Synkretismus/Hybridisierung

Dass sich Religion/Spiritualität heute in hochgradig diversen und komplexen Erscheinungsformen vollzieht, ist eine weithin anerkannte Tatsache. Die Disparatheit der Einzelphänomene lässt sich vielfach über Praktiken der Hybridisierung erklären. Im Feld von Religion und Spiritualität haben wir es oft mit Hybridphänomenen zu tun, also mit dem Resultat von Vermischungen, Vermengungen und Zusammenstellungen von Einzelelementen unterschiedlicher sozialer, kultureller, geschichtlicher und/oder lokaler Herkunft. Ausgehend vom vormals gängigen Terminus „Synkretismus“ soll dieser Artikel Klarheit in den Begriffsdschungel für die fragliche Thematik bringen und die Erklärungskraft des Modells religionskultureller Hybridisierung ausloten.

Synkretismus – ein belasteter Begriff

Obwohl der Begriff „Synkretismus“ sachlich zunächst „jede Verbindung oder Mischung verschiedener kultureller Phänomene“ (Berner 2004, 1959) bezeichnet, hat er auf theologischem Gebiet vor allem als Scheltwort und Abwehrformel Karriere gemacht (vgl. Rudolph 1979). Wer von „Synkretismus“ sprach, beurteilte religiöse Erscheinungen oder Handlungen nicht selten vom für sich selbst beanspruchten Standpunkt „wahrer Religion“ aus. Alles Mögliche geriet so unter „Synkretismusverdacht“: Praktiken wie religionsverbindende Feiern (Gässlein 2022, 194f.); Personen wie Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990), der sich um den christlich-buddhistischen Dialog bemühte und dabei „Zen“ radikal vom „Zen-Buddhismus“ unterschied, um solcherlei Verdächtigungen zu entgehen (Brück/Lai/Küng 1997, 506); Institutionen wie theologische Fakultäten, deren Ausbildung als zu wenig „rechtgläubig“ angesehen wurde (Alwast 2008, 88). Entsprechend wirkt sich das Motiv von der „Gefahr des Synkretismus“ bis heute negativ auf Dialogbemühungen aus.

Vermischungen und Verbindungen im Feld von Religion und Spiritualität rücken bis heute vielfach in ein negatives Licht, wenn sie über den Synkretismusbegriff eingeführt werden. Das Verdikt des Beliebigen, Gefährlichen oder Unzulässigen klingt in solchen Fällen nicht selten an. Um derartige implizite Abwertungen zu vermeiden, hat sich inzwischen auch „Hybridisierung“ bzw. „Hybridität“ als neutralerer Alternativbegriff etabliert. Das in den 1960er und 1970er Jahren entdeckte und bis in die 1990er heftig diskutierte „Synkretismusproblem“ (vgl. Klein 1967; Bürkle 1965; Gensichen 1990) hat inzwischen merklich an Brisanz verloren, und die einst hitzig ausgetragene Debatte ist einer nüchternen und disziplinübergreifenden Betrachtung gewichen.

Weitere alternative Beschreibungen

Zur näheren Beschreibung von religiösen oder spirituellen Hybridisierungen und Hybriditäten wurden im Laufe der Zeit verschiedene Alternativbegriffe vorgeschlagen. Sie lenken den Blick meist auf spezifische Teilaspekte der zugrundeliegenden Hybridisierungspraxis.

Pick-and-Mix

Mit der Bezeichnung „Pick-and-Mix“, eingeführt von dem Religionssoziologen Malcolm Hamilton (2000; 2001), wird Hybridisierung als die Auswahl und Zusammenfügung heterogener Elemente durch religiöse bzw. spirituelle Subjekte gefasst. Marta R. Jabłońska zeichnet in einer aktuellen Studie über neopagane Praktiken im Digitalen nach (Jabłońska 2024), wie „Neue Hexen“ in ihren Ritualen und Glaubensvorstellungen subjektiv passend erscheinende Elemente auswählen („pick“) und vermischen („mix“), die aus ganz unterschiedlichen lokalen und globalen, aber auch vergangenen und gegenwärtigen Kontexten stammen. Jabłońskas Buch zeigt, dass die Praxis der „Neuen Hexen“ ohne einen auf Wicca-Traditionen, popkulturelle Hexendarstellungen, slawische Glaubensvorstellungen oder Naturdeutungen bezogenen Eklektizismus unverständlich bliebe.

