Neuheidentum

Trügerischer "Heidenspass"? Das "1. Berliner Heiden- und Hexenfest" im Spiegel interner Kritik

Neue interessante Details über die Hintergründe und die Auseinandersetzung im Vorfeld der Berliner Veranstaltung vom 13. März 2004 (vgl. MD 6/2004, 216-219) sind im Internet publiziert worden. Die im Folgenden wiedergegebenen Meinungen und Einschätzungen aus der Neuheidenszene bzw. der an der Durchführung maßgeblich beteiligten Personen spiegeln die kontroverse Diskussion wider.

Zu den Organisatoren des ersten Heidentreffens in einem Hinterzimmer eines Moabiter Restaurants zählten der Weddinger Heidenstammtisch, die neuheidnische Gemeinschaft Eldaring sowie der Odinic Rite Deutschland. Im Nachgang der Veranstaltung schlugen die Wellen hoch: Auf den Internetseiten hagelte es Stellungnahmen, Darstellungen und Gegendarstellungen zum Verlauf dieses Ereignisses. Dabei kommen auch unterschiedliche Perspektiven einzelner Vertreter zum Vorschein. Deutlich werden auch die politisch motivierten Richtungskämpfe innerhalb der heterogenen Neuheidenszene. So sieht das Internet-Magazin der neuheidnischen Gruppierung "Rabenclan" das Treffen, an dem etwa 50 Personen aus unterschiedlichen Kreisen teilgenommen hatten, rückblickend "als ein Beispiel für die derzeitige Auseinandersetzung im Neuheidentum, ob Hexen und Heiden mit Ignoranz oder Zivilcourage gegenüber rechtsradikalen Umtrieben reagieren sollen". Der ursprünglich vorgesehene Beitrag von Vicky Gabriel, die im thüringischen Arun-Verlag (Inhaber: Stefan Ulbrich) einige Bücher über das neue Hexentum veröffentlicht hatte, wurde von ihr kurzerhand zurückgezogen. Wie Matthias Wenger, Mitglied der neuheidnischen Gruppen Rabenclan und Steinkreis, in seiner Version des Abends im Internet darlegt, hatte die "zeitgemäße Interpretin heidnischer Religiosität" den Veranstaltungsort kurz vor Beginn des Treffens verlassen. Wenger plante offenbar, an dem Abend seine kritische Haltung zum Arun-Verlag deutlich zum Ausdruck zu bringen, da dieser "auch einige Texte rechter Prägung publiziert hat". Dies wurde ihm jedoch von einem Vertreter der Pagan Federation D.A.CH. verwehrt. Angeblich hätte - so der Vorwurf Wengers - auch Vicky Gabriel dies verhindern wollen, weil sie "ein absolutes Stillschweigen zum Thema Arun zur Bedingung ihrer Teilnahme gemacht hatte". Dies weist die kritisierte neuheidnische Buchautorin auf einer anderen Internetseite jedoch entschieden zurück und schildert den Verlauf aus ihrer Sicht: "In Berlin angekommen stellte sich jedoch - ... erst am Tag zuvor - heraus, dass innerhalb der Veranstalter Uneinigkeit bezüglich des Ablaufes der Veranstaltung vorlag. Ein Teil der Veranstalter plante einen Vortrag zum Thema Arun-Verlag, eine öffentliche Diskussion desselben sowie die Verteilung von Flyern zu diesem Thema. Darüber hinaus forderte man uns auf, öffentlich unsere Entscheidung, meine bzw. unsere Bücher vom Arun-Verlag publizieren zu lassen, als Fehler darzustellen" (vgl. www.eibensang.de/dagegen.html; 29.9. 2004). Am Ende spart Vicky Gabriel nicht mit scharfer Kritik: "Zu meinem großen Entsetzen sehe ich keinen Unterschied mehr zwischen den extremen Rechten und der extremen Linken oder auch den jeweiligen gemäßigten Lagern."

Eigentlicher Stein des Anstoßes und letztlich Auslöser der Kontroverse im Vorfeld war die Mitwirkung des Vertreters vom Odinic Rite Deutschland, Thilo Kabus. Kabus war von 1989 bis 1990 Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten und ist seit März 2004 als Leiter der Presseabteilung der Fraktion der Deutschen Volksunion (DVU) im Landtag Brandenburg tätig. Matthias Wenger, der eigenen Angaben zufolge Ende der 1980er Jahre selbst ein "überzeugter Rechter" war, lernte ihn als "NPD-Aktivisten" kennen. Kabus betreut im Internet die Seite www.heidenspass.net und versichert in seinen Beiträgen, er selbst sei kein DVU-Mitglied. Dennoch betrachten ihn andere - wie etwa der Musiker Duke Meyer - als "Vertreter der DVU", der die Veranstaltung "nachträglich für seine Zwecke propagandistisch auszuschlachten" versucht (www.eibensang.de/momalt.html; 28.9.2004). Kabus indes wehrte sich gegen solcherlei Vorwürfe und verweist in seinem Beitrag im Internetdiskussionsforum darauf, dass er als Pressesprecher der DVU-Landtagsfraktion und Nichtparteimitglied komplett weisungsgebunden sei und daher von Seiten der Partei "auch einer besonderen Kontrolle" unterliege. Für Lucas Corso vom Rabenclan haben die Auseinandersetzungen um die Rolle von Kabus im Blick auf das Berliner Heidenfest auch ihr Gutes, da sie "in den jeweiligen Gruppierungen zumindest im nachhinein eine Diskussion über den Umgang mit Personen wie Thilo Kabus angestoßen haben".

Eher vernichtend fällt hingegen das Fazit von Matthias Wenger aus. Er berichtet davon, dass die Unstimmigkeiten seine Beziehungen zu einem privaten Hexenzirkel "dramatisch ruiniert" hätten. Wenger geht mit der Berliner Heidenszene insgesamt ins Gericht und wirft ihr vor, lediglich "hochtrabende Pläne (zu) entwerfen", sich aber an deren praktischer Umsetzung nicht zu beteiligen. Seine persönliche Abrechnung gipfelt in der Behauptung: "Die politische Abstinenz und das entsprechende Desinteresse der Szene ist so gravierend, daß es z. T. an Lernbehinderung grenzt. Das Ergebnis besteht darin, daß es den meist versierten Aktivisten der rechten Szene leicht gemacht wird, sich zu profilieren, oft auch unbemerkt" (www.derhain.de/Heidenfest1303Reflektion.html; 28.9.2004). Mit anderen Worten: Die Lufthoheit über die Heidenstammtische soll nicht der extremen Rechten überlassen bleiben. Hier stellt sich die spannende Frage, ob und wieweit der eher "linksorientierte Flügel" der Szene von diesem internen Richtungskampf um die Ereignisse im Umfeld des ersten Berliner Heiden- und Hexentreffens wird profitieren können. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Konsequenzen die weitere Diskussion führen wird.

Matthias Pöhlmann