Reinhard Slenczka

Ziel und Ende. Einweisung in die christliche Endzeiterwartung: „Der Herr ist nahe“

Reinhard Slenczka, Ziel und Ende. Einweisung in die christliche Endzeiterwartung: „Der Herr ist nahe“, Freimund Verlag, Neuendettelsau 2008, 517 Seiten, 39,80 Euro.


Der Erlanger Systematiker Paul Althaus hat einst in seiner Eschatologie „Die letzten Dinge“ betont: „Der Eschatologe muß fast alle seine theologischen Geheimnisse verraten...“ Reinhard Slenczka, ein späterer Inhaber des Althaus’schen Lehrstuhls, legt nun im Alter seine Eschatologie vor. Seine Voraussetzungen und Vorentscheidungen tut er gleich zu Beginn in der Einführung kund. Der allererste Grundsatz impliziert dabei die weiteren und lautet: „Die Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments sind das Wort des Dreieinigen Gottes, durch das er sich uns zu erkennen gibt, in dem er zu uns spricht, an uns handelt und zeigt, wie er in dieser Welt wirkt.“

Diese Voraussetzung macht denn auch die grundsätzliche Stärke, aber in gewisser Hinsicht auch eine Schwäche des Buches aus: Es bewegt sich argumentativ in einem theologischen Zirkel, der all diejenigen bei der Hand nimmt und zu tieferen theologischen Erkenntnissen führen kann, die diese Prämisse zu teilen bereit sind. Inwieweit es jedoch einen Leserkreis argumentativ anzusprechen vermag, der nicht apriori diesen Zirkel bejaht, bleibt fraglich. Dabei gäbe es auf diesem Gebiet so viel zu tun! Manche der zahlreichen, leider in keinem Register aufgelisteten Bibelzitate haben eben nicht unbedingt per se Überzeugungskraft bei zeitgeistgeprägten Menschen; hier hätte man sich noch mehr Bereitschaft zum „Abholen“ oder „Anknüpfen“ gewünscht.

Ausgeschlossen ist es freilich nicht, dass Leserinnen und Leser sich auch hineinholen lassen in diesen Zirkel. Und wer offen dafür ist, der theologischen Argumentation Slenczkas zu folgen, kann hier zweifellos viel lernen. So knüpft der Systematiker an Johann Gerhards Bestimmung an, dass die „Letzten Dinge“ diesen Namen gerade auch in einem mystagogischen Sinn verdienen. Althaus zufolge verhält es sich zwar eher umgekehrt: Mit ihnen anzufangen wäre deswegen geschickt, weil sich vom Ende her die Logik des Ganzen am leichtesten erschließt. Zutreffend ist aber im Grunde beides; und in jedem Fall führt eine gute Eschatologie wie die hier vorliegende von einer analytischen Haltung in die existentielle Begegnung mit dem, um dessen Offenbarwerden es bei dieser Thematik allemal gehen muss.

Zunächst führt das Buch in einige Eschatologien des 20. Jahrhunderts ein, darunter die von P. Althaus, P. Brunner, J. Moltmann, H. Schwarz, F. Beißer, G. Sauter und F.-W. Marquardt. Sodann bewegt es relativ ausführlich theologische Grundfragen um Tod, Auferstehung und Seelenunsterblichkeit. In diesem Zusammenhang irritiert allerdings die mit vielen Systematikern des 20. Jahrhunderts geteilte Ablehnung einer theologisch verantworteten Lehre von der Unsterblichkeit bzw. Kontinuität im Tod. Slenczka beruft sich dafür auf die Heilige Schrift, lässt aber mancherlei Stellen unberücksichtigt, die hier positiv angeführt werden könnten. Und dass er Martin Luther in dieser Hinsicht „widersprüchliche Aussagen“ unterstellt, trifft den Sachverhalt nicht: Sowohl Luther als auch Calvin haben die Lehre von der Seelenunsterblichkeit mit theologischer (!) Begründung unzweifelhaft vertreten (dazu meine Studie im Lutherjahrbuch 1982, 7-49). Dass z. B. auch Wilhelm Löhe und fast die gesamte katholische Tradition für die Seelenunsterblichkeit – natürlich in systematischem Konnex mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten – votiert haben, wie Slenczka selber einräumt, und dass selbst Moltmann in seiner Eschatologie „Das Kommen Gottes“ einen „Zwischenzustand“ annimmt, zeigt deutlich, dass die Treue zur Heiligen Schrift hier zu völlig gegensätzlichen Urteilen führen kann. Analoges gilt im Blick auf Slenczkas Votum für einen „doppelten Ausgang“ im Endgericht; so wird von ihm etwa der bekanntlich ganz andere Befund des Pietisten Friedrich Christoph Oetinger ebenso wenig diskutiert wie das zweibändige Werk „Allerlösung“ der Systematikerin J. Christine Janowski (2000).

Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit esoterischen Perspektiven auf die Jenseitsfrage, und zwar unter besonderer Berücksichtigung Rudolf Steiners. Auch auf die Thanatologie, also die interdisziplinäre und internationale Befassung mit „Nahtod-Erfahrungen“ bzw. „Fast-Toten“ geht Slenczka ein: Was hier vorgelegt werde, sei „in der Regel weit entfernt von dem, was es auf diesem Gebiet an religiösen und philosophischen Vorstellungen gibt.“ Dieser Satz ist freilich auf dem Hintergrund der einschlägigen Fachliteratur korrekturbedürftig. Mit Recht warnt Slenczka schließlich vor dem aus biblischer Sicht nicht zu integrierenden Seelenwanderungsglauben, um zu betonen: Theologie und Kirche sind „nicht nur anfällig für fremde Vorstellungen und Riten, sondern auch zutiefst hilflos, wenn die Kriterien zur Unterscheidung fehlen und man dann nur nach Sympathie und Antipathie oder nach gesellschaftlicher Zustimmung und menschlichem Wohlbefinden entscheidet.“

Weitere Kapitel widmen sich in durchaus ansprechender und nachdenklich stimmender Weise der christlichen Bereitung zum Sterben, dem Verhältnis von Ewigkeit und Zeit, der Parusieerwartung, der Frage des Jüngsten Gerichts und dem Endziel, dass „Gott alles in allem“ sein werde. Insgesamt wird in diesem Buch immer wieder deutlich: Die diversen Versuche einer gut gemeinten Säkularisierung oder einer pantheisierenden Spiritualisierung der neutestamentlich grundgelegten Eschatologie in unserer Zeit erweisen der christlichen Kirche einen Bärendienst. Denn „der Inhalt der Verkündigung Christi und seiner Weisungen für das Kommen des Reiches Gottes“ haben – historisch wie systematisch-theologisch gesehen – ihren Grund und ihr Ziel unbestreitbar im Ziel aller Dinge. Dessen theologische Reflexion und Meditation ermöglicht das vorliegende Werk besser als so manch andere Eschatologien der letzten hundert Jahre.


Werner Thiede, Regensburg