Andreas Fincke

„Wir haben abgeschworen!“

Anliegen und Allianzen des neu gegründeten „Zentralrats der Ex-Muslime“

 

Religionsfreiheit hat zwei Seiten. Sie garantiert die Freiheit, sich einer Religion zuzuwenden und die Freiheit, eine Religion verlassen zu können. Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit. In vielen islamischen Ländern ist die Abkehr vom Islam lebensgefährlich, da die Scharia für Abgefallene die Todesstrafe fordert. Im Koran heißt es z.B.: „Wenn sie sich abkehren, dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet, und nehmt euch niemanden von ihnen zum Freund oder Helfer!“ (4,89) Bis heute zitieren Rechtsgelehrte Mohammeds Ausspruch: „Wer die Religion wechselt, den tötet!“ 1978 wurde in einem Kairoer Rechtsgutachten (Fatwa) die Frage erörtert, wie mit einem Ägypter zu verfahren sei, der eine Deutsche geheiratet hat und sich nun zum Christentum bekennt. „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“ stellte der Fatwa-Ausschuss fest, dass dem Mann Gelegenheit zur Reue eingeräumt werden solle. Zeigt er diese nicht, „wird er islamrechtlich getötet“. Ein ähnliches Schicksal war für die Kinder aus dieser Ehe vorgesehen. Erst kürzlich wurde in Ägypten ein junger Mann wegen (vermeintlicher) Beleidigung des Islam zu vier Jahren Haft verurteilt.

In Deutschland ist die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert. Gern berufen sich islamische Verbände auf dieses Recht, wenn z. B. über den Bau einer Moschee diskutiert wird. Doch lautstarkes Schweigen herrscht, wenn sich Muslime vom Glauben abwenden – und deshalb bedroht werden.

Ende Februar dieses Jahres wurde in Köln ein Zentralrat der Ex-Muslime gegründet. Dieser Zentralrat versteht sich als Sprachrohr jener Migranten, die sich vom Islam gelöst haben und es leid sind, trotz dieser inneren Abkehr weiterhin als Muslime bzw. als muslimische Intellektuelle bezeichnet zu werden. Denn viel zu wenig wird in der Öffentlichkeit realisiert, dass ein nennenswerter Teil der 3,3 Millionen Muslime nicht religiös ist. Viele haben sich vom Glauben entfernt, manche sind sogar nach Deutschland gekommen, weil sie sich islamischen Glaubens- und Lebensvorstellungen entziehen wollten. Es gibt zwar kaum seriöse Zahlen darüber, wie hoch der Anteil „säkularer Muslime“ sein mag; die Zahl dürfte jedoch wesentlich höher sein als weithin vermutet. In aller Stille haben diese Menschen sich vom Islam entfernt, sie besuchen keine Moschee, ignorieren den Fastenmonat und die Frauen haben längst das Kopftuch abgelegt.

Der neu gegründete Zentralrat der Ex-Muslime ist eine mutige Initiative. Niemals zuvor haben in Deutschland ehemalige Muslime in einer solchen Öffentlichkeit ihrem Glauben abgeschworen. Mit Gesicht und Namen präsentieren sich einige Dutzend auf dem Titel einer Broschüre und im Internet. Sie sprechen den islamischen Verbänden das Recht ab, für die Mehrheit der in Deutschland lebenden und aus islamischen Ländern kommenden Menschen zu sprechen. Mehr noch, sie unterstellen diesen Verbänden, wirkliche Integration zu verhindern und ein falsches Spiel zu betreiben. Deshalb kritisiert der Zentralrat der Ex-Muslime auch die Bundesregierung wegen ihrer „Kuschelpolitik“ den großen islamischen Organisationen gegenüber: weil sie diese als Gesprächspartner hofieren und so als Vertreter „aller“ Migranten aufwerten würden; weil inzwischen „Dialogprofis“ zu den Stammgästen vermeintlicher Dialogveranstaltungen gehören, bei Tagungen der großen parteinahen Stiftungen und kirchlicher Akademien auftreten und für eine Gruppe zu sprechen meinen, die ihnen nie ein Mandat erteilt hat.

