Mandäer

Von den Mandäern ist gelegentlich die Rede, wenn es um die frühe Christentumsgeschichte geht, da mandäische Schriften als wichtige Zeugnisse der antiken Gnosis gelten. Auch bei der Betrachtung der früh­islamischen Geschichte wird man auf die Mandäer aufmerksam, da die Bezeichnung „Sabäer/Sabier“ mehrmals im Koran vorkommt. Weniger bekannt ist, dass es heute eine mandäische Gemeinde in der Diaspora gibt, auch in Deutschland.

Geschichte und Gegenwart

Wo die Ursprünge des Mandäismus liegen, ist nicht geklärt, ebenso wenig die früheste Geschichte. Sie reicht ins 1. bis 2. Jahrhundert, vielleicht in vorchristliche Zeit zurück. Die – erst seit dem 19. Jahrhundert übliche – Bezeichnung Mandäer leitet sich von mandäisch manda „Erkenntnis“ ab, was griechisch „Gnosis“ entspricht. „Mandäer“ bedeutet also etwa „Wissende, Gnostiker“. Eine alte Selbstbezeichnung ist „Nazoräer“, d. h. „diejenigen, die [die Gebote und Riten] einhalten; Behüter“ oder „Eingeweihte“ (von aram. n-z-r; hier nicht zu verwechseln mit den ebenso bezeichneten aramäischen Christen). Sprachliche Elemente und Bezüge zum Frühjudentum (Waschungs- und Taufrituale, Reinheitsgebote) weisen in den Bereich der häretischen jüdisch-gnostischen Sekten. Dazu passt, dass Johannes der Täufer ein Priester der Nazoräer gewesen sein soll, was die Mandäer zeitweise als Nachkommen der Johannesjünger oder gar als „Johanneschristen“ erscheinen ließ. Johannes wird freilich nicht als der Religionsgründer betrachtet, sondern als der letzte Prophet. Die mandäische Überlieferung betrachtet den Mandäismus vielmehr als älteste Religion der Menschheit aus der Zeit Adams. Nach der erzwungenen Auswanderung aus Palästina (im 1. Jahrhundert?) seien die Mandäer Richtung Osten in die Gegend von Harran und später von hier aus in die südlichen Gegenden des Zweistromlands gezogen, die heute im Irak und teilweise im Iran liegen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten fast alle Mandäer in dieser Region, der Großteil auf irakischem Boden. Dort wurden und werden sie Subba (Pl., klassisch arab.sabi’un) genannt, was soviel wie „Baptisten, Täufer“ heißt. Obwohl die Sabier, wie schon erwähnt, im Koran vorkommen (Sure 2,62; 5,69; 22,17) und aufgrund dessen vergleichbar mit Juden und Christen als Angehörige einer „Buchreligion“ gelten, hat ihnen dieser Status in islamischer Zeit keine Vorteile verschafft. Erst in moderner Zeit (Republik Irak) ließ der Druck auf die Minderheit nach. Mit den Golfkriegen und dem Irakkrieg (seit 2003) traten Entwicklungen ein, die nicht nur die Mandäer in dieser Region vor existenzielle Herausforderungen stellen.

Traditionell waren die Mandäer als Gold- und Silberschmiede sowie als Boots- und Brückenbauer bekannt. Mit der Abwanderung vieler Mandäer in die Städte (Bagdad, Basra) und ins Ausland in mehreren Wellen seit rund 50 Jahren ging eine tiefe innere Krise einher. Assimilationsdruck, zunehmende Bildungschancen und eine verbesserte sozio-ökonomische Situation entfremdeten viele Mandäer ihrer Tradition und Herkunft. Unter dem Druck veränderter Verhältnisse und dem verstärkten Einfluss von gebildeten Laien kam es zu Konflikten um Reformen, die in den 1970er Jahren zur Spaltung der Gemeinde führten. In den 1980er Jahren wurde ein „Höchster Geistlicher Rat des Volkes der Sabier und Mandäer“ gebildet, dem neben Priestern auch Laien angehören. Man versucht, die mandäische Kultur und Religion durch Unterricht und Publikationen zu erhalten. Erst langsam kommen jedoch ausgebildete Priester nach, die die weit verstreute Gemeinde betreuen könnten.

