Neuapostolische Kirche

Widersprüchliche Entwicklungen

(Letzter Bericht: 7/2009, 268ff) Versucht man, den unübersehbaren Öffnungskurs der Neuapostolischen Kirche (NAK) zum jetzigen Zeitpunkt einzuschätzen, stellt man fest, dass widersprüchliche Tendenzen keine eindeutige Zukunftsprognose zulassen.

Vielerorts hat sich eine gute Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen eingestellt. Die NAK genießt mittlerweile in sechs örtlichen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen (ACKs) den Status der Gastmitgliedschaft, nämlich in Memmingen (seit 2006), Aschaffenburg (seit 2007), Hameln und Marburg (seit 2008) sowie in Halle/Saale und Göttingen (seit 2009). Allerdings verhält sich die Bundes-ACK zurückhaltend. Derzeit finden keine Sondierungs- oder Aufnahmegespräche statt.

Im Hinblick auf die Gemeindepraxis sind dogmatische Lockerungen festzustellen. In zwei längeren Artikeln der Mitgliederzeitschrift „Unsere Familie“ wurde die Nützlichkeit einer Psychotherapie bei einer Angststörung (18/2009) oder einer Depression (20/2009) aufgezeigt. Bei entsprechenden Warnzeichen sollten auch Amtsträger Fachleute konsultieren, so der Ratschlag. Eigene Seelsorger sollten nicht zu lange damit überfordert werden. Ein weiterer Hinweis auf dogmatische Lockerungen: Die Gebietskirche der NAK Nordrhein-Westfalen erarbeitet derzeit die Anleitung zu einem Segensgebet für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, was für konservative Protestanten oder Freikirchen nach wie vor ein Tabu darstellt.

Seit dem Informationsabend in Uster (2006) ist die NAK konsequent darum bemüht, ihren Exklusivitätsanspruch zu relativieren. Schaut man sich daraufhin „Unsere Familie“ an, wird das Apostelamt heute als „heilsvermittelnd“ bezeichnet, aber nicht mehr – wie in früheren Jahren – als „heilsnotwendig“. Trotzdem enthalten die letzten Ausgaben von „Unsere Familie“ Aussagen, denen ein exklusives Amtsverständnis zugrunde liegt. Einem solchen Amtsverständnis muss aus evangelischer Sicht widersprochen werden.

Wenn es heißt, neue Offenbarungen Gottes durch das Apostelamt seien nicht ausgeschlossen (Unsere Familie 13/2009, 36), widerspricht das der Aussage im Hebräerbrief (1,2), wonach die Selbstmitteilung Gottes durch seinen Sohn abgeschlossen ist. Als wichtigstes Beispiel für die neuen Offenbarungen durch die Apostel wird die Lehre von der Heilsvermittlung für Entschlafene genannt. Diese muss aus evangelischer Sicht abgelehnt werden, weil zahlreiche neutestamentliche Stellen die Bedeutung der Entscheidungsfreiheit für oder gegen ein Leben mit Gott zu Lebzeiten (!) betonen.

Ohne Zweifel ist die NAK in Bewegung. Deshalb hängt viel von dem angekündigten neuen Katechismus ab, der die aktuellen Lehrveränderungen in ein dogmatisches Gesamtbild einfügen muss. Ob die Reise näher zur Gemeinschaft ökumenischer Kirchen hin oder weiter weg führt, wird nach den dortigen Ausführungen zum Apostelamt, zum Schriftverständnis, zur Eschatologie und zur eigenen Geschichtsaufarbeitung zu entscheiden sein.


Michael Utsch