Stefanie Pfister, Matthias Roser

Zum Umgang mit weltanschaulichen Gruppierungen in religionspädagogischen Ausbildungsgängen

Im Dezember 2013 unternahm eine Gruppe von Lehramtsstudierenden für das Fach Evangelische Religionslehre der Technischen Universität Dortmund im Rahmen eines Seminars zur Wirkungsgeschichte der Apokalypse des Johannes eine Exkursion zur Christlichen Versammlung Lütgendortmund. Es handelt sich dabei um eine Gemeinde, die zwar außerhalb der Landeskirche und der klassischen Freikirchen steht, die sich selbst aber noch innerhalb des evangelikalen Spektrums des Protestantismus verortet.1 Ziel der Exkursion war es, mit den Gemeindegliedern in einen theologischen Dialog zu treten, doch es kam nicht zu einem wirklichen Dialog.

Der Gemeindeleiter vertrat in seinem Einleitungsvortrag vehement einen prämillenaristischen Dispensationalismus, den er durch eine Konversionshermeneutik2 begründete, die letztendlich nur den durch ein manifestes Bekehrungserlebnis geistlich Wiedergeborenen3 zugänglich sein kann. Bei den Studierenden erzeugten dieser Vortrag sowie einige Besonderheiten in der Gemeinde – z. B. die räumliche Trennung von Frauen und Männern, die handschriftlich ergänzten Studienbibeln, die Teilnahme einer Absolventin des christlich-zionistischen Bibelcenters Breckerfeld am Dialog – ein Gefühl von großer Fremdheit. Zudem irritierte die Studierenden ihre eigene Sprachlosigkeit im Dialog mit den Gemeindegliedern. Obwohl sie den prämillenaristischen Dispensationalismus als Wirkungsgeschichte insbesondere von Apk 20,6 im Seminar ausführlich erarbeitet hatten, entstand der Eindruck der eigenen theologischen Unsicherheit und Diskursunfähigkeit angesichts eines derart in sich geschlossenen fundamentalistischen Weltbilds.

Diese Unsicherheit und auch die Angst vor der Begegnung und Auseinandersetzung mit geschlossenen Weltbildern in der späteren schulischen Berufspraxis fanden in der Auswertung der Exkursion in der darauffolgenden Seminarsitzung breiten Niederschlag. Seit Längerem werden von den Lehramtsstudierenden Seminare erbeten, deren Zielsetzung der Erwerb von Orientierungs- und Beratungskompetenz im Hinblick auf verschiedene religiöse Orientierungen und Weltanschauungen ist, auch gerade hinsichtlich des christlichen Fundamentalismus. Es ist davon auszugehen, dass von den zukünftigen Religionslehrerinnen und -lehrern als „Experten in Sachen Theologie, Religion(en) und Weltanschauungen“ in diesem Bereich Orientierung und Hilfestellung bei der Urteilsbildung, aber auch spontane seelsorgerliche4 Beratung aus evangelischer Perspektive5 erwartet wird.

Der Fokus der nachfolgenden Ausführungen richtet sich von daher in den ersten beiden Abschnitten auf biblisch-theologische und systematisch-theologische Begründungsstrukturen einer praktisch-theologischen Beratungskompetenz im Hinblick auf die religiös-weltanschauliche Vielfalt, die als Signatur einer religionssoziologischen Gegenwartsdiagnose der Bundesrepublik Deutschland verstanden werden kann. Im Anschluss daran werden genuin religionspädagogische Begründungsstrukturen einer praktisch-theologischen Beratungskompetenz professionstheoretisch für den (zukünftigen) Lehrerberuf (der Studierenden) dargelegt. Abschließend werden in perspektivischer Zielsetzung mögliche Konsequenzen und Folgerungen für die Lehramtsausbildung von evangelischen Religionslehrern aufgezeigt und in der gebotenen Kürze die an der TU Dortmund bereits unternommenen ersten Schritte skizziert.