Die Zahl der Mandäer wird unterschiedlich geschätzt. Nach Angaben der Gemeinde mögen es weltweit etwa 70 000 sein, die sich inzwischen in vielen Ländern niedergelassen haben, so etwa in den USA, in Australien (ca. 6000, hier vorwiegend aus Iran und mit zwei Hauptpriestern, resh amma), Kanada, England, Holland, Dänemark, Finnland und Schweden (ca. 5000). Die im Irak verbliebenen wenige tausend Mandäer sind – wie christliche Minderheiten oder die Yeziden dort – in ihrer Existenz bedroht. In Deutschland leben nach Gemeindeangaben etwa 2200 Mandäer, hauptsächlich Flüchtlinge aus dem Irak. Große Gemeinden sind in München (ca. 850) und in Nürnberg (über 800 Personen) vorhanden, weitere in Stuttgart (ca. 200) und in Düsseldorf (ca. 150). Mehrere Vereine wurden gegründet, um das religiös-kulturelle Erbe pflegen und die Durchführung der notwendigen Riten gewährleisten zu können. In Deutschland gibt es einen Priester, der allerdings nicht alle Zeremonien durchführt. Im europäischen Ausland sind einige Priester ansässig, davon zwei in den Niederlanden und einer in Dänemark. Eine Sprecherrolle für die Mandäer in Deutschland übernimmt Sabih Alsohairy, früher Universitätsprofessor in Bagdad, heute Vorsitzender der Gemeinde in Nürnberg und einer der wenigen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Mandaistik, der selbst dieser Religionsgemeinschaft angehört.

Lehre und Praxis

Die Lehre ist in schriftlichen Zeugnissen niedergelegt („Buchreligion“), die in einer eigenen (ostaramäischen) Sprache mit eigener Schrift verfasst sind. Mandäisch ist heute ausschließlich Kultsprache und wird nur von wenigen beherrscht. Zu den wichtigsten Schriften gehören: der Ginza („Schatz“) mit Glaubenslehren der Mandäer theologischen, mythologischen und liturgischen Inhalts, von der Entstehung der Welt über moralische Lehren bis zum „Buch der Seelen“, das sich auf die Sterbezeremonie bezieht; das „Johannesbuch“ (drasha d-Yahya) mit Predigten und Belehrungen Johannes des Täufers; sowie das Gebetbuch Qolasta mit Hymnen und Gebeten für verschiedene Anlässe.

Auch die Geschichte dieser Quellen ist nicht geklärt, was Folgen für die Darstellung der Lehre hat. Die in den älteren Schichten durchgehend vorherrschende dualistische Weltanschauung ist in einem engen Zusammenhang mit der antiken gnostischen Vorstellungswelt zu sehen. Die „Welt des Lichtes“ und die „Welt der Finsternis“, Gut und Böse, stehen einander feindlich gegenüber. Das höchste Wesen der Lichtwelt, das „(erste) Leben“ (haiia), wird von einer Menge von Lichtwesen umgeben (utra„gute Engel“, eigtl. „Reichtum“), die an himmlischen Gewässern wohnen und den „großen Geist“ lobpreisen, aus dem sie hervorgingen. Stufenweise entstanden (durch Schöpfung oder Emanation) weitere Lichtwelten, die sich in immer größerer Distanz vom ersten ursprünglichen Lichtquell befinden und so mehr und mehr in die Nähe der Finsterniswelt geraten. Herr der Finsternis ist ein Produkt des bösen „Geistes“ (ruha), des abgefallenen Widersachers der Lichtwelt. Auch hier gibt es viele Welten, voller dämonischer Wesen und Mächte, zu denen die „Sieben“ (nämlich Planeten) und die „Zwölf“ (Tierkreiszeichen) gehören. Unsere irdisch-materielle Welt ist durch ein Zusammenwirken einer Ptahil genannten Lichtwelt mit Elementen der Finsternis entstanden. Dieser Verbindung gemäß ist der bloße Körper des Menschen gleichsam Finsternismaterie, während die belebende „Seele“ (nishimta) aus der Lichtwelt stammt und daher gleichsam göttlichen Ursprungs ist. Zentrale Lehre und Ziel der kultischen Praxis ist die Befreiung der Seele aus dem nichtigen Körper und ihr „Aufstieg“ (masiqta) in die Lichtwelt, die zu diesem Zweck Lichtboten (Erlöser) entsandt hat.

