Universelles Leben

„Urchristen" (fast) allein im Gericht

(Letzter Bericht: 10/2009, 388ff) Sechs Anhänger des Universellen Lebens (UL) fanden sich am 16. März 2010 zu einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover ein. Als „Freie Christen für den Christus der Bergpredigt in allen Kulturen weltweit“ hatten u. a. die Anwälte Christian Sailer und Gert-Joachim Hetzel sowie der ehemalige evangelische Pfarrer Dieter Potzel Klage erhoben. Sie wollten erreichen, dass sich die hannoversche Landeskirche nicht mehr „christlich“ nennen darf. Mit einer ähnlichen Klage gegen das katholische Erzbistum Freiburg waren die Kläger schon am 10. Februar 2010 in Freiburg gescheitert. Die Landeskirche machte von ihrem Recht Gebrauch, zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen zu müssen. Somit hatten die Kläger und ihre schätzungsweise 40 anwesenden Sympathisanten den Saal fast für sich allein. Die Öffentlichkeit bestand hauptsächlich aus Vertretern der Medien. Allerdings schien auch hier die Mehrheit dem Umfeld des UL anzugehören.

Die Klage wurde abgewiesen. Das Gericht betonte zu Beginn der Urteilsverkündung, dass die staatlichen Verwaltungsgerichte einzig dem Individualschutz dienten und nicht der Verfolgung rechtsfremder Zwecke. Die Klage könne also nur dann zulässig sein, wenn es wenigstens möglich erscheine, dass die Kläger in einem sie schützenden Recht verletzt seien. Das Gericht stellte dann klar, dass kein Recht der Kläger zu erkennen sei, das dadurch verletzt sein könnte, dass sich die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers als „christlich“ bezeichnet.

Daran ändere auch die Darlegung der Kläger nichts, wonach die Landeskirche allein durch den Titel „christlich“ finanzielle Privilegien erhalte. Nach Ansicht der Kläger liegt eine „religiöse Wettbewerbsverschiebung“ vor. „Freie Christen werden hier in ihrer persönlichen Entfaltung beeinträchtigt“, erklärte Christian Sailer. Dieses Argument wies das Gericht zurück, da die Verfassung allen Religionsgemeinschaften, die die Organisationsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, diese Privilegien zuspreche. Die Privilegien stünden damit in keinem inneren Zusammenhang mit der Bezeichnung als „christlich“, sondern knüpften nur an den rechtlichen Status an.

Die Kläger behaupteten, eine Klagebefugnis gegen die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers ergebe sich auch aus dem postmortalen Persönlichkeitsrecht Jesu, dessen Nachfolge „im Geiste“ sie für sich beanspruchen. Aber auch darauf wollten sich die Richter nicht einlassen: Bei der Frage, wer der wahre Nachfolger Jesu Christi sei, handele es sich um eine Glaubens- und nicht um eine Rechtsfrage.

Die während der Verhandlung erhobenen massiven Vorwürfe gegen die lutherische Kirche spielten für das Urteil keine Rolle. Dabei war beispielsweise behauptet worden, es sei „wahrheitswidrig und irreführend“, dass sich die evangelische Kirche auf Jesus Christus berufe. Unter anderem rekrutiere sie ihre Mitglieder zwangsweise durch die Kindertaufe, billige Gewalt, Krieg und Tierquälerei und spiegele ihren Anhängern vor, der Glaube allein genüge. Zur Untermauerung dieser Thesen wurden radikale Luther-Zitate angeführt. Dass sich gerade die evangelisch-lutherische Kirche „christlich“ nenne, sei „Etikettenschwindel“, führte einer der Anwälte aus.

Die Klage richtete sich gegen die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers. Sie war in Hannover eingereicht worden, weil hier die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, ihren Amtssitz hatte. Entsprechend war in Freiburg Klage gegen das dortige Erzbistum und den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, erhoben worden.

Obwohl eine Berufung vom Gericht nicht zugelassen wurde, wollen die UL-Vertreter weitere Schritte prüfen. Man verwies dabei auf den Umgang der Richter mit der Frage nach der Befangenheit: Sailer und seine Mitkläger hatten gegen alle Richter Befangenheitsanträge mit dem pauschalen Argument gestellt, dass die Richter eventuell evangelisch-lutherischen oder römisch-katholischen Glaubens seien. Für diesen Fall unterstellten die Voten der UL-Vertreter eine mögliche Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit. Die Richter hatten den Antrag unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung als „offensichtlich rechtsmissbräuchlich“ abgewiesen. Die anwesenden Sympathisanten der Kläger brachten nach der Urteilsverkündung noch im Verhandlungssaal ihre Unzufriedenheit mit einigen lautstarken Bemerkungen zum Ausdruck.

Begleitet wurde das Verfahren durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit des UL vor allem im Internet. Schon im Vorfeld der Klage wurden Pressemitteilungen herausgegeben. Auch die Klageschrift und zusätzliche Schriftsätze wurden veröffentlicht. Bis zum Termin der Verhandlung gab es eine Reihe weiterer Mitteilungen. Zum Schluss wurde darin auch die evangelische Kirche mit zuletzt bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in Verbindung gebracht. Davor hieß es schon: „Landeskirche kneift vor Gericht“. Dieter Potzel nannte als „Sprecher der Freien Christen“ das Verhalten der Kirche laut Mitteilung vom 12. März 2010 „erbärmlich und feige“.1 Es passt ganz zu diesem Vorgehen, dass sich die Vertreter des UL zum heimlichen Sieger des Verfahrens ausriefen: „‚Wir haben dennoch gewonnen’, so brachte es Freie Christen-Sprecher Dr. Gert-Joachim Hetzel auf den Punkt, denn die Unchristlichkeit der Lutherkirche kam in diesem Verfahren klar zur Sprache ...“2

Unter den anwesenden Journalisten schienen die Vertreter der Printmedien überwiegend zur regionalen Presse und zu diversen bekannten Agenturen zu gehören. Bei den TV-Teams lag das Schwergewicht ziemlich eindeutig bei Vertretern, die eine gewisse Nähe zum UL verrieten. Während eines Pressegesprächs, das nach der Urteilsverkündung am Nachmittag desselben Tages in Räumlichkeiten der Landeskirche stattfand, trat diese Gruppe sehr massiv in Erscheinung. Mit deren Ergebnissen dürfte man zufriedener sein als mit denen der anderen Medienvertreter. In einem offenen Brief an den Berichterstatter von SAT 1 jedenfalls ist von „Unwahrheit oder Lüge“ die Rede. Weiter heißt es im selben Dokument: „Um von ihrem Etikettenschwindel abzulenken, ist es Tradition der Amtskirchen, andere mit Schmutz und Lügen übelster Art zu bewerfen.“3 Ganz offensichtlich kennen sich die UL-Vertreter gut aus im Mediengeschäft.


Jürgen Schnare, Hannover


1 Die Internetseiten, die aus Sicht des UL den Prozess begleiten, finden sich unter: www.christus-oder-kirche.de (alle angegebenen Internetseiten abgerufen am 22.3.2010). Quelle des Zitats: www.christus-oder-kirche.de/downloads/pressemitteilung-landes kirche-kneift-vor-geric.pdf

www.christus-oder-kirche.de/downloads/pressemitteilung-lutherkirche-nicht-christlich.pdf

www.christus-oder-kirche.de/downloads/offener- brief-an-sat1-190310.pdf