Neutestamentliche Impulse zur Bestimmung von Begriff und Gegenstand von Apologetik

1. Petr 3,15f kann als neutestamentlicher locus classicus biblisch begründeter, christlicher Apologetik angesehen werden.6 Begriff und Gegenstand von Apologetik sind gleichwohl gegenwärtig nicht unumstritten. Die Reflexion darüber ist Bestandteil des Meta-Diskurses der Identitätsbestimmung, aber auch der gegenseitigen Verhältnisbestimmung von evangelischer und sich explizit als evangelikal verstehender Theologie und Frömmigkeit.7

Der 1. Petrusbrief setzt eine Situation voraus, in der die Christen in kleinasiatischen Gemeinden Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts den verbalen und nonverbalen Angriffen ihrer heidnischen Nachbarn ausgesetzt sind. Der Verfasser des Briefes gibt den bedrängten Gemeinden ein Trost- und Mahnschreiben zur Bewältigung der Situation an die Hand.8 In 1. Petr 3,15 ermutigt er die Gemeinden zur „Apologie“ gegenüber jedermann, der nach dem Grund der Hoffnung fragt. Die Einheitsübersetzung übersetzt das Nomen apologia mit „Rede und Antwort stehen“. Luther 1984 wie auch die Elberfelder Bibel übersetzen mit „Verantwortung“.

Apologia bezieht sich auf die ggf. noch vorwissenschaftliche, ein grundlegendes Vertrauen und eine grundlegende Daseinsorientierung zum Ausdruck bringende Selbstreflexion christlichen Glaubens (vgl. 2. Kor 7,11; das im Neuen Testament an sieben Stellen vorkommende Verb apologeomai ist in Bezug auf die Diathese Medium) und christlicher Hoffnung einerseits, die Verantwortung in mündlicher Form vor einem öffentlichen Forum andererseits (vgl. Apg 22,1ff, Apg 25). Die die persönliche Daseinsgewissheit des Befragten einbeziehende Doppelgestaltigkeit des „Zur-Verantwortung-Bereitseins“ erfährt im logon peri täs ... elpidos ihre perspektivische Akzentuierung und Zuspitzung und benennt explizit den Grund der Hoffnung: die eschatologische Existenz des Christen in Christus. Hansjürgen Verweyen weist zu Recht auf das argumentative Gefälle des Verses hin und betont die im Satzzusammenhang mögliche zweifache Übersetzungsmöglichkeit von logon: zum einen als „vernünftiger Grund“ christlicher Hoffnung, zum anderen als reflektierte Rechenschaft.9

Bei ton aitounti logon handelt es sich um eine Hapaxlegomenon-Konstruktion, die die stetig beizubehaltende – dennoch inhaltlich und formal von der apologia unterscheidbare – Rechenschaftspflicht, aber auch Rechenschaftsmöglichkeit christlichen Glaubens und christlicher Hoffnung betont. Diese kurzen exegetischen Überlegungen erweisen sich in systematisch-theologischer Perspektive, auch hinsichtlich der Themenstellung „Die apologetische Aufgabe der Theologie und der Kirche“10, als in besonderer Weise anschlussfähig.

Die apologetische Aufgabe von Theologie und Kirche

In systematisch-theologischer Perspektive definiert Michael Roth Begriff und Gegenstand von „Apologie“ und reflektierter Rechenschaftspflicht (Apologetik) in Übereinstimmung mit dem exegetischen Befund in 1. Petr 3,15f folgendermaßen: „Insofern bezeichnet der Begriff Apologie nichts anderes als den (praktischen) Vollzug der Darlegung der christlichen Wahrheitsgewissheit (des Glaubens) vor einem externen Forum. Demgegenüber ist von der Apologie die Apologetik als Theorie der Apologie zu unterscheiden. Die Apologetik ist – im Unterschied zur Apologie – die wissenschaftlich reflektierte Form der ‚Rechenschaft vom Glauben‘. Als solche erörtert sie das apologetische Verfahren, indem sie über seine angemessene Methode und Intention Rechenschaft ablegt.“11 In unserem Zusammenhang gilt es aber primär die Frage zu bedenken, inwieweit Apologie und Apologetik überhaupt konstitutive Bedeutungsdimensionen praktisch-theologischer (religionspädagogischer) Orientierungs- und Beratungskompetenz sind und entsprechend im Lehramtsstudium erarbeitet und eingeübt werden können.