Eine wichtige Erlöserfigur, Manda d-Haije („Erkenntnis des Lebens“), wurde schließlich nicht nur mythologisch, sondern historisch verstanden, als Gegner des „Christus“ in Jerusalem. Jesus Christus ist nach mandäischer Lehre zwar von dem Täufer (und mandäischen Propheten) Johannes getauft worden, später aber davon abgewichen, um eine eigene Gemeinde zu bilden.

Über die individuelle Rettung hinaus glauben die Mandäer an ein endzeitliches Gericht. Dereinst wird das Licht endgültig emporsteigen und die Finsternis an ihren Ort zurückkehren, was den Untergang dieser irdischen Welt mit einschließt.

Zur Priesterhierarchie gehören Novizen und Gehilfen, einfache Priester (tarmida), „Schatzmeister“ (ganzibra, ungefähr einem Bischof vergleichbar); den höchsten Rang nimmt das Oberhaupt oder der Hauptpriester, resh amma, ein. Nur Priester können die Rituale vollziehen, sie gelten als „Könige“ und Repräsentanten der Lichtwesen und genießen entsprechende Hochachtung. Die wichtigsten Zeremonien sind die Taufe, die Hochzeit und das Sterberitual. Die Gebetsrichtung ist der Norden, der Kult findet ohne Musik statt. Die Taufe (masbuta, sprich maswetta, von der Wurzel s-b-’ „untertauchen“) ist ein umfangreiches Ritual, das zu verschiedenen festlichen Anlässen an Sonntagen wiederholt wird. Sie dient zur Sündenvergebung, als Vorwegnahme und zugleich Bedingung der Erlösung der Seele, die sich beim Aufstieg mit der Taufe und guten Werken ausweisen muss. Das mehrfache Untertauchen muss in fließendem („lebendigem“) Wasser stattfinden, weshalb das traditionelle mandäische Heiligtum (mandi) an einem Fluss liegt, sodass Wasser in einen Teich auf dem Kultareal („Jordan“ genannt) zugeführt und abgeleitet werden kann. Erst in jüngerer Zeit sind künstliche Taufbecken erlaubt. Zuletzt wurde in Schweden ein Taufbecken erbaut, damit Zeremonien künftig auch im Winter stattfinden können. Die Heirat ist Pflicht, auch für Priester, die Einehe ist vorgeschrieben. Es gibt bestimmte Reinheitsvorschriften, Speisegebote, wichtig sind ferner Almosengaben. Die Beschneidung ist untersagt. Die Tierschlachtung ist rituell geregelt vergleichbar mit dem Schächten. In Gefahrensituationen ist die Verleugnung bzw. das Verbergen der religiösen Zugehörigkeit möglich und geboten. Mandäer wird man durch Geburt, Konversionen zum Mandäismus sind nicht vorgesehen.

