Konfessionslosigkeit

Woran glauben "Ungläubige"?

Bereits vor 50 Jahren, im März 1969, fand im Vatikan eine 1. Internationale Tagung zum Thema „Die Kultur des Unglaubens“ statt. Unter der Schirmherrschaft von Peter L. Berger und in Zusammenarbeit mit kalifornischen Religionssoziologen tauschten sich damals Experten über die Folgen wachsender Konfessionslosigkeit aus und versuchten, besser zu verstehen, woran „Ungläubige“ eigentlich glauben.1 Ende Mai 2019 trafen sich an der päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom erneut 70 Fachleute für Atheismus und Agnostizismus, um „Kulturen des Unglaubens“ aus aktueller Sicht zu analysieren.2 Weltweit gelten heute laut dem Meinungsforschungsinstitut „Pew Forum“ rund 1,2 Milliarden Menschen als religionsfern. In Deutschland ist etwa ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos. Auf der Tagung im Vatikan wurde erneut daran erinnert, dass mit „ungläubig“ ganz unterschiedliche Standpunkte gemeint sein können: Radikale Atheisten, moderne Agnostiker, Humanisten oder Freidenker lehnen Religionen ab und suchen Sinn und Glück auf anderen Wegen (vgl. MD 11/2013, 423f).

Das Vorurteil, dass ungläubige Menschen keine Wertvorstellungen hätten, konnte die britische Soziologin Lois Lee auf der Tagung in Rom durch ihre Studie widerlegen. In einem anderen Vortrag wurde gefragt, warum viele Atheisten an Übernatürliches glauben. Demnach bestreiten nur 35 Prozent US-amerikanischer Atheisten die Existenz übernatürlicher Phänomene, unter chinesischen Atheisten seien es sogar nur 8 Prozent. Es greife zu kurz, so der referierende Anthropologe, den Menschen nur als rationales, kühl abwägendes Wesen zu sehen. Möglicherweise sind Glauben, Lieben und Hoffen universelle menschliche Eigenschaften, die emotionale Grundbedürfnisse darstellen und konfessionelle Etiketten sprengen.

Manche Teilnehmer der Tagung störte es, dass die religionsfreundliche John-Templeton-Stiftung die Tagung mit 2,6 Millionen Euro gefördert hat und dass sie im Vatikan stattfand. Aber auch atheistische Forscherverbände beschäftigen sich mit der Grenze zwischen Glauben und Unglauben. Früher hat sich die Konversionsforschung bereits mit der Hinwendung zum Christentum beschäftigt (vgl. MD 10/2016, 391-394). In einer neuen Studie3 wurden jetzt 111 biografische Erzählungen analysiert, in denen Atheisten darüber berichteten, warum sie zum christlichen Glauben konvertiert sind. Entscheidende Motive sahen die Forscher in krisenhaften Lebensumständen, Begegnungen mit glaubwürdigen Christinnen und Christen und der Überzeugung, keinen Lebenssinn in einer atheistischen Weltsicht zu finden.

Die Tagung und die neue Studie verdeutlichen, wie wichtig Gespräche zwischen religiös und säkular eingestellten Menschen sind, um Vorurteile abzubauen, Andersglaubende besser zu verstehen und viele Gemeinsamkeiten zu entdecken.


Michael Utsch


Anmerkungen

  1. Vgl. Rokko Caporale / Antonio Grumelli (Hg.): The Culture of Unbelief, Berkeley 1971.
  2. Vgl. www.templeton.org/es/event/cultures-of-unbelief-2 .
  3. Studie „Wie Atheisten zum Christentum konvertieren“:  www.researchgate.net/publication/327078804_Toward_Faith_A_Qualitative_Study_of_How_Atheists_Convert_to_Christianity