Es dürfte unstrittig sein, dass, insbesondere vom Heilshandeln Jesu, von den Streitgesprächen Jesu, vom Missionsbefehl und von CA 7 her argumentierend, „Apologie“ und „Apologetik“ vor externen Foren konstitutiv zum kirchlichen Handeln hinzugehören: „Die Aufgabe, vor einem externen Forum Zeugnis abzulegen, erstreckt sich keinesfalls ausschließlich auf die Bereiche, die in den Verantwortungsbereich der institutionalisierten Sozialgestalt der Kirche fallen – zu denken ist hier vornehmlich an die gottesdienstliche Verkündigung. Nimmt man nämlich den protestantischen Begriff der Kirche ernst, der kein hierarchisches Lehr- und Leitungsamt kennt, sondern die Aufgabe der Kirche allen Gliedern der Gemeinschaft gegeben sieht, dann erstreckt sich die Aufgabe auf alle Bereiche des Lebens, in denen Glaubende von ihrem Glauben Zeugnis ablegen.“12 Die für den christlichen Glauben konstitutive „Forumsexistenz“ begegnet im Kontext des „Panoramas der neuen Religiosität“13 zu Beginn des 21. Jahrhunderts unterschiedlichsten Formen von „Sinnsuchen“, Heilsversprechen“ und vorreflexiven „Daseinsgewissheit(en)“14, auch in Form des christlichen Fundamentalismus, als „Situation des Angefragt-Seins“ bzw. „der Infragestellung“.15

Auf der Grundlage der vorgelegten Reflexion von Begriff und Gegenstand von „Apologie“ und „Apologetik“ lässt sich die eigentliche praktisch-theologische Aufgabe genauer fokussieren: „Geht es darum, die Alternativen Weltanschauung und Religionen in den Blick zu nehmen, so heißt dies, sie als Artikulationen von Daseinsgewissheit in den Blick zu nehmen. Die entscheidende Frage ist daher, welches Verständnis der menschlichen Existenz in ihnen zum Ausdruck kommt – und das heißt zu fragen, inwiefern dies Möglichkeiten des Menschen sind, sich selbst zu verstehen. Eine zur apologetischen Aufgabe von Theologie und Kirche gehörende Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Orientierungen und Religionen kann daher weder auf der Ebene der Wiedergabe der dogmatischen Sätze noch auf der Ebene der Beschreibung der Form des jeweiligen Kultus und Ritus verweilen.“16

Es ist Michael Roth in seiner Forderung zuzustimmen, dass für die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Daseinsorientierungen, Weltanschauungen und Religionen eine religionswissenschaftliche Außenperspektive zur eigenen Binnenperspektive ergänzend hinzutreten muss: „Die theologische Apologetik nimmt die unterschiedlichen Gestalten von Daseinsgewissheit nicht von einem neutralen Standort aus in den Blick, sondern aus einer bestimmten Innenperspektive, nämlich der Daseinsgewissheit des Glaubens. Auch hier gilt es, ein Selbstmissverständnis der theologischen Apologetik zu beheben: Es ist durchaus nicht Ziel oder Ideal der theologischen Apologetik, einen ‚neutralen‘ Standort einzunehmen. Die Auseinandersetzung mit den alternativen Weltanschauungen und religiösen Orientierungen ist Teil des Verstehensprozesses des christlichen Glaubens.“17

Das zu Beginn der Ausführungen dargelegte Praxisbeispiel mit der skizzierten asymmetrischen Kommunikationssituation beim Besuch der Christlichen Versammlung Lütgendortmund lässt sich auf der Basis des bisher Ausgeführten genauer erörtern; dabei gilt es, in formaler Hinsicht eine Innen- und eine Außenperspektive zu unterscheiden:

a) Die Studierenden wurden insbesondere durch den Vortrag des Gemeindeleiters mit einer umfassenden Daseinsorientierung konfrontiert, die ihre Orientierung und Zielrichtung von einer christlich-fundamentalistischen Weltanschauung her erhält. Indirekt fordern der Vortrag und der Kontext, in dem er stattfand, von daher zur begründeten Rechenschaftsablegung im Hinblick auf die Beobachtungs- und Beurteilungskriterien der von den Studierenden in der geschilderten Kommunikationssituation eingenommenen Außenperspektive auf.

