunderten gewachsene jüdisch-muslimische Vertrauensverhältnis nicht in Vergessenheit gerät, haben Peter Waldmann, Literaturwissenschaftler und langjähriger Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, und sein Freund Mustafa Cimşit, Imam und Gründungsvorsitzender der Schura Rheinland-Pfalz Landesverband der Muslime, 2019 das jüdisch-muslimische Bildungswerk „Maimonides“ ins Leben gerufen. Benannt nach dem berühmten jüdischen Gelehrten Moses Maimonides, der im 12. Jahrhundert Rabbiner der jüdischen Gemeinde und Leibarzt des muslimischen Großwesirs von Kairo war, will dieses Bildungswerk an die Tradition friedlicher Koexistenz von Jüdinnen und Muslimen und an die vielen Gemeinsamkeiten ihrer jeweiligen religiösen Praxis anknüpfen. Das institutionalisierte Gespräch von Juden und Musliminnen in Vorträgen, Diskussionen und Workshops soll nicht nur dabei helfen, gegenseitige Vorurteile abzubauen, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung korrigieren, es gebe einen quasi schicksalhaften jüdisch-muslimischen Dauerkonflikt.

In einer ersten Aktion beteiligt sich das Bildungswerk mit Sitz in Ingelheim am aktuellen Festjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“, indem es dessen Perspektive auf die historischen Wurzeln des Judentums auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik um die Dimension der jüdisch-muslimischen Begegnung erweitert. So seien wesentliche Pioniere der deutschsprachigen Islamwissenschaft jüdischen Glaubens gewesen und bis 1933 jeder fünfte Orientalistik-Lehrstuhl von einem Juden besetzt, wie Maimonides-Mitgründer Peter Waldmann in einem Interview betont. Deutlich wird an dieser Stelle auch der Anspruch des jüdisch-muslimischen Bildungswerks, zur Herausbildung einer neuen Erinnerungskultur in der immer multikulturelleren deutschen Gesellschaft beizutragen.

Das erste eigene Bildungsprojekt von Maimonides wiederum ist „Couragiert! Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“. In einer Fortbildungsreihe zu Judentum und Islam, Judenfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus soll hierbei ein Netzwerk von MultiplikatorInnen in Jugendeinrichtungen und Gemeinden etabliert werden, die für Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sensibilisiert und zugleich in der Lage sind, diesen couragiert zu begegnen. Gefördert wird das Projekt u.a. durch das Bundesfamilienministerium, angesprochen werden sollen in erster Linie Interessierte aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die Fortbildung selbst beginnt im Januar 2022, erste Einblicke in die geplanten Kursinhalte gibt eine Regionalwerkstatt in Mainz am 30. September.

Einmal mehr erweist sich in diesem Projekt die Angst vor einem als zunehmend bedrohlich empfundenen Rassismus und Rechtsextremismus als Katalysator des jüdisch-muslimischen Dialogs. Und diese ist durchaus nachvollziehbar: Nicht zufällig griff der rechtsterroristische Attentäter von Halle im Oktober 2019 einen Döner-Imbiss an, nachdem er an der Synagogentür gescheitert war. In Frankreich wiederum will die Rechtspopulistin Marine Le Pen (Tochter und politische Erbin des Holocaustleugners Jean-Marie Le Pen) Kopftuch und Kippa gleichermaßen aus dem öffentlichen Raum verbannen. Die Brisanz der politischen Gemengelage spiegelt sich in der kontroversen französischen Debatte um den Begriff des „Islamo-Gauchisme“, den der Soziologe André Taguieff 2002 ursprünglich zur Beschreibung eines antizionistischen bzw. israelkritischen Bündnisses von Muslimen und Linken verwendete und der als ein mit unterschiedlichen Zuschreibungen versehenes Schlagwort mittlerweile eine eigenständige Dynamik entfaltet hat: In seiner Zweideutigkeit erinnert der eine Allianz von Islam, Islamisten und Linksextremisten (den „Gauchisten“) imaginierende Begriff an Kampfbegriffe, wie sie bereits in den 1920er und 1930er Jahren Verwendung fanden.1  Angesichts dieser und ähnlicher Entwicklungen sind interreligiöse Bildungs- und Aufklärungsarbeit wichtiger denn je. Mustafa Cimşit ist somit zuzustimmen, wenn er feststellt, dass die persönliche Begegnung das vielleicht wirksamste Mittel gegen Rassismus darstellt.


Alexander Benatar
(Überarbeitete Fassung vom 08.04.2022)
 

1   Vgl. z.B. den Begriff des „jüdischen Bolschewismus“; zum „Islamo-Gauchisme“ direkt vgl. Rudolf Palmer, Der Feind steht in der Uni, in: TAZ, 27.02.2021 (https://taz.de/Debatte-ueber-Islamo-Gauchismo-in-Frankreich/!5752291/); für weitere Perspektiven auf dieses komplexe Thema vgl.Kai Funkschmidt, Der Islamismus und Frankreichs „Wiedereroberung“, in: ZRW 84,1 (2021), 5-22.


Website: https://maimonides.eu/

Ansprechpartner

Foto Dr. Alexander BenatarDr. phil. Alexander Benatar
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin