Islamophobie-Report

Vor einigen Monaten veröffentlichte die türkische Denkfabrik SETA wieder ihren jährlichen Islamophobie-Report. Seither wird er kontrovers diskutiert. Friedmann Eißler wirft einen kritischen Blick auf diesen Report und die durch ihn ausgelöste Debatte.

Friedmann Eißler
Rückansicht von vier kopftuchtragenden Frauen in langen Kleidern auf einer Bank sitzend

Der im Herbst 2019 erschienene „European Islamophobia Report“ (EIR) 2018 hat Kritik auf sich gezogen und damit eine alte Debatte neu angestoßen. Zum vierten Mal wurde der jährliche Islamophobie-Report von der türkischen Denkfabrik SETA (Stiftung für politische wirtschaftliche und gesellschaftliche Studien in Istanbul) veröffentlicht, die Büros in Washington, Kairo, Berlin und Brüssel hat und laut Stiftung Wissenschaft und Politik „eng mit der [türkischen] Regierung verbunden“ ist. Wurde die Nähe der Organisation zur türkischen Staatspolitik schon gelegentlich kritisiert, ist Anlass für die jüngste Auseinandersetzung die Förderung dieser Ausgabe des Reports mit EU-Geldern in Höhe von knapp 127.000 Euro aus dem Programm „Zivilgesellschaftlicher Dialog zwischen der EU und der Türkei“ (CSD-V).

Im Dezember 2019 wandte sich eine Reihe von kritischen Intellektuellen in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit der Bitte, die EU möge in Zukunft keine finanzielle Unterstützung für den EIR mehr gewähren und so die Instrumentalisierung des mit Steuergeldern versehenen EU-Fonds durch die türkische Regierung und die ihr nahe stehende SETA-Stiftung verhindern. Die SETA sei ein politisches Instrument der türkischen Regierung, in dem Bericht würden „undifferenziert viele Persönlichkeiten und Institutionen aus ganz Europa als ‚islamophob‘ und als Vertreter und Beförderer von sogenanntem ‚antimuslimischem Rassismus‘ bezeichnet“. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes würden „in eine Reihe mit Rechtsradikalen, Rassisten und deren Netzwerken gestellt“. Mit Nachdruck wird darauf hingewiesen, dass der Report „keinerlei wissenschaftlichen Standards“ entspreche. Islamophobie entpuppe sich „als Kampfbegriff, der dazu genutzt wird, Kritik am Islam, an politisch-islamischen Strömungen, einzelnen Organisationen und Akteuren oder an Problemen und Menschenrechtsverletzungen innerhalb muslimischer Gemeinschaften und Gesellschaften abzuwehren und als ‚anti-muslimischen Rassismus‘ zu etikettieren“. „Damit aber wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gedankenfreiheit in Europa ernsthaft in Frage gestellt.“ Den Herausgebern gehe es nicht um eine offene demokratische Debatte, sondern um die Verhinderung derselben. Der Bericht sei demokratiepolitisch gefährlich.

Zu den 13 Unterzeichnenden gehören die Initiatoren Heiko Heinisch und Nina Scholz sowie Mouhanad Khorchide, Kamel Daoud, Seyran Ateş, Necla Kelek, Saida Keller-Messahli, Ahmad Mansour und Susanne Schröter. Auch der Präsident der Initiative Liberaler Muslime Österreich, Amer Albayati, protestierte öffentlich gegen das „Machwerk, dessen Ziel es offensichtlich ist, Wissenschaftler und Medien, die dem politischen Islam von Muslimbrüdern, Milli Görüs und Co. kritisch gegenüberstehen, mit dem Islamisten-Kampfbegriff ‚Islamophobie‘ zu diskreditieren.“

Herausgeber Farid Hafez erklärte in einer Replik dagegen, Rassismus zu diskutieren sei „demokratiepolitisch notwendig“. Für die ausgegrenzte und diskriminierte Gruppe sei der ideologische Ursprung ihrer Ungleichbehandlung irrelevant. Rassismus sei eine strukturelle Frage, Personen würden in dem Bericht nicht denunziert, sondern „für ihre Produktion und Reproduktion von antimuslimischem Rassismus kritisiert“. Der EIR sei der erste Report, der mit einem Vergleich von 34 Ländern ganz Europa in den Blick genommen habe, so Hafez weiter in einem Interview. Es gehe um Kritik an Machtstrukturen, die Marginalisierte ausschlössen, um Kritik an der Reproduktion von Denkweisen und Handlungen, an Rassismus als Einstellung. Die Unterstützung eines Kopftuchverbots im Kindergarten sei islamophob. Der Begriff des politischen Islam werde von den Unterzeichnenden verwendet, „um Musliminnen und Muslime zu kriminalisieren“. Den Briefunterzeichnern wirft Hafez vor, sie kritisierten nicht die Mächtigen, sondern die Ausgegrenzten. Würde einmal eine andere Meinung finanziert, sähen sie die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Die Verbindung zu SETA erklärte Hafez mit der „ganz einfache[n] Geschichte“, dass der Mitherausgeber Enes Bayraklı dort arbeite und der gemeinsam erarbeitete Bericht dort angenommen worden sei. Es gebe nicht viele Einrichtungen, die solche Studien unterstützten. Von den 39 Autorinnen und Autoren des Berichts aus ganz Europa hätten nur zwei Personen überhaupt eine Beziehung zu SETA. Es gebe keine Beeinflussung „von niemandem“. Die AKP stehe überdies in keiner formalen Beziehung zu dem Thinktank. Autorin des Deutschlandkapitels im EIR ist die Politologin Anna-Esther Younes.

Farid Hafez lehrt und forscht an der Universität Salzburg in der Politikwissenschaft und ist Senior Research Fellow an der Georgetown University. Von 1998 bis 2007 war er in der Muslimischen Jugend Österreich aktiv. Seit 2010 gibt er das Jahrbuch für Islamophobieforschung heraus.

Mindestens ebenso lange wird das Thema auch von der kontroversen Debatte um Definition, Trennschärfe, Reichweite, Relevanz der Begriffe „Islamophobie“ oder neuerdings „antimuslimischer Rassismus“ begleitet. Beide Begriffe werden von Hafez und dem EIR synonym gebraucht und mit Antisemitismus parallelisiert.

Beide Begriffe sind konzeptionell unscharf, wie häufig festgestellt worden ist. Die Verschiebung des Rassismusbegriffs von der Biologie auf die Kultur ist schon deshalb problematisch, weil Kultur im Gegensatz zur Biologie selbstverständlich „bewertbar“ und damit auch argumentativ kritisierbar ist, etwa anhand eines menschenrechtlichen Maßstabs. Der mit der Verschiebung in der Regel einhergehende Kulturrelativismus impliziert eine Relativierung der Menschenrechte. Der Politikwissenschaftler und Soziologe Armin Pfahl-Traughber, der sich schon seit Jahren kritisch mit „Islamophobie“ als Kampfbegriff in diesem Umfeld auseinandersetzt, spricht daher in beiden Fällen von „Hegemoniekonzepten“, die auf eine inhaltliche Dominanz im öffentlichen Meinungsstreit zielten und auf eine Kritikimmunisierung hinausliefen. Ungewollt aufschlussreich ist es in dieser Hinsicht, wenn Hafez in seiner Replik sagt, der EIR sei weder eine quantitative noch eine qualitative Studie (die den entsprechenden wissenschaftlichen Kriterien genügt), sondern „ein Policy-Paper“.

Hier werden entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Muslimenfeindlichkeit und Hasspropaganda, fremdenfeindliche Hetze sind ernsthafte Probleme. Sie brauchen klare Kante mit klaren Begriffen und solider Empirie. Ebenso klar müssen davon jedoch unterschieden werden rationale Religionskritik sowie die kritische Befassung mit Fundamentalismus, Extremismus und demokratiefeindlichen Einstellungen, auch im Islam. Der Begriff der „Phobie“ ist hier fehl am Platz.

Friedmann Eißler 
 

Links:

www.derstandard.de/story/2000112147114/eu-geld-fuer-islamophobie-reportdemokratiepolitisch-gefaehrlich
 
www.derstandard.de/story/2000112407943/islamophobie-report-demokratiepolitisch-notwendig
 
www.islamophobiaeurope.com/wp-content/uploads/2019/09/EIR_2018.pdf