Für die günstige Lösung der Seele vom Körper ist die Totenzeremonie entscheidend (masiqta, sprich massechta). Der „Aufstieg“ wird mit umfangreichen und komplexen Ritualen begleitet. Er dauert 45 Tage, in denen die Seele verschiedene Stadien durchlaufen und gefährliche Anfechtungen durch negative Mächte der Finsternis bestehen muss, bevor sie, so geprüft, mit der Lichtwelt vereinigt werden kann. Toten- und Gedächtnismahle zeigen die enge Verbindung der Lebenden mit den Seelen der Verstorbenen.

Wenige Riten können ohne Priester von Laien durchgeführt werden. Dazu gehören Gebete und Reinigungswaschungen, die als eine Art Selbsttaufe in bestimmten Situationen vorgesehen sind. Neben einem Neujahrsfest, das im Juli stattfindet, werden weitere Feste im Jahreslauf des mandäischen Sonnenkalenders gefeiert. An 36 „unreinen“ übers Jahr verteilten Tagen dürfen keine Tiere geschlachtet werden, und man darf weder Fleisch, Fisch noch Eier essen. Es soll eine Zeit der Enthaltsamkeit sein, die in die Abwehr böser Absichten einübt.

Die Mandäer sind an interreligiösen Kontakten interessiert. Heute betonen Mandäer den monotheistischen Charakter ihres Glaubens, die Bedeutung der Propheten, etwa Johannes des Täufers, wie auch den Besitz heiliger Schriften – was vor dem Hintergrund der extremen Minderheitensituation in den islamisch dominierten Herkunftsregionen mehr als verständlich erscheint.

Einschätzung

Die Mandäer werden als „die letzte spät­antike gnostische Religionsgemeinschaft der Welt“ bezeichnet. Sie sehen sich selbst als Zeugen der Vergangenheit und der antiken Religionen und als Bewahrer des religiös-kulturellen Erbes des alten Zweistromlandes. Dabei nehmen sie eine gewisse Sonderstellung ein, da neben der „Erkenntnis“ (manda, Gnosis) die kultische Praxis heilsnotwendige Bedeutung hat. Bezüge zum Christentum wurden in der Bibelwissenschaft (R. Bultmanns Auslegung des Johannesevangeliums) thematisiert, gehören aber nicht zum Selbstverständnis der Mandäer (ebenso wenig wie Bezüge zum Judentum). Dass sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr mandäische Laien, darunter nicht wenige Akademiker, zunehmend für die eigene Kultur und deren Stärkung interessiert und eingesetzt haben, hat zu gravierenden Veränderungen geführt, die aber auch neue Chancen für den Erhalt des Mandäismus in der Gegenwart bergen. Es gibt Anzeichen positiver Entwicklungen. So nimmt die Zahl der Priester offenbar wieder zu. Inwieweit in Deutschland eine Konsolidierung der Mandäer als Religionsgemeinschaft erwartet werden kann, ist derzeit offen.

Friedmann Eißler, November 2013


Literatur

Sabih Alsohairy, Die irakischen Mandäer in der Gegenwart, Hamburg 1975

Jorunn Jacobsen Buckley, The Mandaeans. Ancient Texts and Modern People, New York 2002

Jiří Gebelt, VI.2 Die Mandäer, in: M. Klöcker/U. Tworuschka (Hg.), Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum, Loseblattwerk, 13. Ergänzungslieferung, München 2006

Mark Lidzbarski, Ginzā. Der Schatz oder das große Buch der Mandäer, QRG 13, Göttingen 1925 (Neudruck 1979)

Kurt Rudolph, Ein Überbleibsel: Die Mandäer, in: ders., Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, unveränd. Nachdruck der 3., durchges. und erg. Aufl., Göttingen 1994, 379-394 (Erstauflage Leipzig 1977)

Ders., Art. Mandäer/Mandäismus, in: TRE Bd. 22, Berlin/New York 1992, 19-25

Ders., Die Religion der Mandäer, in: H. Gese u. a. (Hg.), Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer, Religionen der Menschheit 10/2, Stuttgart u. a. 1970, 403-462