Gesellschaft

Zur Forschungs- und Rechtslage der Geistheilung

Nach Schätzungen des Dachverbandes Geistiges Heilen bieten im deutschsprachigen Raum rund 10000 Geistheiler ihre Dienste an - mit wachsender Resonanz und Reputation. Die jährlich stattfindenden "Baseler Psi-Tage" haben sich als Netzwerkknoten und Kommunikationsplattform etabliert (vgl. MD 3/2003, 104ff). Eine sich ändernde Forschungs- und Rechtslage verdeutlicht die wachsende Akzeptanz einer Praxis, die gewohnte Denkmuster in Frage stellt.

Zur Forschungslage

Mittlerweile wurden zahlreiche wissenschaftlich kontrollierte Experimente mit Fernbehandlungen durch Geistheilerinnen und Geistheiler durchgeführt. Immer wieder waren Heilwirkungen nachweisbar, selbst dann, wenn die "behandelten" Personen nichts davon wussten. Eine Übersicht von 90 durchgeführten Studien zwischen 1955 und 2001 weist jedoch auch auf gravierende methodische Schwächen hin (Alternative Therapies 9/3, 2003, 96-104).

Im Rahmen der bisherigen Forschungen zur Fernheilung in Europa sind besonders zwei Studienergebnisse bedeutsam: 1998 kam Harald Wiesendanger in seiner Fernheiler-Studie mit 120 chronisch Kranken zu dem Resultat, das nur leichte, aber jedenfalls eindeutige Effekte durch Geistiges Heilen erzielbar seien. In einer weiteren Studie, durchgeführt von einem neunköpfigen Team aus Medizinern und Psychologen, nahmen insgesamt 290 chronisch Kranke und 50 Heiler/innen teil. Die 1999 veröffentlichten Ergebnisse weisen darauf hin, dass die seelische Verfassung und Lebensqualität der Patienten sich durch Geistheilung verbessert habe und auch körperliche Beschwerden statistisch signifikant gelindert werden konnten.

Derartig erfolgversprechende Befunde, aber auch viele offene Fragen sind der Anlass für weitere Untersuchungen in Europa gewesen. Derzeit sind mindestens zwei Forschungsprojekte zur Fernheilung auf dem Weg: Die Regionalbehörde Basel-Land hat dem Schweizer Psychiater Jakob Bösch 2001 ein Projekt bewilligt, bei dem die Wirkungen von Geistigem Heilen bei ungewollter Kinderlosigkeit von über 30 Frauen untersucht werden (www.jakobboesch.ch). Im Jahr 2002 hat eine weitere, europaweite Studie begonnen, bei der 400 Geistheiler sechs Monate 400 Patienten "fernbehandeln". Der Heiler erhält keinen Kontakt zum Patienten, sondern hat lediglich deren Vornamen und eine Photographie des Patienten bekommen. Als Patienten wurden zu der Studie Personen zugelassen, die entweder am chronischen Müdigkeitssyndrom oder einer vielfachen Chemie-Unverträglichkeit litten. Grund für die Wahl dieser eher exotischen Störungen ist nach Angaben der Forscher gewesen, dass viele Heiler behaupten, dabei gute Erfolge zu haben. Das strenge Forschungsdesign teilt die Patienten vier Gruppen zu, um den häufig zur Erklärung herangezogenen Placebo-Effekt kontrollieren zu können: Entweder sie bekommen Fernheilung oder nicht, und entweder wissen sie darüber Bescheid oder nicht. Die Seriosität der Studie ist an der Finanzierung ablesbar: der Projektleiter Harald Walach hat dafür 300 000 Euro aus einem europäischen Forschungsfond einwerben können (Forschende Komplementärmedizin 9/2002, 168-176).

Zur Rechtslage

Nur selten gibt es hierzulande eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Schul- und Komplementär- bzw. Alternativmedizin. Eher sind gegenseitiger Argwohn und Konkurrenzdenken an der Tagesordnung. Juristisch agierten die Heiler in Deutschland bislang in einer Grauzone. Wer offiziell Kranke behandeln will, benötigt eine Approbation als Arzt oder Psychotherapeut oder eine Ausbildung zum Heilpraktiker. Ein im März 2004 getroffenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat nun die Rechtslage verändert. Wer die Selbstheilungskräfte des Patienten durch Handauflegen aktiviert und dabei keine Diagnosen stellt, benötigt ab sofort keine Heilpraktikererlaubnis mehr. Allerdings muss der Heiler seine Patienten schriftlich darauf hinweisen, dass seine Behandlung die Tätigkeit eines Arztes nicht ersetzt. Dieser Hinweis kann dem Patienten entweder als Merkblatt vor Behandlungsbeginn ausgehändigt werden oder muss auf einem gut sichtbaren Aushang im Behandlungszimmer stehen.1

Während in Reiki-Internet-Foren gegenseitige Beglückwünschungen die Runde machten, schätzen andere die Tragweite des Urteils realistischer ein: Durch das Verfassungsurteil sei das Geistigem Heilen nun explizit in das Gewerberecht eingebunden. Als eine "normale" gewerbliche Dienstleistung spiele nun das Wettbewerbsrecht, der Verbraucherschutz und seriöses Geschäftsgebaren eine wesentliche Rolle. Schonzeiten und Narrenfreiheiten seien nun vorbei, denn das Urteil habe Geistiges Heilen keineswegs einen generellen Freibrief erteilt, sondern es eher stärker reglementiert. Erst die Praxis wird zeigen, ob das Gesetz mehr Wildwuchs oder mehr Verbraucherschutz nach sich zieht.

1 Das Urteil ist abrufbar unterwww.medcon.de/html/bvggh.html.


Michael Utsch