Religiöse Landschaft

"Woran glaubst du?" ARD-Themenwoche fand große Beachtung

Unter Federführung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) war es die Absicht der ARD-Themenwoche (11. bis 17. Juni 2017, http://reportage.mdr.de/woran-glaubt-deutschland#8152), die Vielfalt religiös-weltanschaulicher Orientierungen in Deutschland darzustellen. Bereits der Titel der Themenwoche legt nahe, die Menschen direkt zu fragen und dabei die unterschiedlichen Kommunikationsmedien wie Fernsehen, Radio und das Internet u. a. mit seinen interaktiven Online-Angeboten zu nutzen. 650 Fernsehsendungen befassten sich mit dem Thema. Der Hörfunk sendete 450 Stunden Programm. Die gegebenen Antworten waren zahlreich, verschieden, persönlich und zugleich öffentlich. Sie geben beispielhaft aussagekräftige Eindrücke wieder, in welche Richtung sich die Einstellungen zu Religion und Glaube in der pluralistisch geprägten Gesellschaft entwickeln.

Der „Tatort“ aus Dresden, die Arztserie „In aller Freundschaft“, der Mittwochsfilm „Atempause“, die MDR-Dokumentation „Land ohne Glauben“, der Film „Die Konfirmation“, die Comedy-Satire „Nuhr dran glauben“ und viele andere Sendungen waren auf die Themenwoche bezogen. „ARD-Volontäre, Reporter und Moderatorinnen aus allen Landesrundfunkanstalten haben Menschen aus ganz Deutschland gefragt, woran sie glauben.“ Die Ergebnisse wurden online als facettenreiches Stimmungsbild präsentiert, „welches nicht den Anspruch erhebt, repräsentativ zu sein.“ Woran glaubt Deutschland? Die Statements vor laufender Kamera dauern meist nicht länger als eine Minute. Auch prominente Politiker und Schauspieler wurden befragt. Auf einer Deutschlandkarte können verschiedene Regionen aufgerufen werden. Glaubensorientierungen sind immer auch kontextuell. Woran glaubst du? Was ist dir heilig? Was gibt deinem Leben Sinn? „Die Antworten auf diese Fragen zeigen, worauf ein Mensch im Leben vertraut, worauf er sich auch in Krisenzeiten verlässt – ganz gleich, ob er religiös ist, atheistisch lebt oder Sehnsucht nach Spiritualität verspürt.“

Es zeigte sich eine vielfältig sich artikulierende Distanz zu institutionalisierten Glaubens- und Religionsgemeinschaften, aber es gab auch das pointierte Bekenntnis zum kirchlichen Glauben an Gott. Viele verstanden die Frage nach ihrem Glauben als Frage nach ihren Werten, danach, was ihnen wichtig ist. Sie sagten, dass sie an Freundschaft und die große Liebe glauben, an sich selbst und ihre Kraft, an das Gute im Menschen, an die Werte des Grundgesetzes, an Demokratie und Gerechtigkeit, an die Wissenschaft, an Schicksal und Zufall, an die Kraft der Natur, an Achtsamkeit, an einen Gott, der in der Natur zu finden sei, an eine universelle Lebensenergie, an eine gemeinsame Essenz aller Religionen. Die Antworten belegen gleichermaßen Prozesse der Säkularisierung, der Individualisierung und der Pluralisierung des Glaubens. Religionsdistanz und Religionsfaszination bestimmen gleichermaßen die religiös-weltanschauliche Gegenwartslage. Die „Verbuntung“ der religiösen Landschaft wird eindrucksvoll dargestellt.

Das Glaubensthema spricht Menschen an. Es interessiert junge und alte Menschen, Politiker und Schauspieler, Studierende und Arbeitsuchende. Die Antworten zeigen: Skepsis und Sehnsucht liegen manchmal nah beieinander. Weder religiöse Erweckungen noch das Verschwinden der Religion sind die charakteristischen Vorgänge in der säkularen und pluralistischen Kultur. Auch derjenige Mensch, der sich selbst als nichtreligiös bezeichnet, hört nicht auf, Fragen zu stellen und zu beantworten; der religiös überzeugte Mensch weiß, dass seine Lebensorientierung von anderen nicht geteilt wird.

Es fällt auf, dass vom Glauben häufig in einem allgemeinen und unbestimmten Sinn gesprochen wird. Glaube wird als existentiales und existenzielles Phänomen wahrgenommen, dem sich niemand entziehen kann. Dabei schwingt auch mit, dass alles menschliche Handeln, Denken, Planen und Fühlen Vertrauen voraussetzt. Selbst die wissenschaftliche Reflexion und die kritische Hinterfragung allen Wissens bleiben von einem vorgängigen Vertrauen umschlossen. Wissen setzt insofern Glauben voraus. Jede Argumentation beruht auf der Voraussetzung ihrer Sinnhaftigkeit.

In einem viel beachteten Interview der Themenwoche hat Markus Tiedemann, Professor für Didaktik der Philosophie und Ethik, darauf hingewiesen, dass das Projekt Aufklärung als Vernunftorientierung aus seiner Sicht in eine Krise geraten ist. „Wir haben eine neue Gottheit“, sagt er. „Dieser neue Gott heißt Konsum. Wir opfern diesem Gott jeden Tag. Am liebsten die Zukunft unserer Kinder …, ohne jegliche Notwendigkeit, ohne jegliche Begründung.“ Neu ist diese Gottheit allerdings nicht. In seiner Erklärung zum ersten Gebot kam Martin Luther zu einer ähnlichen Konklusion. „Geld und Gut ... das ist der allgemeinste Abgott auf Erden“, heißt es bei Luther in seiner Erklärung zum ersten Gebot im Großen Katechismus (1529).

Die öffentlich-rechtlichen Medien haben religiös-weltanschauliche Vielfalt anschaulich und kreativ skizziert. Sie haben Impulse für eine Kommunikation über Glaubensfragen gegeben. Mehr kann und darf von ihnen nicht erwartet werden. Wer nach Inhalten des Glaubens und Vertrauens fragt, wirft zugleich die Frage nach kritischer Unterscheidung auf. Zu einem biblisch inspirierten Glauben gehören Kritik und Selbstkritik, zum Beispiel die Kritik an vordergründigen Lebensorientierungen. Nicht jeder Glaube ist lebensdienlich und hält das, was er verspricht. Dass der Mensch sich in der Welt nicht bergen kann, weder in den Dingen noch in sich selbst noch in anderen Menschen, gehört zu den Möglichkeiten menschlicher Einsicht. Es stellt zugleich keinen Gottesbeweis dar. Auch im Blick auf das christliche Leben gilt: Falsche Zufluchts- und Trostorte müssen aufgedeckt werden. Mit der Wahrnehmung der Sehnsucht und Skepsis der Menschen fängt jede Kommunikation über Glaubensfragen an. Ohne Erkennbarkeit und religiöse Profilierung bleibt sie belanglos.

Reinhard Hempelmann