Andreas Fincke

„Wir haben über Jahrzehnte in einer selbst gewählten Isolation gelebt“

Anmerkungen zum Interview

Das Interview beginnt mit einem „Paukenschlag“: Die Frage nach der Unfehlbarkeit des Stammapostels trifft die NAK in einem wichtigen Punkt. Leber weist das Ansinnen zwar zurück, faktisch genießt der Stammapostel jedoch nach wie vor höchstes Ansehen. Auch verleugnet Leber nicht, dass der Kult um den Stammapostel häufig Jesus verdrängt hat. Sätze wie „Jesus wird im Stammapostelamt sichtbar“ waren noch vor wenigen Jahren zu lesen. Interessant ist jedoch, wie unverkrampft Leber mit dieser heiklen Frage umgeht.

Der Wortwechsel um die sog. Botschaft des Stammapostels Bischoff berührt ebenfalls einen neuralgischen Punkt. Leber positioniert sich nicht eindeutig. Das kann er auch nicht, weil er sonst Gefahr läuft, die Gemeinden zu spalten. Es ist sicher klug, bei diesem Thema auf Zeit zu setzen – weil die damals Betroffenen inzwischen immer älter werden. Immerhin räumt er ein, dass die „Botschaft“ faktisch zu einem Dogma in der NAK erhoben wurde.

Nichts substantiell Neues enthalten Lebers Ausführungen zum Verhältnis von Taufe und Errettung. Er beschreibt die bekannte Position der NAK, nach der eigentlich nur NAK-Christen wahre Gotteskinder sein können. Mit der späteren Bezugnahme auf den Schächer am Kreuz schließt er gleichwohl die Gnade für andere Menschen nicht aus. Und er benutzt an dieser Stelle die m. W. neue Formulierung: „Hierin [in der Taufe und in der Versiegelung; A.F.] sehen wir den Mehrwert unseres Glaubens.“ „Mehrwert“ ist eine milde Umschreibung dessen, was man aus einer anderen Perspektive als „Exklusivität“ wahrnehmen kann.

Wie nicht anders zu erwarten, wird das Stammapostelamt ähnlich begründet wie die Römisch-katholische Kirche das Papstamt begründet. Dem Einwand, dass die katholische Kirche das Papstamt schon viel länger kennt, entgegnet Leber, dass die Geschichte weniger wichtig sei als „die Qualität des Amtes“. Damit begibt er sich in eine gewisse Spannung zu seinen Entgegnungen beim Gesprächsbeginn, als er das Stammapostelamt eher zu relativieren versuchte. Es ist eben doch ein Amt, in dem in besonderer Weise der Heilige Geist wirkt bzw. wirken soll. Leber lässt keinen Zweifel daran, dass er von der Heilsnotwendigkeit des Apostelamtes überzeugt ist und an dieser Überzeugung festzuhalten gedenkt. Damit ist klar, dass das Heil in seiner Fülle dann doch nur in der NAK zu finden ist. Das ist gleichsam der „Marken-Kern“ der NAK. Wenn er diese Verheißung aufheben würde, gäbe es keinen Grund mehr, der NAK anzugehören. Aus evangelischer Perspektive kann dies nicht unwidersprochen bleiben: Gemäß biblischem Befund war das Apostelamt nicht als Dauereinrichtung der Kirche gedacht, das NT kennt keine unterschiedlichen Ränge und keinen Stammapostel. Der Bericht über das sog. „Apostelkonzil“ (Gal 2,11) zeigt, wie Paulus den kritisiert, dem der Rang des „Stammapostels“ zugekommen wäre: Petrus.

Auf das katechismusähnliche Büchlein „Fragen und Antworten“ (1992) angesprochen, erklärt Leber, dass man den Satz von der Vollendung des Erlösungswerkes Jesu in der NAK heute nicht mehr so formulieren würde. Das ist in der Tat die gegenwärtige Sicht der Dinge. Man hört immer häufiger, dass die für 2008 angekündigte Neuauflage von „Fragen und Antworten“ entscheidende Veränderungen präsentieren wird. Dennoch hält Leber daran fest, dass „die Vorbereitung der Braut auf die Wiederkunft des Herrn“ nur durch die Apostel hinreichend gewirkt werden kann.