b) Die Kommunikationssituation vor Ort evoziert ebenso die Anfrage an die Studierenden nach ihrer persönlichen Daseinsgewissheit, aber auch ihren eigenen wissenschaftstheoretisch reflektierten Begründungsstrukturen der Kohärenz und „Logik“ des christlichen Glaubens vor dem Forum der Vernunft und fordert von ihnen Rechenschaft über ihren eigenen „Verstehensprozess“ des christlichen Glaubens und dessen Kommunizierbarkeit.

c) Weiterhin wirft die Exkursion auch die Frage nach einer kriterienbewussten Unterscheidung von lebensförderlichen und lebensfeindlichen Formen von Daseinsorientierung, Weltanschauungen und Religionen auf.18

Insgesamt zeigt sich die Notwendigkeit einer professionstheoretisch fundierten, kompetenzorientierten Religionspädagogik, die praktisch-theologische Orientierungs- und Beratungskompetenzen hinsichtlich des „Panoramas der neuen Religiosität“ fördern kann.

Förderung einer praktisch-theologischen Orientierungs- und Beratungskompetenz

Es stellt sich die Frage, warum junge Lehramtsanwärterinnen und -anwärter, die ein mindestens drei- bis vierjähriges theologisches Studium hinter sich haben, angesichts der Argumente in einer christlich-fundamentalistischen Gruppierung Schwierigkeiten haben, Rede und Antwort zu stehen. Ist mittlerweile nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Lehrer das Phänomen des – von Bernhard Dressler skizzierten – Traditionsabbruches aktuell und das Christentum eine Fremdreligion geworden?19

Für eine Klärung ist der Beruf der Lehrkraft professionstheoretisch in den Blick zu nehmen. Zu den Tätigkeiten einer Religionslehrkraft zählt nicht nur das Kerngeschäft, der Unterricht20, sondern verstärkt auch eine praktisch-theologische Beratungskompetenz, z. B. seelsorgerliche Beratungen, Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die Gewalt in der Familie erleben, Gespräche mit Eltern sowie mit schulpsychologischen Beratungsstellen. Am Lernort Schule „erwerben die Heranwachsenden die Kulturfertigkeiten, mit denen sie im Alltag moderner Gesellschaften teilnehmen können; in Schulen erwerben sie aber auch die Kompetenzen, ihr Leben selbst als einen Lernprozess zu verstehen und zu gestalten, und zwar mit Hilfe von Fähigkeiten, Lernstrategien, Motiven und Interessen, die sie organisiertem Unterricht verdanken“.21 Lehrer müssen daher diese Kompetenzen bei Schülern fördern. So heißt es im Orientierungsrahmen der EKD: „Die Schülerinnen und Schüler eignen sich im Unterricht Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen an, die für einen sachgemäßen Umgang mit sich selbst, mit dem christlichen Glauben und mit anderen Religionen und Weltanschauungen notwendig sind.“22 Und als Kompetenz religiöser Bildung wird u. a. die Fähigkeit genannt, „am Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen argumentierend teil[zu]nehmen“. Dies bedeutet nicht nur, dass die Schüler sich „bei Begegnungen mit Angehörigen anderer Religionen oder mit anderen weltanschaulichen Überzeugungen tolerant, respektvoll sowie dialogisch verhalten“, sondern auch, dass sie sachadäquat „zwischen religiösen Glaubensweisen und nicht-religiösen Weltanschauungen unterscheiden und sie beurteilen“ können.23 Die Arbeitsgruppe des Comenius-Instituts (Münster) formuliert es noch deutlicher: Schülerinnen und Schüler sollen die Kompetenz erwerben, „kriterienbewusst lebensförderliche und lebensfeindliche Formen von Religionen unterscheiden“24 zu können. Das heißt, an die Lehrkraft, die diese Kompetenzen bei Schülern fördern soll, werden hohe Ansprüche gestellt. Doch wie kann die entsprechende Kompetenz zunächst bei Lehrern gefördert bzw. überhaupt erworben werden?