Bricolagedynamik

Von „Bricolagedynamik“ spricht etwa Edgar Wunder, ein am Sozialwissenschaftlichen Institut (SI) der EKD tätiger Religionssoziologe, in Anknüpfung an Claude Lévi-Strauss und Danièle Hervieu-Léger und in ausdrücklicher Entgegensetzung zum pejorativen Synkretismusbegriff (Wunder 2005). Die Metapher der „Basteldynamik“ akzentuiert die Instabilität religiöser Hybride: Die fraglichen Mischungen sind stets im Umbau begriffen.

Patchwork

Der Begriff „Patchwork“ bezeichnet ursprünglich ein Verfahren der Textilproduktion, in dem Materialreste aneinander- oder aufeinandergenäht werden, um neue Textilien anzufertigen. Auf die Sphäre von Religion und Spiritualität wurde der Begriff von dem amerikanischen Religionssoziologen Robert Wuthnow (2005) übertragen. Im deutschsprachigen Diskurs hat sich der Begriff fest etabliert. So hält Michael Utsch mit deutlichem Anklang des Ursprungskontextes fest: „Zunehmend ist in Europa ein Patchwork-Glaube vorzufinden, in dem verschiedene religiös-spirituelle Überzeugungen miteinander verwoben sind“ (2018, 437). Breit rezipiert wurde der Begriff auch in der Identitätsforschung im Gefolge von Heiner Keupp und seiner Rede von „Patchwork-Identitäten“ (vgl. Kraus 2010). Der Begriff betont nicht zuletzt den handwerklichen und vergleichsweise alltäglichen Aspekt.

Mash-Up

Der Begriff „Mash-Up“ stammt aus der Musik. Dort steht er für eine spezifische, auch „Bastard Pop“ oder „Bootie“ genannte Form der Musikcollage, bei der Tonaufnahmen verschiedener Stücke durch Sampling zusammengemischt werden. Dieser Ursprungskontext prägt die fachliche Wortbedeutung mit: Mash-Up bezeichnet auch hier einen Akt der Neukombination. Reinhold Viehoff definiert Mash-Up als Rekombinieren von „mindestens zwei schon bestehenden Phänomenen, die (vielleicht) in ihrer Identität bestehen bleiben, aber zugleich offensichtlich (mindestens) durch das Arrangement ihrer Kombination etwas anderes werden“ (Viehoff 2015, 49). Durch das neue Arrangement entsteht ein Kulturgut, das es vorher genau so noch nicht gegeben hat. Der Begriff nimmt dabei vor allem Hybridisierungen in den Blick, die im Zuge der Digitalisierung und der Popularisierung des Kulturellen an Bedeutung gewonnen haben. Es geht um kulturkreative Prozesse vor allem im Feld des Digitalen, deren Ergebnisse die eingespielte Unterscheidung von (wertvollem) Original und (wertloser/billiger) Kopie in Frage stellen.

„Kreolisierung“ und „Hybridisierung“

Die dargestellten Alternativbegriffe besitzen aufgrund ihrer lebensweltlichen Haftpunkte oft mehr Plausibilität als konkurrierende Fachtermini, die solche Anklänge vermissen lassen.

Der Begriff „Kreolisierung“ ist etwa ein in der Linguistik beheimateter Fachausdruck, der in seiner linguistischen Bedeutung auf die Entstehung der „Kreolsprachen“ als vermittelnder Kontaktsprachen verweist. In der davon abgeleiteten Wortbedeutung bezeichnet der Begriff sodann auch die allgemeinere Praxis kulturellen Vermischens, wodurch er sich als Alternative zum Synkretismusbegriff anbietet. Dass allerdings außerhalb der Linguistik kaum jemand um die Bedeutung von „Kreolen“ weiß, erschwert die Rezeption des Begriffs.

