Mathias Tietke

Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen

Mathias Tietke, Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen, Verlag Ludwig, Kiel 2011, 218 Seiten, 24,90 Euro.

Das erste Erstaunen gilt der Tatsache, dass das überhaupt ein Thema ist: Yoga im Nationalsozialismus. Doch der Berliner Yogalehrer und Fachjournalist Mathias Tietke weist überzeugend nach, dass während der Jahre 1933 bis 1945 entgegen einer verbreiteten Legende Yoga praktiziert und gelehrt werden konnte. Und er fragt nach möglichen Schnittpunkten von indischer Religiosität im Allgemeinen und Yoga im Besonderen mit der rassistischen Lehre und Praxis der Nationalsozialisten. Dabei wird auch die Frühgeschichte der Yoga-Rezeption in Deutschland im 19. Und 20. Jahrhundert angemessen berücksichtigt.

Nach der ersten Übersetzung der Bhagavadgita im Jahr 1785 griffen im 19. Jahrhundert vor allem Intellektuelle wie Herder oder Schelling das Thema Indien im Sinne eines romantischen Mythos auf und machten „die Kultur und das Denken in Indien zu einer Projektionsfläche zivilisationsmüder Europäer“ (23); zu Recht charakterisiert dies der Autor als „ein Reaktionsmuster, das bis heute vorzufinden ist“ (ebd.). Freilich mischten sich in diese Rezeption schon bald rassistische Töne, wenn etwa der antisemitische Rassenforscher Houston Stewart Chamberlain dem indo-arischen Denken Rassereinheit und Freiheit von jedem semitischen Geist zuschrieb. Noch ausgeprägter zeigte sich dieser Zug in der Theosophie, die mit auflagenstarken Publikationen Yoga im Westen begrenzt populär machte. So pflegte Franz Hartmann, einer der bedeutendsten deutschen Theosophen, eine enge Freundschaft mit dem Begründer der rassistisch-okkultistischen Ariosophie, Guido von List; dieser wiederum spielte eine Rolle im völkischen Milieu, in dem Adolf Hitler seine Ideen sammelte.

Der wichtigste Brückenbauer zwischen Yoga und völkisch-rassistischem Denken freilich war der Tübinger Indologe Jakob Wilhelm Hauer. Der von der Basler Missionsgesellschaft als Missionar nach Südindien entsandte Hauer hatte sich dort zunehmend vom Christentum entfernt und dem hinduistisch geprägten Yoga zugewandt, den er als „eine indoarische Metaphysik des Kampfes und der Tat“ (zit. 155) verstand. Der 1927 als Professor für Allgemeine Religionsgeschichte und Indologie nach Tübingen berufene Gelehrte trat 1933 aus der evangelischen Kirche aus und übernahm die Leitung einer „Lehrgemeinschaft für arische Weltanschauung“. 1937 trat er der NSDAP bei, 1938 der SS. Hauers Engagement reichte von der Erforschung und Propagierung des Raja-Yoga bis zur Gründung und zeitweiligen Leitung der völkisch-neuheidnischen „Deutschen Glaubensbewegung“, die er vergeblich als neue deutsche Religion neben den christlichen Konfessionen zu etablieren hoffte. – Auch der oberste Führer des Hauptsturmführers Wilhelm Hauer (den jüdischen Vornamen Jakob ließ er Mitte der 1930er Jahre fallen), der Reichsführer SS Heinrich Himmler, hatte eine hohe Affinität zwar nicht zur Yoga-Praxis, wohl aber zum frühindisch-religiösen Denken. Er, der Zeitgenossen zufolge die Bhagavadgita immer bei sich trug, parallelisierte die SS mit der Kriegerkaste und forderte: „Kschatrija-Kaste, das müssen wir sein“ (zit. 177). So bemerkt Tietke, dass Himmler sich in seiner Forderung kriegerischer „Pflichterfüllung“ ohne Rücksicht auf die Folgen bis hin zur Ausmerzung angeblicher Untermenschen durch die Kriegsethik Krishnas bestätigt fühlte.

Die Haltung der völkischen Szene zum Yoga war freilich gespalten. Die „völkische Feministin“ (so Tietke) Mathilde Ludendorff, Begründerin eines „Bundes für deutsche Gotterkenntnis“ (1951 erneuert als „Bund für Gotterkenntnis“), rechnete Yoga den okkulten Praktiken zu und diagnostizierte die Folgen solcher Praxis als „induziertes Irresein“. Die Verbreitung dieser gefährlichen Praktiken schrieb sie übrigens neben „Theosophen, Anthroposophen und anderen Okkultkreisen“ den Jesuiten zu. Zunehmend erschien der promovierten Ärztin Yoga als Teil einer Weltverschwörung gegen das deutsche Volk. Zu Recht urteilt Tietke: „Yoga war im Kontext dieses Bedrohungsszenarios lediglich eine Facette einer paranoiden Projektionsfläche eigener Berührungsängste“ (148). Dass die Jahrzehnte jüngere und völlig anders begründete Yogakritik evangelischer Sektenbeauftragter gerade in diesem Kontext als „ähnlich pauschal abwertend und diffamierend“ (ebd.) charakterisiert wird, ist ein überflüssiges intellektuelles Foulspiel in einem ansonsten verdienstvollen Buch.

Ähnlich widersprüchlich wie die theoretische Einordnung von Yoga erscheint die Praxis in den Jahren 1933 bis 1945. So wurde Yoga einerseits durch „Joghis“ und Fakire als kunstvolle Körperübung im Zirkus vorgeführt; andererseits konnte der seriöse Yoga-Pionier Boris Sacharow 1937 in Berlin sein erstes Yoga-Zentrum gründen und auch an der Lessing-Hochschule unbehelligt zu Yoga und Hinduphilosophie dozieren. Ähnlich frei von NS-Ideologie konnte auch der Yogalehrer Heinrich Jürgens praktisches Yoga lehren und eine entsprechende Anleitung noch während des Zweiten Weltkriegs publizieren. Freilich konnten auch rassistisch-antisemitische Lehrer ihre Form des Yoga verbreiten, so etwa der Chiromant und Okkultist Ernst Issberner-Haldane in der „Ariosophischen Schule“.

Was bleibt als Fazit dieser ungewöhnlichen Untersuchung, die mithilfe des Studiums vieler unveröffentlichter Quellen eine wissenschaftliche Lücke füllt? Aus meiner Sicht dreierlei. Erstens: Yoga war in der NS-Zeit weder verboten noch tabuisiert, sondern wurde als vermeintlicher Ausdruck indo-arischen Geistes geduldet, wobei sich sicherlich nur eine Minderheit dafür interessierte. Zweitens: Yoga führt nicht eo ipso zu Sanftmut und Gewaltlosigkeit, sondern „einzelne Elemente des Yoga scheinen prädestiniert, um hierarchische, nationalistische und den Krieg verherrlichende Ideologien zu legitimieren und im Fall des Machtverlusts Trost zu spenden“ (15f). Drittens: Die Frage nach der religiösen Legitimation von Gewalt und dem Missbrauch von Religion zu machtpolitischen Zwecken stellt sich für östliche Heilswege ebenso wie für die monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam. Dass diese Fragestellung im Blick auf hinduistisch geprägtes Yoga erstmals konsequent durchbuchstabiert wird, und das gerade für die besonders brisante Epoche der NS-Diktatur, das macht die Lektüre des Buches außerordentlich spannend und ertragreich.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.