Sri Sri Ravi Shankar (Art of Living)

Sri Sri Ravi Shankar (Art of Living)

Eine gewalt- und stressfreie Welt – mit dieser Vision reist der indische Guru Sri Sri Ravi Shankar um den Globus. Sie soll durch die (Wieder-)Belebung menschlicher Werte Wirklichkeit werden. Der Gründer und spirituelle Führer der „Art of Living Foundation“ versteht sich als Botschafter des Friedens und humaner Werte. Individueller Stress, soziale Probleme, Traumafolgen und vieles mehr sollen auf der Grundlage rhythmischer Atemübungen abgebaut werden. Die vom „Gurudev“ gegründeten NGOs sind mit einem breit gefächerten Thementableau professionell aufgestellt. So fördert die „International Association for Human Values“ in vielen Regionen dieser Erde unter anderem karitative Projekte und Nothilfe, nachhaltige Entwicklung, Bildung, Prävention und Friedensarbeit.

Leben und Wirken

Sri Sri Ravi Shankar (Sri/Shri/Shree ist indischer Ehrentitel) erblickte 1956 als Spross einer angesehenen Kaufmannsfamilie in Papanasam im südindischen Tamil Nadu das Licht der Welt.1  Die wenigen bekannten Daten zu seinem Lebenslauf tragen hagiografische Züge. So wird berichtet, dass er bereits im Alter von vier Jahren die Bhagavadgita rezitieren konnte und mit neun Jahren den Rigveda gemeistert habe. Als er zwischen Bankmanager und spirituellem Weg wählen sollte, entschied er sich für Letzteres. Die offizielle Internetseite notiert einen Abschluss in vedischer Literatur und einen Bachelor of Science der Universität Bangalore. Ende der 1970er Jahre kam er in Kontakt mit Maharishi Mahesh Yogi und dessen Transzendentaler Meditation (TM). Zwar währte seine Zeit bei TM nicht sehr lang, doch immerhin war er nicht nur Schüler des TM-Gründers, sondern „Gouverneur des Zeitalters der Erleuchtung“ in dessen „Weltregierung“.2
 
Anfang der 1980er Jahre entdeckte („empfing“) Ravi Shankar während eines zehntägigen Schweige-Retreats in Shivamogga/Shimoga (Karnataka) seine eigene Entspannungsmethode und entwickelte „Sudarshan Kriya“, eine Abfolge von Atemtechniken, die die Grundlage der vielfältigen mit seinem Namen verbundenen Kurse und Angebote bildet.3

Er gründete in Bangalore 1981/1982 die Art of Living Foundation, die heute als internationale, gemeinnützige humanitäre Organisation weltweit Yoga- und Meditationskurse sowie Programme zur Persönlichkeitsentwicklung anbietet. 1997 gründete er die International Association for Human Values (IAHV), „um in Zusammenarbeit mit The Art of Living nachhaltige Entwicklungsprojekte zu koordinieren, menschliche Werte zu fördern und Lösungen in Konfliktgebieten zu finden“ (Internetseite). Sowohl Art of Living als auch die IAHV sind bei den Vereinten Nationen akkreditierte NGOs und gehören zu den größten auf ehrenamtlicher Arbeit basierenden Organisationen weltweit, so die Auskunft auf der Internetseite.

2003 initiierte der Guru das „World Forum for Ethics in Business – International Leadership Symposium“, das große internationale Konferenzen unter anderem im Europäischen Parlament durchführt, in den vergangenen Jahren verstärkt zum Thema Ethik im Sport.

Heute reist Ravi Shankar unermüdlich in Sachen Konfliktlösung und Friedensvision. Besonders hervorgehoben werden etwa seine erfolgreichen Bemühungen im Irak, in Kaschmir und Kolumbien. Vor einigen Jahren wurde über seine Unterstützung der Friedensverhandlungen zwischen Farc-Guerilla und kolumbianischer Regierung berichtet.

Deutschland bereist der Guru regelmäßig seit Ende der 1970er Jahre. 1995 erwarb er das ehemalige traditionsreiche Kurhotel Bad Antogast in Oppenau-Maisach im Schwarzwald, wo sich die deutsche und europäische Zentrale etablierte.