In den letzten Jahren haben sich bereits zahlreiche Studien mit professionellem Lehrerhandeln beschäftigt; dabei lassen sich insbesondere zwei theoretische Richtungen erkennen: die kognitionspsychologisch orientierten Ansätze der Persönlichkeits- und Expertiseforschung, in denen davon ausgegangen wird, dass Lehrkräfte zielgerichtet das Handeln aktiv kognitiv strukturieren, wobei das sich verfestigende Wissen das nunmehr professionelle Wissen darstellt und damit Basis für das Lehrerhandeln ist.25 Und es gibt die sozialwissenschaftlich orientierten Ansätze der Wissensverwendungsforschung, z. B. die strukturtheoretische oder kulturtheoretische Professionsforschung. Hier wird davon ausgegangen, dass implizite Handlungsmuster des pädagogischen Handelns vorhanden sind, die das Lehrerhandeln leiten.26

Gemeinsam ist beiden Theorierichtungen, dass es bei einem professionellen Lehrerhandeln nicht um ein „zweckrationales angewendetes, quasi-technisches Regelwissen im Sinne von ‚Wenn-Dann-Regeln‘“27 geht, sondern dass die Professionalität durch ein implizites Wissen und Können gekennzeichnet ist. In kognitionspsychologischen Ansätzen bestimmt Bromme dies z. B. als „Philosophie des Schulfaches“, die der Lehrkraft eigen ist, bzw. als „Überzeugungen“ der Lehrkräfte (teacher‘s belief), was deutlich vom Wissen zu trennen ist; es wird auch als „subjektive Theorien“28 bezeichnet.

Aktuelle Debatten um die Lehrerprofessionalität führen den Begriff der „Kompetenz“ ein, wobei professionelles Lehrerhandeln durch einen Zusammenhang von Wissen und Können und der daraus resultierenden Handlungsfähigkeit gekennzeichnet ist. Folgt man weiter der Kompetenzorientierung, bildet den Kern der Professionalität von Lehrkräften insbesondere die Handlungsfähigkeit, die sich in konkreten Anforderungssituationen bewähren soll. Dieses prozedurale Wissen ist ein praktisch nutzbares Wissen, das sich als Können implizit im Handeln zeigt: Shulman nennt es auch „wisdom of practice“.29

Der Blick sollte sich darauf richten, wie religionspädagogische oder praktisch-theologische Seminare diese „wisdom of practice“ bzw. die Lehrerprofessionalität hinsichtlich der Herausforderungen der pluralistischen Daseins- und Werteorientierungen fördern können.

Dimensionen einer „wisdom of practice“ im Hinblick auf divergierende Daseinsorientierungen und Weltanschauungen

In Anlehnung an Überlegungen von Reinhard Hempelmann30 sollen nun Vorschläge und Überlegungen zur Förderung der „Lehrerprofessionalität in Bezug auf Weltanschauungen“ im Lehramtsstudium zur Diskussion gestellt werden.

a) Den Studierenden sollte die Kompetenz vermittelt werden, über christlichen Glauben und christliche Theologie in biblisch-theologischer und systematisch-theologischer Hinsicht Auskunft geben zu können. Dabei sollte die zu erwerbende Sachkompetenz in jedem Seminar direkt mit einem religionspädagogischen Anwendungsbezug versehen werden. Dies kann geschehen, indem z. B. interdisziplinäre Seminare (exegetische Fächer/Religionspädagogik oder Dogmatik/Religionspädagogik etc.) angeboten werden oder indem die Fachkollegen in jeder thematischen Einheit die Umsetzungsmöglichkeit für den Religionsunterricht ansprechen.