Anders stellt sich die Lage beim Fachterminus „Hybridisierung“ dar. Der Begriff fungiert in naturwissenschaftlichen Kontexten ebenso als terminus technicus wie in der Sprachwissenschaft, der Informatik oder in den Ingenieurswissenschaften. Dass er in diesem Artikel durchgängig Verwendung findet, liegt auch an seiner alltagssprachlichen Verständlichkeit: Man kennt Hybridmotoren und Hybridautos, aber auch Hybridpflanzen; seit der Corona-Pandemie ist „hybrid“ auch als „etwas Drittes“ neben „digital“ und „analog“ im alltäglichen Sprachgebrauch eingebürgert. Dass es sich dabei um etwas „Gemischtes“ bzw. „Zusammengesetztes“ aus mindestens zwei „Ursprungsquellen“ handelt, erklärt sich direkt aus der Verwendung in der Alltagssprache.

In den Kulturwissenschaften wird der Begriff der Hybridisierung – und davon abgeleitet der Begriff der Hybridität – folgendermaßen definiert: „‚Hybridisierung‘ [bezeichnet] den diachronen Prozess kultureller Fusionierung, der einen Zustand der kulturellen ‚Hybridität‘ herstellt, also eine Situation intensiver, synchroner Kulturtransfers“ (Schwarz 2017, 156). Dem Begriff eignet dabei aufgrund seiner bisherigen Verwendungsgeschichte eine besondere Pointe: Prägend ist für ihn neben dem etymologischen, auf das Griechische zurückgehenden Ursprung, der sich auch noch im latinisierten hybrida oder (h)ibrida („etwas Gekreuztes, Vermischtes“) erkennen lässt, vor allem sein Gebrauch in postkolonialer Literatur. Dies zeigt sich etwa bei Salman Rushdie, in dessen Werken Hybridität stark mit „riskanten Verbindungen, aus denen Neues hervorgeht“ und mit „Wandel als Gegenkonzept von Stagnation“ konnotiert ist (vgl. Schwarz 2015).

Von der Gefahrenabwehr zur Wertschätzung?

Die begrifflichen Überlegungen deuten bereits darauf hin, dass sich die Sicht auf die bezeichnete „Sache“ (also auf Hybridisierungen und Hybridität) im Laufe der Zeit massiv verändert hat, vor allem auch im theologischen Diskurs. Der die Debatten zunächst prägende Impetus des Verdächtigens und Abwehrens ist einer stärker neutralen, beobachtenden und beschreibenden Haltung gegenüber
Praktiken der Hybridisierung im Feld von Religion und Spiritualität gewichen. Dass Hybridisierungen auch wertschätzend betrachtet und als Chance oder Ressource begriffen werden können, ist aber weiterhin (eher) die Ausnahme.

Andreas Reckwitz (2017a) hat die These aufgestellt, dass in der Spätmoderne der „Kurator“ (s.u.) zum Leittypus des das eigene Leben gestaltenden Menschen geworden ist und daher Praktiken des Zusammenstellens boomen, weil durch sie mit wenig Aufwand einzigartige Güter hervorgebracht werden können, die gesamtgesellschaftlich als erstrebenswert gelten. Trifft dies zu, dürfte die eingeläutete Umwertung der Hybridisierungen von „etwas Negativem/Vermeidbarem“ zu „etwas Positivem/Erstrebenswertem“ weiter an Fahrt aufnehmen. Was erst als verdächtig, gefährlich oder beliebig erschien, dann als Faktum akzeptiert und toleriert wurde, könnte in absehbarer Zeit zunehmend auch als attraktiv, chancenreich und profilbildend bewertet werden. Theologische Impulse zu einem singulären Christsein, das sich aus disparaten Bestandteilen speist und auf Hybridisierungen basiert, deuten in diese Richtung (vgl. Lauxmann 2023). Der hier angeregte Fokus auf Vermischungen, Vermengungen, Kreuzungen und Überlagerungen für christlich-religiöse Identitätskonstruktionen legt nahe, dass es auch innerhalb des kirchlichen Christentums und der Theologie Tendenzen gibt, die das, was früher als „Synkretismus“ disqualifiziert wurde, mittlerweile ausdrücklich als Chance begreifen.

Zum Verständnis hybrider Identitäten

Für ein adäquates Verständnis von hybriden Identitäten im Feld von Religion und Spiritualität sind einige Aspekte in Anschlag zu bringen, die bislang nur angedeutet worden sind. Verschiedene Modelle und Einsichten sollen nun präsentiert werden, die helfen können, Hybridisierungen zu verstehen und besser einzuordnen.