Ravi Shankar versteht sich medienwirksam in Szene zu setzen. Im November 2009 empfing er Günther Oettinger, damals noch Ministerpräsident von Baden-Württemberg und designierter EU-Kommissar, mit einer großen Delegation aus Wirtschaft und Politik in seinem Art of Living-Ashram bei Bangalore. Während die Besucher wohl eher einen harmlosen Folkloreabend erwartet hatten, erlebten sie eine von Kamerateams dokumentierte, perfekt inszenierte Werbeveranstaltung für die Programme und die Weltanschauung des Gurus.

2011 wurde der Guru zu einem „interspirituellen Dialog“ auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden eingeladen. Mit ihm diskutierte eine evangelische Theologin.

Das 30-jährige Bestehen von Art of Living wurde im Juli 2011 mit dem World Culture Festival im Olympiastadion in Berlin gefeiert. Die Teilnehmerzahlen blieben weit unter den Erwartungen, die Ränge konnten – sicher auch wetterbedingt – nicht gefüllt werden. Ebenfalls mit Schwierigkeiten, wenn auch ganz anderer Art, hatte das World Culture Festival 2016 zum 35-jährigen Bestehen zu kämpfen. Die Vorbereitungen zu der Großveranstaltung mit erwarteten dreieinhalb Millionen Gästen am Ufer des Yamunaflusses in Neu-Delhi riefen Naturschützer auf den Plan. Es kam zu massiven öffentlichen Debatten und gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Sri Sri Ravi Shankar erhielt laut Selbstdarstellung Auszeichnungen vieler Staaten, darunter mehrere Ehrendoktortitel.

Elemente der Lehre und der Praxis

„Die Basis für eine Gesellschaft ohne Stress sind friedfertige Menschen.“ „Die Sicht von Ravi Shankar ist folgende: ‚eine gewaltfreie Gesellschaft, ein von Krankheit freier Körper, ein klarer, freier, tiefer Atem, ein Geist frei von Verwirrung, ein Intellekt frei jedweder Beklemmung, ein traumafreies Gedächtnis und eine sorgenfreie Seele ist das Geburtsrecht jedes Menschen.‘“5

Die Welt ist eine Familie (One World Family), Unterschiede und Vielfalt entspannt feiern und voneinander lernen – die durchweg ebenso einfachen wie positiven Botschaften des Meisters sollen zuverlässige Wege zum glücklichen Leben weisen. Schwierigkeiten entstehen aufgrund falscher Einstellung. „Nichts kann ein Hindernis sein, wenn du es nicht erlaubst. Du und dein eigener Geist sind es, die etwas zum Hindernis werden lassen.“ Hat man Probleme mit der Religion, lautet eine Antwort: „Das macht nichts. Bewege dich von der Religion zur Spiritualität. Du bist ein spirituelles Wesen, und das genügt. Jede Religion hat uns etwas Schönes zu bieten. Nimm dir etwas von allen Religionen der Welt und geh weiter. Du musst nicht darin festhängen. Mach dir keine Sorgen.“6  In der Spiritualität liege die Kraft. Bekannt ist der Guru für den Vergleich: „Religion ist die Bananenschale und Spiritualität die Banane.“ Das Elend in der Welt sei entstanden, weil wir Menschen an der leeren Schale festhalten und die Banane wegwerfen.7

Was unter Spiritualität allerdings zu verstehen ist und wie sie inhaltlich gefüllt ist, bleibt eher im Unbestimmten. Zentral ist die Botschaft der Liebe. Sie fußt auf der nondualistischen Auffassung der Einheit der Schöpfung, wie sie im indischen Vedanta zu finden ist. Alles ist Teil des Göttlichen, es gibt nur einen Gott, der in vielen Sprachen und auf unterschiedliche Weise verehrt wird. Ravi Shankar vergleicht häufig Jesus mit Krishna. Er selbst reiht sich in die Reihe der Heiligen ein, nennt sich „Seine Heiligkeit“ und wird vorgestellt als einer, „der viele Göttinnen und Götter in sich vereint“. Anhänger sehen in ihm nicht nur jahrtausendealte indische Weisheit, sondern die reine Liebe verkörpert. Diese ist die wahre Natur des Menschen wie die des Göttlichen. Das zu „realisieren“, ist das Ziel des spirituellen Weges. Die Eindrücke und Erfahrungen, die Menschen auf ihrem Lebensweg sammeln, verdunkeln den Geist. Es braucht Übung, den befreienden Zustand innerer Leere zu erreichen, der unser Selbst in der Erfahrung dieser Einheit zum Leuchten bringt. Wenn Menschen frei von Spannungen und Stress sind, werden die menschlichen Werte wie Mitmenschlichkeit und soziale Verantwortung automatisch gelebt.