b) Den Lehramtsstudierenden sollte in Form eines aufeinander aufbauenden Spiralcurriculums die Gelegenheit zur Erarbeitung eines strukturierten Überblicks über – für die religionssoziologisch beschreibbare Gegenwart in Deutschland – repräsentative religiös-weltanschauliche Strömungen, Szenen und Gruppen gegeben werden. Dieser Überblick könnte folgende Aspekte umfassen: „Tendenzen der Sakralisierung des Profanen“, die „Versprechen der Psychoszene“, die „postmoderne Bastelreligiosität esoterischer Strömungen“, die „Ausbreitung ostasiatischer Spiritualität im Westen“, „biblizistische und enthusiastische Ausdrucksformen christlicher Frömmigkeit“, „christliche Sondergemeinschaften und Neuoffenbarungsgruppen“.31 Die Erarbeitung dieses Überblicks bedarf aber einer ergänzenden methodologischen Reflexion hinsichtlich der – zeitgeschichtlich und religionssoziologisch bedingten – stark divergierenden „Bewertungsdiskurse“32 in Theologie und Gesellschaft, analog einer ergänzenden methodologischen Reflexion hinsichtlich der religionstheologischen Beurteilungskriterien33 in Bezug auf die als repräsentativ ausgewählten religiös-weltanschaulichen Strömungen, Szenen und Gruppen.

c) Die Erarbeitung des strukturierten Überblicks kann wie folgt geschehen:34

  • Reflektiertes, kriterienorientiertes Beobachten und Beschreiben der religiös-weltanschaulichen Strömung(en), Szene(n) und Gruppe(n); Reinhard Hempelmann schreibt dazu: „Zur Informationsbeschaffung gehören geregelte Verfahren: zum Beispiel der Versuch, die Innenperspektive einer religiösen Gemeinschaft zur Kenntnis zu nehmen, ihre inneren Plausibilitätsstrukturen zu verstehen, aber auch Außenperspektiven einzubeziehen und auf Erfahrungen zu hören, die beispielsweise ehemalige Mitglieder mit einer Gruppe gemacht haben.“35
  • Reflektiertes, kriterienorientiertes Verstehen und Deuten der in und von der religiös-weltanschaulichen Strömung oder Gruppe verbreiteten Daseinsorientierung. „Wenn es um die Erhellung der Innenperspektive einer Gruppe geht, finden in der apologetischen Arbeit Methoden und Vorgehensweisen Anwendung, die auch sonst im Bereich sozialwissenschaftlicher Forschung und religionswissenschaftlicher und theologischer Hermeneutik angewandt werden. Das in den Selbstaussagen zum Ausdruck kommende Wahrheitsverständnis einer Gemeinschaft oder Strömung ist in seinen Ausdrucksformen, Plausibilitätsstrukturen und Begrifflichkeiten zu ermitteln.“36
  • Erarbeitung reflektierter Stellungnahmen zu den Daseinsorientierungen und Weltanschauungen aus der Perspektive eines Wirklichkeitsverständnisses, das sich der Heiligen Schrift und den Bekenntnisschriften verpflichtet weiß.
  • Sensibilisierung für die sowohl staatskirchenrechtlich37 als auch systematisch-theologisch zu unterscheidenden Begründungsstrukturen und die praktischen Dimensionen staatlicher und kirchlicher Informations-, Orientierungs- und Beratungsmöglichkeiten.

d) Erst nachdem diese vorbereitenden Schritte erfolgt sind, ist es möglich, die erworbene Orientierungs- und Beratungskompetenz als zentralen Aspekt der Lehrerprofessionalität in eine schulartenspezifische Sach- und Handlungskompetenz für die Schülerinnen und Schüler zu transformieren, damit diese die Grundlagen des christlichen Glaubens verstehen und Gespräche interpretieren“38, „kriterienbewusst lebensförderliche und lebensfeindliche Formen von Religionen unterscheiden“39 und den eigenen Glauben in Gesprächen begründen und ggf. auch im Sinne der oben genannten „Apologia“ darlegen können. Das heißt, in den entsprechenden Seminaren müssen sowohl die Lehrerprofessionalität im Umgang mit den verschiedenen Weltanschauungen (Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz, Sachkompetenz, Urteilskompetenz, Dialog- und Handlungskompetenz) als auch die Vermittlung einer Sach- und Urteilskompetenz von Schülern bei der Begegnung mit weltanschaulichen Gruppierungen eingeübt werden.