Allesfresserei und Kultur als Ressource

Der Begriff der „kulturellen Allesfresserei“ („Omnivorousness“) stammt vom Soziologen Richard Peterson (1992; 2005; Peterson/Kern 1996) und wurde international rezipiert. Seine populär gewordene These besagt, dass die Unterscheidung von Hochkultur, Popkultur und Untergrundkultur an Bedeutung verloren hat. Menschen greifen auch in ihrer Identitätsarbeit unterschiedslos auf verschiedene Kultursphären zurück. Empirische Untersuchungen bestätigen, dass seine These auch in Deutschland Gültigkeit hat (Kunißen/Eicher/Otte 2018). Es gilt als „empirisch feststellbare Tatsache, dass sich der mit einem bestimmten […] Status verbundene Lebensstil nicht mehr in Begriffen von Hochkultur und Popularkultur […] beschreiben lässt“ (Gebesmair 2006, 883).

Mit der kulturellen Allesfresserei verbunden ist nicht nur ein deutlich weniger „geschichtetes“ Kulturmodell, sondern auch ein grundsätzliches Verständnis von Kultur als Ressource. Demnach stehen heute potenziell alle Kulturgüter für individuelle und soziale Aneignungen zur Verfügung und zur kulturkreativen Kombination frei. Die Sphäre des Kulturellen hat sich damit deutlich ausgeweitet: Wir können auf gegenwärtige wie historische Kulturreservoirs zugreifen, auf hochkulturelle wie popkulturelle, auf vertraute wie fremde Bereiche des Kulturellen. Das „Kultur-als-Ressource-Modell“ besagt, dass ein völlig entgrenzter kultureller Pool zur Verfügung steht, aus dem man sich in aller Freiheit bedienen kann. Im Hintergrund steht das selbstverständlich gewordene Gefühl der Berechtigung, über die Welt-Kultur verfügen zu dürfen. Von Hartmut Rosa ist diese Haltung als destruktive Verfügbarmachung kritisiert worden. Auch in der Debatte um „kulturelle Aneignung“ („cultural appropriation“) ist ein solcher Kulturzugriff wiederholt auf heftige Kritik gestoßen. Das ändert allerdings nichts an dem Befund, dass sich faktisch überall solche Aneignungen und Neuzusammenstellungen
vollziehen.

Liquid Identities und kuratierter Lebensstil

Dass Identitäten dynamisch und stets im Umbau begriffen sind, macht nicht nur der Begriff der Bricolagedynamik (s.o.) deutlich, sondern auch die Rede von „liquid“ oder „fluid identities“. Im theologischen Bereich hat Viera Pirker darauf hingewiesen, dass christlich-religiöse Identitätskonzeptionen im Zeitalter der Digitalität fast zwangsläufig besonders fluide und fragil sind (Pirker 2013; 2022; 2018). Entsprechende „Identitätskonstruktionen“ (Keupp u.a. 1999) sind auch die Folge eines neuen und im Westen mittlerweile kulturprägenden Subjektverständnisses.
Der „Kurator“ hat den „Künstler“ als prototypisches Leitideal westlicher Gesellschaften abgelöst: „Das spätmoderne Subjekt […] lebt ein kuratiertes Leben“ (Reckwitz 2017a, 295). Es geht demzufolge mehr denn je um die kluge Auswahl und Zusammenstellung von Einzelelementen, die vor einem Publikum „kuratiert“ werden. Man fängt also nicht – wie der Künstler – bei „null“ an und versucht etwas gänzlich Neues hervorzubringen, das möglichst dauerhaften Bestand hat. Stattdessen generiert man aus disparaten Einzelelementen der Kultur, die bereits vorfindlich sind und attraktiv genug erscheinen, durch Zusammenstellung etwas relativ Neues, das auf Zeit Aufmerksamkeit bindet. An die Stelle des Versuchs, quasi „geniestreichartig“ etwas „nie Dagewesenes“ zu schaffen, ist das Bemühen getreten, aus dem bereits Angetroffenen etwas Einzigartiges zusammenzustellen, das gerade in dieser Zusammenstellung attraktiv erscheint. Diese Trendwende hat Folgen für die religiöse Identitätsarbeit, aber auch für das Verständnis von Religion und Spiritualität und die Analyse von entsprechenden Kulturgütern, die sich nur mehr schwer klassifizieren lassen. Dass Typologien, bei aller Beliebtheit, nicht nur im Feld von Religion und Spiritualität in der Krise sind, ist vor diesem Hintergrund verständlich.

