Hatun Tuku

Zwischen zwei Welten. Die Geschichte einer Jesidin in Deutschland

Hatun Tuku, Zwischen zwei Welten. Die Geschichte einer Jesidin in Deutschland, Pro Business Verlag, Berlin 2009, 138 Seiten, 9,50 Euro.


Sie will das Schweigen brechen und auf Änderungen hinwirken, wo die Sitten der früheren Heimat und patriarchalisch geprägte Traditionen einem selbstbestimmten Leben in Freiheit und Würde entgegenstehen. Sie will insbesondere Frauen helfen, ihre Rolle in der modernen, pluralistischen Gesellschaft zu finden. Es sind hohe Ziele, die sie sich steckt und durchaus streitbar vertritt und die doch auf anziehend natürliche und bescheidene Art und Weise formuliert werden: Hatun Tuku, eine aus dem kurdischen Südost-Anatolien stammende deutsche Jesidin (siehe die Dokumentation in dieser Ausgabe des MD, S. 18ff), ist keine Revolutionärin. In locker verbundenen Szenen erzählt sie aus ihrem Leben und zeigt: So kann es gehen. Eher undramatisch, hier und da fast im Plauderton, nimmt sie ihre Leser mit an die Orte ihrer Kindheit, auf den Weg nach Deutschland, über durchlittene Enttäuschungen und erneute Aufbrüche bis hin zu ihrer heutigen Tätigkeit als Übersetzerin und interkulturelle Beraterin in einem ökumenischen Sozialprojekt.

Ihre Entschiedenheit, als „säkulare Jesidin“ ihren Platz in der deutschen Gesellschaft auszufüllen und ihre Landsleute wachzurütteln, macht sie schon in der Einleitung deutlich. In drei Kapiteln entfaltet sie dann in vorwiegend kleinen Episoden, was sie geprägt und bewegt hat. Zunächst gibt sie einen kompakten Überblick über das Jesidentum, dann geht es ausführlich um die Familie, die Sippenbande und die damit verbundenen Verflechtungen, die als solidarische Gemeinschaft, aber auch als einengende und vor Gewalt nicht schützende Bevormundung erlebt werden. Beschreibungen von kulturellen Bräuchen und religiösen Sitten fließen ein. Jenseitsbruderschaft, Hochzeitsbräuche, auch Brautgeld und arrangierte Ehen einschließlich der Schwierigkeiten mit der eigenen frühen Heirat sind Themen unter anderen. Selbstmordgedanken folgen der Abwanderung aller Geschwister. Selbst in Deutschland angekommen, wird schließlich nach dem fünften Kind die ärztliche Empfehlung, Laufen zu gehen, zum Türöffner für eine neue Welt. Tuku stürzt sich in Wettkämpfe und absolviert in ihren aktiven Jahren ein unglaubliches Pensum an Trainingskilometern. In der Presse wird sie als „erste jesidische Marathonläuferin“ gefeiert, bis sie die Laufschuhe an den Nagel hängt und ihre Erfahrungen in Lauftreffs für Frauen weitergibt. Ihre interkulturelle Erfahrung fließt in die Beratungstätigkeit ein.

Ein viertes Kapitel stellt am Ende einige Textauszüge und Hinweise zum Schöpfungsbericht und den Anfängen der Menschheit aus der jesidischen Schwarzen Schrift, dem Alten Testament und dem Koran unkommentiert zusammen. Was mit den „Mythen und Legenden“ bezweckt wird, wird in dem Zusammenhang nicht recht deutlich, siehe aber die Abschnitte „Religiöse Unterweisung – aber wie?“ und „Umgang mit heiligen Texten“ (oben S. 21 und S. 22).

Mit einem Literaturverzeichnis schließt das Buch ab, das als authentisches Zeugnis einer jungen Migrantin sehr zur Lektüre zu empfehlen ist. Es hat seine schriftliche Form übrigens mit Hilfe eines pensionierten Lehrers gefunden, was man – nicht unsympathisch – an der teilweise antiquierten Sprache und einigen klassischen Zitaten durchaus merkt.


Friedmann Eißler