Coronavirus und Religion

Die Corona-Pandemie bedeutet für die Menschen weltweit gewaltige Einschränkungen in ihrem Alltag und damit auch in ihrer religiösen Praxis. Ein Ende der Krise ist noch lange nicht in Sicht. Jeannine Kunert wirft einen Blick auf einige ihrer Auswirkungen.

Jeannine Kunert
Erdkugel eine medizinische Gesichtsmaske tragend (Corona) vor schwarzem Hintergrund

Das Coronavirus SARS-CoV-2 wirkt sich auf die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen und ihre Praktiken aus. Gemeinschaftliche Rituale, Gebetspraktiken, Wohlfahrt, Opfergaben und Verschwörungstheorien sind u.a. Bereiche, die von Corona betroffen sind.

V.a. die aus Südkorea stammende Religionsgemeinschaft Shinchonji („Neuer Himmel, neue Erde“) war in den letzten Wochen regelmäßig in den Medien vertreten. Ihre internen Strukturen haben die Ausbreitung des Krankheitserregers nicht unerheblich befördert. Teilnahmezwang an Gottesdiensten trotz Krankheit und die Geheimhaltung der Gemeinschaftszugehörigkeit – selbst gegenüber Familienmitgliedern – trugen zur Ausbreitung der Krankheit bei, weil Verbreitungsketten aufgrund dessen schwer bis nicht rekonstruierbar sind. Wie am 2. März 2020 bekannt wurde, hat die Stadt Seoul Strafanzeigen u. a. wegen Mordes gegen den Gründer und Anführer Lee Man-hee und zwölf weitere führende Persönlichkeiten der Religionsgemeinschaft gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Gesetz zur Prävention von Infektionskrankheiten verstoßen zu haben, weil sie wichtige Informationen vorenthalten hätten. Lee Man-hee entschuldigte sich mittlerweile öffentlich. Die Namen von über 200.000 Mitgliedern wurden nun den Behörden übergeben. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr wurden die Shinchonji-Kirchen geschlossen und auch in Deutschland scheinen Zusammenkünfte vorerst ausgebremst zu sein – offiziell sind die Zentren in Frankfurt und Berlin wegen Umbaumaßnahmen nicht zugänglich. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 16. März berichtete, wurde in Südkorea ein zweiter größerer Seuchenherd in einer protestantischen Gemeinde in Seongnam identifiziert. Von der Gemeinde haben sich 46 Kirchenmitglieder – und weitere im Umfeld – vermutlich bei Gottesdiensten Anfang März angesteckt, trotz Verbots.

Einschnitte in rituelle Abläufe gibt es nun auch in Europa. In der katholischen Kirche in Salzburg wurde beispielsweise bereits Anfang März das Weihwasser aus den Weihwasserbecken im Dom entfernt und die Mundkommunion ausgesetzt. Die Hostien wurden nun nur noch in die Hände der Gläubigen gelegt. Und auch auf das Händeschütteln beim Friedensgruß wird vorerst verzichtet. In Österreich, Deutschland und ganz Europa ergreifen Kirchen und religiösen Gemeinschaften Schritte zur Eindämmung des Virus. Gottesdienste werden abgesagt oder gleich ganz verboten. Der Zentralrat der Muslime hatte schon am 13. März empfohlen, die Freitagsgebete in Deutschland vorerst auszusetzen. In der Türkei stehen 5.000 Mekka-Pilger unter Quarantäne, etwa 21.000 Türken nahmen an der Umra teil. Auch hier gibt es Befürchtungen, dass das Virus über sie vom Nahen Osten weiterverbreitet wird. Aufrufe der Regierung zur Selbstisolation wurden häufig ignoriert. Die Hadj-Saison wurde nun seitens Saudi-Arabiens abgebrochen. Der religiöse Tourismus und der Tourismus an religiösen Stätten kommen weltweit immer weiter zum Erliegen.

Im Netz kursieren zudem Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verschiedenster Couleur, die klar die Grenzen von gruppenspezifischer Zugehörigkeit und Ausgrenzung markieren. Auch ist hier Antisemitismus zu beobachten, indem Juden u.a. zu Strippenziehern der Ausbreitung gemacht werden. Zudem blüht das Geschäft mit der Angst vor der Krankheit und der Hoffnung auf Heilung. So werden teils skurril anmutende „Heilmittel“ wie der Urin von indischen Kühen als Wundermittel gegen die Krankheit deklariert.

Die Anhänger der verschiedenen Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungen finden unterschiedliche Wege, mit der neuen Viruserkrankung umzugehen. Augenscheinlich wirken sich die seuchenschutzbedingten Maßnahmen überall auf das religiöse Leben in der Gemeinschaft aus und stellen ihre Resilienz gegenüber gesellschaftlichen Krisen auf die Probe. Internetangebote wie das Streamen von Gottesdiensten, und die Möglichkeiten der Digitalisierung scheinen daher in Zeiten von Versammlungsverboten weiter an Bedeutung zu gewinnen. In den sozialen Medien finden sich zudem recht kreative Ideen für gelebten Glauben, wie die Anleitung „Händewaschen mit Gebet verbinden“ für richtiges Händewaschen in Verknüpfung mit dem Sprechen des Vater Unsers. So soll gewährleistet sein, dass die Hände auch lang genug gewaschen werden.

Die Entwicklungen verlaufen rasant und weisen eine hohe Dynamik auf.

Angesichts der Lage erlaube ich mir eine persönliche Note: Ich habe eine Freundin, die Virologin an einem Universitätsklinikum ist, sie schiebt Schicht um Schicht, auch wochenends. Oft kommt sie erst nachts in den Stunden um Mitternacht nach Hause. Sie ist auch Mutter von zwei Kindern. Wir alle sollten bei all unseren Sorgen und Ängsten nicht diejenigen vergessen, die gerade für das Wohl der Gesellschaft alles geben und bis zur Erschöpfung arbeiten. Deswegen sage ich an dieser Stelle: DANKE!

Dr. Jeannine Kunert


Links:

https://factcheck.afp.com/busting-coronavirus-myths

https://www.mena-watch.com/irakischer-politologe-corona-virus-ist-eine-amerikanische-verschwoerung/

https://www.reuters.com/article/health-coronavirus-southkorea/update-1-s-korea-reports-74-new-coronavirus-infections-idUSL4N2B90WX

https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kirche/verschwoerungstheorien-zu-corona-vom-komplott-bis-zur-rettenden-wunderzahl

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-strafe-gottes-101.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/kampf-gegen-coronavirus-in-der-tuerkei-5000-mekka-pilger-muessen-in-quarantaene/25646140.html