Divergierende Regime

Hybride Identitäten, wie nunmehr grob skizziert, folgen einem bestimmten Regime von Kulturalisierung. Reckwitz spricht formal von „Kulturalisierung I“ und qualifiziert das Regime inhaltlich als kulturkosmopolitische Öffnung. In diesem Regime wird die gesamte globale Kultursphäre („Hyperkultur“) als eine allen zur Verfügung stehende Ressource betrachtet, die ein freies Kombinieren ermöglicht. Daneben gibt es aber auch ein konkurrierendes Regime, „Kulturalisierung II“ genannt; hier erfolgen kulturessenzialistische Schließungen, die vor allem durch sogenanntes Ingrouping und Outgrouping vorgenommen werden. Beide Regime prägen, trotz aller Gegenläufigkeit, die Gegenwart gleichermaßen und bringen mit unterschiedlicher Stoßrichtung komplexe kulturelle Gebilde mit Besonderheitsanspruch hervor – dazu zählen offene, aber auch geschlossene Identitäten (vgl. Reckwitz 2017b).

Hybridisierung in der Weltanschauungsarbeit

Die im Bereich von Religion und Spiritualität stattfindenden Hybridisierungen wären missverstanden, würde man sie vor allem mit Beliebigkeit in Verbindung bringen oder als bloße Randphänomene deuten wollen. Sie haben für die gegenwärtige, in der Spätmoderne zunehmend komplexer werdende Arbeit an Identität große Relevanz: Sie können attraktive Profile hervorbringen und so auch das Sozialkapital vergrößern. Aufmerksamkeit findet heute zunehmend das, was in seiner spezifischen Hybridität affiziert. In den Ausführungen dürfte zudem deutlich geworden sein, dass Hybridisierung ein vielschichtiger Prozess ist, der gravierende Auswirkungen auch auf die weltanschauliche Bewertung von einzelnen Phänomenen im Feld von Religion und Spiritualität hat.

„Christliches Yoga“ ist mehr als bloß Yoga plus Christentum. Es gilt, die mit der Hybridisierung verbundene Komplexität wahrzunehmen: Das, was etwa Katharina Mutzbauer im kirchlichen Kontext als „yoga himmelwärts“ anbietet (vgl. Schomaker-Engemann 2021), ist das Resultat von Hybridisierungspraktiken. Verschiedene Bestandteile aus unterschiedlichen religionskulturellen Wissensspeichern werden dabei so vermischt, verknüpft und neu arrangiert, dass etwas relativ Neues mit bemerkenswerter Eigencharakteristik entsteht. Auch das, was etwa Birgit Fischer im esoterischen Bereich als Medium, Heilerin und energetische Lehrerin in Form von „Starseeds-Healing“ anbietet, lässt sich nicht mehr einfach als „New Age“, „Energiearbeit“, „Heilung“ oder „praktizierter UFO-Glauben“ qualifizieren; auch hierbei handelt es sich um ein hybridisiertes Gebilde mit innerer Dichte, das sich aus unterschiedlichen Elementen und Traditionen zusammensetzt und gerade aufgrund dieser Zusammenstellung auf Menschen attraktiv wirken kann.

Dass die Beauftragten für Weltanschauungsfragen in ihrer Beratungsarbeit in den letzten Jahren vermehrt mit Einzelfällen konfrontiert werden (d.h. mit einzelnen Gruppen, konkreten Akteur:innen und besonderen Angeboten), die von ihnen nicht selten erst einmal recherchiert und eingeordnet werden müssen, dürfte auch damit zusammenhängen, dass Hybridisierungen weiter an Bedeutung gewonnen haben und zunehmend als besonders und interessant wahrgenommen werden. Der implizite Appell unserer Zeit findet also auch im Feld von Religion und Spiritualität seinen Widerhall: „Kombiniere! Variiere! Transformiere!“ (Wilke 2015, 11).

Bernhard Lauxmann, Mai 2024

 

Literatur

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Gebesmair, Andreas (2006): Von der „Kultur für alle“ zur „Allesfresser“-Kultur. Unintendierte Folgen der Kulturpolitik, in: Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede, Frankfurt a.M.: Campus, 882–897.

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