In der Lehramtsausbildung der TU Dortmund für das Fach Evangelische Religion sind seit dem Wintersemester 2012/2013 diesbezüglich auch in struktureller Hinsicht (gerade in Bezug auf das Lehrangebot in den schulartenspezifischen Bachelor- und Masterstudiengängen) die ersten Schritte unternommen worden. Dabei erwies sich die enge Kooperation mit dem Weltanschauungsbeauftragten der Evangelischen Kirche im Rheinland und mit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), die Konzepte einer dialogischen Apologetik vertreten40, als sehr ertragreich und zielführend.


Stefanie Pfister und Matthias Roser, Dortmund


Anmerkungen

  1. Vgl. die Homepage der Gemeinde: www.cv-dortmund.de und insbesondere die dort als mp3-Dateien niedergelegten Vorträge. Die Christliche Versammlung Lütgendortmund gehört zur Brüderbewegung (Darbyisten) und ist eng mit weiteren Gemeinden im Ruhrgebiet und insbesondere auch mit dem Bibelmuseum Wuppertal vernetzt.
  2. Zur Konversionshermeneutik vgl. Peter G. Stromberg, Language and self-transformation. A study of the Christian conversion narrative, Cambridge 1993.
  3. Der Gemeindeleiter beschrieb sein Bekehrungserlebnis und die für ihn daraus resultierende geistliche Wiedergeburt in seinem Vortrag sehr detailliert. Die Gemeindemitglieder sekundierten mit eigenen Bekehrungserzählungen.
  4. Die Implementierung praktisch-theologischer Seminare in die Lehramtsstudiengänge für Evangelische Religion wirft allerdings auch sofort die Frage nach möglichst parallel verlaufenden und die Seminare ergänzenden Möglichkeiten der Förderung „laientheologischer“ poimenischer Kompetenz auf.
  5. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Beratungsaufgaben und -kompetenzen kirchlicher Institutionen einerseits und entsprechender staatlicher Beratungsangebote andererseits staatskirchenrechtlich unterschiedlich begründet sind und von daher auch unterschiedliche Dimensionen der Information, Orientierung und Beratung abzudecken vermögen.
  6. Vgl. z. B. Hansjürgen Verweyen, Gottes letztes Wort, Regensburg 2000, 37.
  7. Vgl. zur Begründung und Darstellung explizit evangelikaler Apologetik: Kenneth D. Boa / Robert M. Bowman, Faith Has Its Reasons. Integrative Approaches to Defending the Christian Faith, Waynesboro 2005.
  8. Vgl. z. B. Hansjürgen Verweyen, Gottes letztes Wort, a.a.O., 131f.
  9. Vgl. ebd., 38.
  10. Michael Roth, Die apologetische Aufgabe der Theologie und der Kirche, in: Dialogfähigkeit und Profil. Apologetik in biblisch-reformatorischer Orientierung, Texte aus der VELKD 129 (2004), 26-36, und ders., Weltanschauungen und Religionen als Thema der theologischen Apologetik, a.a.O., 37-45.
  11. Michael Roth, Die apologetische Aufgabe der Theologie und der Kirche, a.a.O., 28 (Kursivsetzung im Original).
  12. Ebd., 27f.
  13. Reinhard Hempelmann u. a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität, Gütersloh 22005.
  14. Michael Roth, Die apologetische Aufgabe der Theologie und der Kirche, a.a.O., 27 (im Original kursiv); Michael Roth, Weltanschauungen und Religionen als Thema der theologischen Apologetik, a.a.O., 37, macht zu Recht auf die Notwendigkeit einer begriffsgenauen Unterscheidung zwischen Daseinsgewissheit und Weltanschauung aufmerksam: „Es gilt zu unterscheiden zwischen ‚Daseinsgewissheit‘ und ‚Weltanschauung‘, die Begriffe sind nicht einfach synonym zu verwenden. Der Grund hierfür besteht darin, dass zwischen einer – auf einer Reflexionsebene stattfindenden – Interpretation und Deutung der Wirklichkeit und einem unmittelbaren Verstehen des eigenen Daseins zu unterscheiden ist, das in der Erlebnisgestalt des Vertrauens zutage tritt. Kurz ausgedrückt: Es ist zu unterscheiden zwischen der Erlebnisgestalt des Vertrauens, das ein bestimmtes Verständnis der Wirklichkeit impliziert, und der (reflexiven) Artikulation dieses Verständnisses der Wirklichkeit in Form der Weltanschauung.“
