Wolfgang Huber

„Weltverantwortung gehört zu ihrem Wesen“

Zur Frage der Entweltlichung der Kirche

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Bischof Dr. Wolfgang Huber hat auf der Herbsttagung der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden zum Reformprozess der Kirche Stellung genommen. In seinem Vortrag unter dem Titel „Zwischen Realität und Aktualisierung – das Evangelium als Gabe und die Herausforderungen kirchlicher Arbeit“ greift er das von Papst Benedikt XVI. zuvor in seiner Freiburger Rede thematisierte Stichwort von der „Entweltlichung“ der Kirche auf. Es folgt ein Auszug.

 

Die Kirche als „irdenes Gefäß“: Dieses biblische Bild vermag auch Klarheit in die Debatte über die Weltlichkeit der Kirche und ihre „Entweltlichung“ zu bringen. Papst Benedikt XVI. hat diesem Begriff in seiner Rede im Freiburger Konzerthaus am 25. September 2011 einen prominenten Ort gegeben. Er will damit die Kirche nicht von ihrem Auftrag gegenüber der Welt lösen. Vielmehr hat sich dieser Auftrag in der „Nüchternheit des Heute“ zu vollziehen; die Kirche hat sich „den Sorgen der Welt (zu) öffnen“. Zugleich jedoch verwendet der Papst einen Begriff der „Welt“, der sich im Neuen Testament besonders im Johannesevangelium findet, sich dann aber vor allem in der frühchristlichen Gnosis ausbreitet. Die Befreiung von den versklavenden Mächten des Kosmos ist das Ziel der Entweltlichung, nach welcher der einzelne Glaubende strebt und nach der auch die Kirche streben soll. Überraschenderweise deutet der Papst die neuzeitlichen Säkularisierungsprozesse aus einer solchen Perspektive positiv; er sagt von ihnen, sie hätten zur Läuterung und inneren Reform der Kirche wesentlich beigetragen. In der Enteignung von Kirchengütern und der Beseitigung von Privilegien wird die Kirche seiner Auffassung nach von „weltlichem Reichtum“ entblößt und nimmt wieder ganz ihre „weltliche Armut“ an. Wörtlich sagt er: „Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.“ Weltoffenheit auf der Grundlage von Entweltlichung ist das Programm, das der Papst mit diesen Worten vertritt.Die kritische Distanz gegenüber den Strukturen, in denen die Kirche lebt, ist sicher heilsam. Freilich beruht ihre „Verweltlichung“ keineswegs nur auf politischen Bindungen oder Privilegien, von denen sie durch Säkularisierungen befreit wird. Sie beruht vielmehr ebenso auf einer inneren „Verweltlichung“; interne Herrschaftsstrukturen und innere Privilegierungen können das Zeugnis des Evangeliums ebenso verdunkeln wie äußere Abhängigkeiten. Eine Befreiung aus der „babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ erfolgt deshalb nicht durch von außen aufgezwungene Säkularisierungen, sondern durch einen inneren Klärungsprozess. Ich habe darüber hinaus Zweifel daran, dass diese immer wieder nötige Befreiung durch den Begriff der „Entweltlichung“ gut beschrieben ist. Denn die Kirche, deren Botschaft nicht „von dieser Welt“ ist, bleibt doch Kirche in der Welt. Sie folgt der Bewegung, die durch die Menschwerdung Gottes vorgezeichnet ist. Die „Treue zur Erde“, um Dietrich Bonhoeffer zu zitieren, und die Nähe zu den Menschen zeichnet sie aus. Im Blick auf ihre eigene Weltlichkeit (die man von „Verweltlichung“ unterscheiden sollte) ist die Frage entscheidend, welche Strukturen in den Dienst der Weitergabe des Evangeliums gestellt werden können und welche Strukturen diesen Dienst verdunkeln. Dabei lässt sich eine mangelnde Entsprechung zwischen dem Gefäß und dem Inhalt gar nicht überwinden; es handelt sich immer um ein tönernes, zerbrechliches Gefäß. Die Kirche, die nicht von der Welt ist, bleibt doch immer in der Welt, ja ein Teil der Welt. Sie ist selbst auf die Vergebung angewiesen, die sie predigt; sie braucht selbst die Umkehr, die sie in Taufe und Abendmahl feiert.Die Rede von einer „Entweltlichung“ der Kirche kann auch deshalb in eine falsche Richtung führen, weil sie die Weltverantwortung der Kirche in Zweifel zieht. Die Vorstellung von einer „Kirche ohne Privilegien“ verbindet sich häufig mit dem Gedanken, wir erlebten ein „Ende des konstantinischen Zeitalters“. Mit der Verbindung zwischen Kirche und Staat gehe zugleich die Verantwortung der Kirche in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, ihr Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, ihre vorrangige Option für die Armen auf ein Ende zu. Eine solche Entscheidung aber steht gar nicht zur Disposition der Kirche. Ihre Weltverantwortung gehört zu ihrem Wesen. Sie gewinnt zuallererst Gestalt im täglichen Handeln ihrer Glieder; sie verwirklicht sich dann aber auch im diakonischen Handeln der Kirche im Ganzen, ihre politische Diakonie eingeschlossen. Eine Kirche, die durch ihre Glieder in der Welt lebt und handelt, kann sich auch in ihrem gemeinschaftlichen Handeln nicht von der Welt trennen. Es kommt freilich darauf an, ob sie der Welt etwas zu sagen hat, was diese sich nicht selbst sagen kann.


Wolfgang Huber, Berlin