Ein wirkliches Novum: Leber räumt erstaunlich unumwunden das Fehlen bzw. den Mangel an theologischer Ausbildung in der NAK ein – eine Sicht der Dinge, die es so bisher nicht gab. Angesprochen auf das für NAK-Mitglieder lange Zeit gültige Verbot weltlicher Vergnügungen (Kino, Fernsehen etc.), antwortet der Stammapostel mit dem bemerkenswerten Satz. „Seit 1985 betonen wir die Eigenverantwortung unserer Mitglieder.“ Dabei muss man vor Augen haben, dass die NAK viele Jahre einen beachtlichen Druck auf ihre Mitglieder ausgeübt hat, unter dem manche noch heute leiden. So ist es einerseits erfreulich, dass Leber auf Distanz zu diesen Zeiten geht, andererseits mutet es immer wieder seltsam an, wie leicht neue Regenten über die Wunden der alten Zeit hinweggehen (müssen?). Mit der „Eigenverantwortung“ ihrer Mitglieder ist wohl deren Gewissen gemeint. Aus evangelischer Perspektive möchte man – zugegeben etwas polemisch – festhalten, dass wir seit Luther die Freiheit des Christen betonen – und die daraus resultierende Verantwortung vor Gott. Freiheit und Verantwortung gehören unauflöslich zusammen. Wenn die NAK die Verantwortung des Einzelnen betont, muss sie ihm auch umfassende Freiheit zugestehen.

In beiden deutschen Diktaturen war die NAK vergleichsweise angepasst. Dabei ist zu konstatieren, dass die NAK aufgrund ihres Selbstverständnisses gar keinen Blick für Widerstand oder Verweigerung hätte haben können. Dass sie im sog. Dritten Reich kurz vor dem Verbot stand, hört man in jüngster Zeit öfters. Um so dringlicher besteht Forschungsbedarf.

Bemerkenswert ist das Eingeständnis der „selbst gewählten Isolation“, in die sich die NAK in der Vergangenheit begeben habe. Dass man zum Beispiel mit einem solchen Interview aus ihr heraustritt, ist tatsächlich eine kleine Sensation. Wesentlich ist dabei aber nicht nur die Tatsache als solche – so darf man wohl spekulieren –, sondern auch, wem das Interview gewährt wird. Das Nachrichtenmagazin „ideaSpektrum“ steht auf dem Boden der Evangelischen Allianz und wendet sich überwiegend an evangelikale Christen. Sucht die NAK Bündnispartner im konservativ geprägten Spektrum des Protestantismus? Das könnte strategisch geschickt sein. Der Satz „Wir wollen die Gemeinsamkeiten unseres Glaubens stärker betonen…“ ist zwar sehr allgemein, spiegelt aber genau diese Suche wider.

Wenn Leber sagt „Wir profitieren (...) von Missionaren, die in viele Länder das Christentum gebracht haben. (...) Wo es keine christliche Grundlage gibt, da kriegen auch wir kein Bein auf die Erde“, gesteht er damit indirekt ein, dass die NAK in den Missionsgebieten Christen anderer Kirchen abwirbt. Ein Vorwurf, den die NAK bisher immer vehement zurückgewiesen hat – und ein Problem, das in den nächsten Jahren noch für einigen Zündstoff sorgen dürfte.

Dass die NAK sich in ihrem Amtsverständnis der katholischen Kirche näher fühlt, ist schon häufiger festgestellt worden. Das Problem ist jedoch, dass die katholische Kirche gegenüber der NAK eine tiefere Distanz empfindet als die evangelischen Kirchen.

Es ist hilfreich, dass Leber erneut das Interesse der NAK an einer Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) bestätigt. Sicher werden die Dinge Zeit brauchen. Aber das Ziel ist benannt und sollte vor Augen bleiben. Auch die Kirchen der Ökumene können von einer Mitarbeit der NAK in der ACK profitieren. Die NAK wird auf diesem Wege noch einige schwere Aufgaben lösen müssen. Das ist zuerst ein innerkirchliches Problem der NAK. Es dient der Klarheit, wenn Leber noch einmal festhält, dass die Lehre vom Apostelamt für eine Mitgliedschaft in der ACK nicht preisgegeben wird. Die Frage wird sein, wie man das Apostelamt künftig theologisch begründet und inhaltlich füllt.


Andreas Fincke