  15. Ebd., 28.
  16. Ebd., 40.
  17. Ebd.
  18. Vgl. dazu Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Hg.), Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung, Münster 2006, 19 sowie 51-55.
  19. Vgl. Bernhard Dressler, Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch, in: rhs 1 (2002), 11-19.
  20. Vgl. Sigrid Blömeke, Universität und Lehrerausbildung, Bad Heilbrunn 2002; Heinz-Elmar Tenorth, Professionalität im Lehrerberuf, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9/4 (2006), 580-597.
  21. Heinz-Elmar Tenorth, „Alle alles zu lehren“. Möglichkeiten und Perspektiven allgemeiner Bildung, Darmstadt 1994, 155.
  22. EKD (Hg.), Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I, Hannover 2010, 11.
  23. Ebd., 20f.
  24. Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Hg.), Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung, a.a.O., 19, 51.
  25. Vgl. Jürgen Baumert / Mareike Kunter, Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9/4 (2006), 469-520; Sigrid Blömeke / Gabriele Kaiser / Rainer Lehmann (Hg.), Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender Primarstufenlehrkräfte im internationalen Vergleich, Münster 2010; dies. (Hg.), Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender Mathematiklehrkräfte für die Sekundarstufe I im internationalen Vergleich, Münster 2010.
  26. Vgl. dazu z. B. Fritz-Ulrich Kolbe, Das Verhältnis von Wissen und Handeln, in: Sigrid Blömeke u. a. (Hg.), Handbuch Lehrerbildung, Bad Heilbrunn 2004, 206-232.
  27. Arno Combe / Fritz-Ulrich Kolbe, Lehrerprofessionalität: Wissen, Können, Handeln, in: Werner Helsper/Jeanette Böhme (Hg.), Handbuch der Schulforschung, Wiesbaden 2004, 861.
  28. Vgl. Norbert Groeben u. a., Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien, Tübingen 1988.
  29. Lee S. Shulman, The Wisdom of Practice, Essays on Teaching, Learning, and Learning to Teach, San Francisco 2004; Rainer Bromme, Kompetenzen, Funktionen und unterrichtliches Handeln des Lehrers, in: Franz E. Weinert (Hg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule. Enzyklopaedie der Psychologie Serie I, Bd. 3, Göttingen 1997, 177-212, hier: 199.
  30. Vgl. Reinhard Hempelmann, Einführung zum Panorama der neuen Religiosität, in: MD 12/2005, 462-470.
  31. Ebd., 463.
  32. Vgl. Marco Frenschkowski, Neue religiöse Bewegungen und ihre Beurteilung, in: MD 1/2014, 4; dort die Ausführungen zur Karriere des „Sekten“-Begriffs und der „Gehirnwäsche“-Metapher.
  33. Vgl. ebd., 10.
  34. Vgl. die Hinweise bei Reinhard Hempelmann, Einführung zum Panorama der neuen Religiosität, a.a.O., 462.
  35. Reinhard Hempelmann, Stichwort „Apologetik“, in: MD 8/2013, 311.
  36. Ebd.
  37. Vgl. Christine Mertesdorf, Weltanschauungsgemeinschaften. Eine verfassungsrechtliche Betrachtung mit Darstellung einzelner Gemeinschaften, Frankfurt a. M. u. a. 2008.
  38. EKD (Hg.), Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I., 20.
  39. Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Hg.), Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung, a.a.O., 19, 51.
  40. Vgl. Reinhart Hummel, Apologetische Modelle, in: Begegnung und Auseinandersetzung. Apologetik in der Arbeit der EZW, EZW-Impulse 39, Stuttgart 1994, 3-13.