So verbindet Ravi Shankar positives Denken und praktischen Pantheismus mit indischer Gurumystik. Er entwickelte analog zu TM seine eigenen Methoden. Die „Sudarshan Kriya“ genannte „kraftvolle Atemtechnik“ zur persönlichen Entwicklung soll vor allem dazu dienen, Stress abzubauen, das Immunsystem zu stärken, Frieden im Geist herzustellen, kurz: sich besser zu fühlen. Denn „Atem, Gefühle und der Geist sind sehr direkt miteinander verbunden“ (R. Shankar). Neben einem wissenschaftlichen Anspruch wird damit vor allem eine Hoffnung verbunden: dass mithilfe des Atems und der Meditation die Sehnsucht nach einer besseren, einer von menschlichen Werten geleiteten Welt erfüllt werden kann.

Sudarshan Kriya Yoga (SKY) ist Herzstück des „Art of Living Happiness Programms“. Der Mix aus Yoga, Atemtechniken und Meditationen wird in neun Stunden an drei Tagen gelehrt (3x3), Kostenpunkt: 265 Euro.

Organisation und Verbreitung

Ähnlich wie Maharishi initiierte auch Ravi Shankar immer wieder neue Aktionen und Stiftungen. Hilfsprojekte in Entwicklungsländern werden ebenso durchgeführt wie Trauma- und Stressbewältigungskurse in Krisengebieten oder Resozialisierungsprogramme.

Die Art of Living Foundation („Kunst des Lebens“-Stiftung, AOLF) ist nach eigenen Angaben in über 150 Ländern tätig. Sie hat einen Sonderberaterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der Vereinten Nationen. Auf der Internetseite artofliving.org sind für Deutschland 45 Zentren angegeben, für die Schweiz zehn und für Österreich eines.

Die International Association for Human Values (IAHV) bietet humanitäre und soziale Programme „zum Abbau von Stress und zur Entwicklung von Führungskräften an, damit menschliche Werte in einzelnen Menschen und Gemeinschaften gedeihen können“ (Internetseite). In Asien, Afrika und Lateinamerika seien in der Vergangenheit mehr als 30000 Dörfer und über 65000 Jugendliche vor Ort erreicht worden.

Das Kursangebot ist ausdifferenziert. Spezielle Kurse werden etwa für Kinder und Jugendliche angeboten, um die Lebenstüchtigkeit durch Stressreduktion und den richtigen Umgang mit Emotionen zu steigern (ART Excel, All Round Training in Excellence). In Justizvollzugsanstalten werden „Art of Living“-Kurse im Rahmen des „Prison SMART“-Programms (Stress Management and Rehabilitative Training) angeboten, seit Sommer 2018 etwa auch in Berlin (Tegel).

Die IAHV ist nach Schweizer Recht registriert (Sitz in Genf). Die Schweizer Zentrale ist die Dachorganisation der IAHV in 17 Ländern (neun europäische Länder, USA, Kanada, Russland, aber auch afrikanische Länder, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indien und Australien). Das europäische Zentrum ist in Deutschland registriert. Es beherbergt heute die „Akademie Bad Antogast“ und bietet Workshops, Kurse und Yogaretreats für Tausende internationale Gäste jedes Jahr.