Zweifellos ist der Name „Zentralrat“ für ein Gremium mit ursprünglich lediglich 120 Mitgliedern übermütig. Er ist eine Provokation. Bewusst werden Assoziationen zum „Zentralrat der Juden“ oder zum „Zentralrat der Muslime“ geweckt. Dieser Name will sagen: Wir vertreten eine Szene, die nicht länger übersehen werden kann. Wir wollen mitreden, wenn in Zukunft über die Integration von Migranten diskutiert wird. Allein die Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime ist eine Ermutigung für Tausende, die in muslimischen Familien leben und mit ihrem Glauben hadern. Diese Aufforderung zur offenen Abkehr macht den neu gegründeten Zentralrat so brisant.

Explosiv sind auch die politischen Forderungen: Man setzt sich für „die Einführung und Einhaltung der Menschenrechte in den Ländern des islamischen Herrschaftsraumes“ ein und fordert die Bundesregierung auf, „gegen Ehrenmorde, weibliche Genitalverstümmelung, Steinigungen, Hinrichtungen, Folterungen und andere unmenschliche Praktiken wirksam einzuschreiten“. Schlimm genug, dass solche Forderungen kein selbstverständlicher Bestandteil deutscher und europäischer Außenpolitik sind.

Logistische Unterstützung bekommt der neue Zentralrat von einigen atheistischen Organisationen wie dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), der Giordano-Bruno-Stiftung und anderen. Diese machten bisher durch kirchen- und christentumskritische Aktionen von sich reden. So organisiert z.B. die Giordano-Bruno-Stiftung im Umfeld kirchlicher Großereignisse häufiger sog. „Religionsfreie Zonen“. Ihr Sprecher, Michael Schmidt-Salomon, profiliert sich gern mit plakativen Angriffen auf das Christentum und bezeichnet dieses als „dümmste Religion“ (vgl. MD 1/2006, 3).

Im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung finden sich einige recht einflussreiche Wissenschaftler, so etwa Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, der auf dem 50. Geburtstag von Angela Merkel den Festvortrag hielt. Ebenso findet man im Beirat den Rechtsphilosophen Norbert Hoerster, einen vehementen Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen und den Philosophen Hans Albert.

Der Zentralrat der Ex-Muslime ist nicht der erste Zentralrat, für dessen Gründung sich die Giordano-Bruno-Stiftung bzw. Schmidt-Salomon engagierten. Vor einem Jahr (vgl. MD 10/2006, 379f) versuchte man, zahlreiche atheistische und freidenkerische Organisationen zur Gründung eines „Zentralrats der Konfessionsfreien in Deutschland“ zu bewegen. Die Idee scheiterte damals, weil die freidenkerische Szene in Deutschland sehr disparat ist und man sich nicht auf gemeinsame Positionen einigen konnte. So engagiert man sich für einen anderen Zentralrat – unter PR-Aspekten eine durchaus clevere Idee. Noch nie hat eine Aktivität der Giordano-Bruno-Stiftung so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt; Michael Schmidt-Salomon ist seither häufiger Gast in Fernseh- und Rundfunksendungen.

Mit der Unterstützung des Zentralrats der Ex-Muslime überträgt die Stiftung ihren religionskritischen Ansatz erstmals auch auf außerchristliche Religionen in Deutschland. Man kann gespannt sein, wie sich die Dinge entwickeln; hierzulande erregt Kirchenkritik kaum die Gemüter. Ob und wie atheistische Islamkritik in Deutschland möglich ist, wird sich zeigen.

Die Initiative der Ex-Muslime stieß auch international auf reges Interesse. Inzwischen wurden ähnliche Organisationen in den Niederlanden, Skandinavien und in Großbritannien gegründet. Die Akteure verbinden damit die Hoffnung, dass der „Zentralrat der Ex-Muslime“ zur Keimzelle einer weltweiten islamkritischen Aufklärungsbewegung werden könnte. Insbesondere die Gründung des „Council of Ex-Muslims of Britain“ im Juni 2007 hat noch einmal international für Schlagzeilen gesorgt. (Vgl. www.ex-muslime.de / www.ex-muslim.org.uk.)


Andreas Fincke