Einschätzung

Ravi Shankar – freundlich lächelnd, blütenweißes Gewand, langes schwarzes Haar  – ist weniger als „Lehrer“ unterwegs, sondern ist Impulsgeber, Inspirator, Motivator mit sanfter Freundlichkeit. „Ich möchte nichts, nur Wohlstand, Wohlbefinden und Glück für alle Menschen“, sagt er. Ein typischer Buchtitel: „Gott liebt Spaß“. Die zentrale Botschaft beim World Culture Festival 2011 in Berlin war die: Damals fielen die Mauern Berlins, jetzt müssen durch Liebe und Harmonie auch die Mauern zwischen den Kulturen fallen. Unbeschwert von weiteren Erklärungen oder gar Begründungen scheint die starke Persönlichkeit des Gurus auszureichen, um Menschen zu begeistern. Das spirituelle Entertainment des „höchsten Lehrers der Erleuchtung“, wie der Guru auch genannt wurde, findet seine Anhänger trotz – oder vielleicht doch gerade wegen? – der für Außenstehende auffallenden Einfachheit der Inhalte. Hinzu kommt ein überzogener Selbstanspruch („Die Menschen warten überall auf mich“).

Problematisch ist es, wenn karitative Anliegen zur Werbung für die eigene Weltanschauung instrumentalisiert werden. Immer wieder werden Wege gesucht, das „Glücksverwirklichungsprogramm“ (sic) des Gurus als einfache Yogaübungen auch in Betrieben und Schulen anzubieten.

Das wissenschaftliche Gewand ist für die Transzendentale Meditation (TM) Maharishis charakteristisch, doch auch der Sudarshan Kriya Yoga Ravi Shankars rekurriert auf (pseudo-)wissenschaftliche Erläuterungen zu den Wirkungen der Atemtechniken. So sollen sich Stress, Ängste und Ähnliches auf zellulärer Ebene als Gifte niederschlagen, die mithilfe der Atemtechnik wieder ausgeschieden werden können. Kriya Yoga ist ursprünglich ein tantrischer Kundalini-Yoga, der von Paramahamsa Yogananda im Westen bekannt gemacht wurde. Tantrische Gurus arbeiten vor allem mit den unteren beiden „Chakren“, es geht um körperliche Stärkung und die Mobilisierung vitaler Energien (Sexualität), die zur Kundalini-Erweckung führen sollen.

Neben der Säkularisierung und der Radikalisierung von Religion ist auch die Banalisierung eine nicht zu vernachlässigende Tendenz auf dem Markt. Marktförmige Angebote leicht verdaulicher Glücksversprechen verleiten – trotz humanitären Einsatzes – zu ichzentrierten und weltflüchtigen Idealisierungen. „Religion light“ ist nicht per se gefährlich, verharmlost aber doch komplexe Zusammenhänge und verhindert daher möglicherweise deren verantwortungsvolle Wahrnehmung.

Friedmann Eißler, November 2019


Internet

www.srisriravishankar.org

www.artofliving.org/de-de

www.iahv.de


Literaturhinweise

Dehn, Ulrich: Sri Sri Ravi Shankar – der Unterhaltungswert des Banalen, in: MD 8/2002, 243-246.

Neff, Matthias: Die „Art of Living“ und ihr Guru Sri Sri Ravi Shankar, in: Baer, Harald / Gasper, Hans / Sinabell, Johannes / Müller, Joachim (Hg.): Lexikon nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, Freiburg i. Br. 2010, 211f.

Schmid, Georg: Ravi Shankar und die glücklichen Menschen, in: MD 6/2011, 220-224.


Anmerkungen

1  Sein Namensvetter, der Sitar-Spieler und Weltmusiker Ravi Shankar, wurde 1920 in Vanarasi/Benares geboren und starb 2012 in San Diego.

2  www.agpf.de/Ravi-Shankar.htm mit Belegen.

3  www.artofliving.org/de-de/yoga/atemtechniken-pranayama/was-ist-sudarshan-kriya.

4  www.artofliving.org/de-de/ueber-organisation.

5  Aus „Indian Spiritual Gurus. Twentieth Century“ von M. L. Ahuja, 225-236, zit. nach https://wiki.yoga-vidya.de/Sri_Sri_Ravi_Shankar.

6  https://wissenvonsrisriravishankar.wordpress.com/2013/07/30/von-der-religion-zur-spiritualitat.

7  Der Tagesspiegel, 18.9.2007, www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/sri-sri-ravi-shankar-lachen-ist-der-schoenste-luxus/1046174.html.